Michael We.
PULIDO | FENNESZ | SIEWERT | STANGLA Girl & A Gun. Ein Mini-Soundtrack.
Genre: Filmmusik
Verlag: Interstellar... Erscheinungsdatum: 2009 Medium: Vinyl 7'' Preis: ~6,00 € Kaufen bei: Interstellar Ich kenne den Film zur Musik (noch) nicht. Aber er muss umwerfend schön sein, bei dem Soundtrack! Der österreichische Regisseur GUSTAV DEUTSCH (*1952 in Wien) hat jüngst das dreizehnte Kapitel seiner Reihe "Film ist." veröffentlicht. Wer sich umfassend mit den zahllosen Arbeiten von DEUTSCH auseinandersetzen will, findet zum Beispiel Informationen auf den Seiten des österreichischen Filmarchivs. In aller Kürze: Die Episoden von "Film ist." sind "Filmarbeiten zur Phänomenologie des Mediums Film", wie es der Regisseur selbst ausdrückt. Filmausschnitte bestimmter Epochen der Kinogeschichte werden dabei zu Überschriften wie "Film ist ... Magie" oder "Film ist ... komisch" neu montiert, eine eher wissenschaftlich-dokumentarische Herangehensweise also. Es entstehen sogenannte Tableaufilme, ein Ausdruck aus den 1920er-Jahren, als historische Vorlagen so aufwendig (heißt: lange) verfilmt wurden, dass im Kino stets nur Ausschnitte gezeigt werden konnten, nie das gesamte Material; die Auswahl des Vorführers als Teil des künstlerischen Prozesses. Das dreizehnte Kapitel bildet nun eine Ausnahme, denn es ist von vorneherein auf Spielfilmlänge angelegt (93 Minuten) und widmet sich einem neuen – weniger wissenschaftlichen – Thema: der Konfrontation der Geschlechter. DEUTSCH hat aufgrund der Fülle des Materials nur Szenen bis zum Ende der 1930er-Jahre verwandt, unter anderem aus "Éclipse De Soleil En Pleine Lune" (GEORGES MÉLIÈS, 1907), "Das Kind des Teufels" (ERICH KOBER, 1919) oder "Duel to the Death" (1898, ein nur wenige Sekunden dauernder Messerkampf zweier Engländerinnen). Die drei an der Single beteiligten österreichischen Musiker arbeiten mit DEUTSCH schon länger zusammen und haben auch Stücke für andere "Film ist."-Teile eingespielt. Zum Start von "A Girl & A Gun" gaben sie ein einmaliges Konzert mit Filmausschnitten im österreichischen Filmmuseum in Wien. MARTIN SIEWERT (Gitarrist, zwar in Saarbrücken geboren, aber in Wien lebend, ist NONPOP-Lesern vielleicht vom letzten KAMMERFLIMMER KOLLEKTIEF-Album bekannt), CHRISTIAN FENNESZ (Soundbastler und Gitarrist, Besprechung seiner letzten Arbeit "Black Sea" => hier) und BURKHARD STANGL (Komponist und Jazzgitarrist) gehören zu einer regen österreichischen Avantgarde, die sich um Fixpunkte wie das legendäre Kunstradio des ORF herum bewegt. (Für das auch DEUTSCH übrigens schon Beiträge produziert hat. Weitere Artikel zu österreichischen Projekten wie METALYCÉE oder dem RHIZ-Sampler siehe unten.) Zwei Songs aus den ansonsten nicht zu erwerbenden Soundtracks hat das Trio nun in Zusammenarbeit mit der experimentierfreudigen kolumbianischen Sängerin LUCIA PULIDO als Single ausgekoppelt. Es handelt dabei um kolumbianische Traditionals, die sozusagen von den drei Bastlern und Tüftlern 'verfeinert' wurden. "Canto De Zafra" beginnt mit einem warmen, sandigen Rauschen, auf das ein herzzerreißend melancholisches Piano einsetzt, dicht gefolgt von der ausdrucksstarken Stimme PULIDOs. Ihre klagende, fast osteuropäische Art zu singen ist traurig und nachdenklich. Das teilweise kaum wahrnehmbare Flirren verstärkt die schwebende Struktur und verschafft "Canto De Zafra" eine außergewöhnlich hohe Dichte. Im Englischen wird das Lied oft als 'work song' bezeichnet, und 'Zafra' ist übersetzt die Zuckerrohrernte, deren Hitze, Schweiß und Anstrengung durchaus spürbar sind. "Canto De Velorio" startet mit der typischen FENNESZ-Gitarre, die mit ihren warmen, tiefen Tönen gleich an sein letztes Album "Black Sea" erinnert, an raues, stürmisches Meer an einem grauen Tag. Die dezenten elektronischen Spielereien schmiegen sich wie Samt um die luftige Stimme von PULIDO, und gemäß der Bedeutung von 'Velorio' (Totenwache) ist dieses Traditional zum Dahinschmelzen traurig. Südamerikanische Traditionals mit österreichischer Elektroakustik sind eine neue Erfahrung. Erstaunlich, wie gut sie sich gegenseitig ergänzen und welch wehmütige Tiefe das Gesamtkonstrukt hat. Die Songs machen Lust auf die dritte Komponente, die Filmcollage, funktionieren aber selbstverständlich auch ohne. Wer mit einem der hier aufgezählten Projekte / Künstler etwas anfangen kann, sollte sich mit diesem Vinyl eine (große) Freude machen. Nicht zuletzt – wohl eher ein Tipp für Männer – wegen der hübschen Coverzeichnung von HANNA SCHIMEK, der Lebensgefährtin von GUSTAV DEUTSCH.
Michael We. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » Kritik zu "A Girl & A Gun" » DVD mit allen "Film ist."-Folgen » PULIDO @ myspace » RHIZ-Sampler @ Nonpop » METALYCÈE @ Nonpop » RASSEMENSCHEN... @ Nonpop Themenbezogene Artikel: » FENNESZ: Mahler Remix » FENNESZ: Bécs » FENNESZ: Aun (Soundtrack) » FENNESZ: Seven Stars » ANTONY | FENNESZ: Returnal » FENNESZ: Black Sea
Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln ausschließlich die Meinung des jeweiligen Verfassers bzw. Interviewpartners wieder. Nachdruck (auch auszugsweise) nur mit schriftlicher Genehmigung durch den Betreiber dieser Seite.
|
Zusammenfassung
Zwei kolumbianische Traditionals, verfeinert mit österreichischer Soundbastelei. Beide Elemente stützen sich gegenseitig und schaffen ein Gesamtkonstrukt voll wehmütiger Tiefe. Eine außergewöhnliche Erfahrung, die Lust auf das dazugehörige Filmkunstwerk von GUSTAV DEUTSCH macht.
Inhalt
1 Canto De Zafra (4:33)
2 Canto De Velorio (4:37) |