Dieser Artikel wurde in der NONPOP-Hörschau Nr. 24 mit Musikbeispielen vertont!GALAKTHORRÖ ist ein Familienunternehmen. Das Braunschweiger Label mit der Hausmarke 'Angst Pop' wird geführt von HERRN und FRAU ARAFNA, die mit den beiden Projekten
HAUS ARAFNA und
NOVEMBER NÖVELET gleichzeitig die musikalische Basis bilden. In Verwandtschaftsverhältnissen gedacht, könnte
HERZ JÜHNING nun ein der Sohn der beiden Projekte sein, denn vererbt bekommen hat er sein Talent zu gleichen Teilen: für Pop von NÖVELET, für die härteren, industriellen Töne von ARAFNA. Schon auf seinem Debüt, der Single "Faces" aus dem Jahr 2007, zeugten die beiden Seiten von den verschiedenen Einflüssen: A freundlicher, B noisig. (Die Single ist längst ausverkauft, aber im neuen
mp3-Shop des Labels zum Download erhältlich.)
HERZ JÜHNING – im richtigen Leben setze 'Kay' statt 'Herz' – bekommt für spartanische
GALAKTHORRÖ-Verhältnisse geradezu eine ganze Pressemappe mit auf den Weg, denn auf der Labelseite wird er als "beherzter Sachse" geoutet, "der eine ungute Verschiebung im Wertesystem der westlichen Welt zu erkennen meint." Nach seiner Inspiration befragt, nennt JÜHNING selbst nur "die Menschen" – der klassische Ansatz für alle
GALAKTHORRÖ-Projekte, die sich a) oft unmittelbar mit dem menschlichen Körper beschäftigen (Albumtitel wie "Blut" oder "Nachblutung" bei HAUS ARAFNA, Themen wie Abtreibung, Brustkrebs oder Verstümmelung bei anderen Acts) oder b) eine generelle Abneigung gegen die Menschheit pflegen, die es hinauszuschreien gilt. Hier sei zum Beispiel die jüngst auf
NONPOP besprochene SUBLIMINAL-EP mit Tracks wie "Bottom Feeder" (dt.: Widerling) erwähnt. Der 'beherzte Sachse' macht da natürlich keine Ausnahme und kümmert sich einerseits um Perversitäten wie "Infibulation", das Verschließen der Vagina, eine der grausamsten Formen der weiblichen Beschneidung. Andererseits sprechen Zeilen wie "Till You Are Rotten And Buried In Earth" oder "Bleeding Like A Pig / Screaming Like An Insane / Pain Is A Part Of Life" von der eben erwähnten, gesunden Abneigung gegen die Masse.
Der Opener ist ein klassisches und kurzes Power Electronics-Instrumental, also: rhythmischer Lärm. Auch beim zweiten Stück überwiegen industrielle Elemente wie Verzerrungen, tiefe Frequenzmodulationen, Brummen und Rauschen. Dazu tönt die in diesen Fällen stark verfremdete, rufende Stimme von JÜHNING. Sein sicheres Gespür für Melodie und Rhythmus, die Stärke des Albums, offenbart sich in "Can't Be", dem dritten Song und einem der besten auf "Miasma". Die typischen Geistersounds schweben aus dem Keyboard und erinnern – natürlich – an
NOVEMBER NÖVELET. Ein eingängiger Beat tuckert im Untergrund, an der Stimme wird nur mit ein wenig Hall und Vibrato geschraubt. Während solcher reichlich vorhandener Pop-Stellen entfaltet sich ein sehr charmanter Low Budget-Charme: Im Gegensatz zu den aggressiven Vocals der industriellen Stücke trägt JÜHNING die Texte der rhythmischen Songs ruhig und distanziert vor, fast stoisch, wie mit geschlossenen Augen. Dadurch entsteht die spezielle, kühle und fröstelige 'Angst'-Atmosphäre.
Damit ist das weite Feld, auf dem sich das Ein-Mann-Projekt bewegt, ganz gut abgesteckt. Erwähnt werden muss unbedingt noch der umwerfende Hit des Albums: "Reopened Eyes" (8) – zugegeben: ein sehr NÖVELET-orientiertes Stück – ist feiner Minimal Pop. Ein Synthesizerbett aus wenigen, geisterhaften Töne, dazu brizzelt und bizzelt es im Takt, und die dunkle, leicht kratzige Stimme sinniert im Stile eines sadistischen Entführers oder Foltermeisters. Kurz vor Schluss stechen zwei weitere, bleiche Angst Pop-Discohits ("Messiah" und "Defense Reaction") heraus, dazwischen verstören die derberen Stücke wie "The Rape" (bassige Drones und Frauenschreie) oder das angesprochene "Infibulation" (aggressives Pochen und unmenschliches Wimmern).
"Miasma" bietet auf keinen Fall nur bloßes Nacheifern. Die Mischung aus Minimal Elektronik, fast EBM oder Rave zu nennenden Rhythmen, industriellen Störungen und gruftiger Stimme – manchmal auch alles zusammen in einem Song – ist eigenständig. Die Arrangements sind trotz der Fülle an Elementen geradlinig und nie überfrachtet, klingen schön analog und handgemacht. Auch wenn "Miasma" manchmal wie eine kleine Label-Wundertüte wirkt, prägen sich am Ende doch die wieder erkennbaren Bestandteile ein. Wer
GALAKTHORRÖ-Musik von HAUS ARAFNA,
NOVEMBER NÖVELET,
KARL RUNAU oder
MASKA GENETIK mag, wird auch auf "Miasma" fündig. Ein extra Sternchen bekommt dieses Mal das Artwork, welches ästhetisch noch über dem ohnehin hohen Familienstandard liegt.