Je nachdem, welchem Aspekt, welchen Attributen man Raum lässt, treibt und blüht Anderes. "Filth In Several Styles - Alternative Sparks" ist ein Aufflackern von scheinbar Abwesendem.... sagt HANS JOHM alias
ANTLERS MULM über seine aktuelle CD, welche 13 neu abgemischte Versionen von Songs des letzten regulären Albums "Of Withered Sparks" (
LOKI 2007,
NONPOP-Besprechung) enthält. "Filth ..." ist Wundertüte und Rätselheft zugleich, denn der Hörer bekommt erstens einige schöne Überraschungen geboten und darf sich zweitens durch das AM-Universum forschen und nach Bezügen und Querverweisen suchen, wenn er das möchte. Selbstverständlich funktionieren die meisten Songs auch ohne Detektivausrüstung: Sie verbreiten porentief das melancholische MULM-Gefühl, welches schon in mehreren
NONPOP-Artikeln versucht wurde, zu beschreiben.
Auf der neuen Veröffentlichung – übrigens wieder auf dem eigenen Label
SONDERÜBERTRAGUNG – finden sich drei Sorten von Songs: Solche, die kaum mit den Originalen in Verbindung zu bringen sind. Sie sind reduziert, manchmal ungewohnt kühl, kommen fast ohne Stimme aus. Eine Brücke schlagen dann die typischen JOHM-Geräusche, immer und überall ihrem Urheber zuzuordnen. Science Fiction-Romane erzählen oft von Paralleluniversen, in denen sich dieselben Dinge befinden, nur seltsam verzerrt, wie Echos. So sind diese Stücke. Die zweite Kategorie hat Kontakt zu den Originalen, ist wiederzuerkennen als alternative Version. Rubrik drei, die spannendste, besteht aus Remixen im eigentlichen Sinne: Andere Musiker bearbeiten Tracks von AM. Zwei Projekte von
SONDERÜBERTRAGUNG (
HIGH TIDE TECHNOLOGY und
LLOVESPELL) und zwei von
LOKI (
FJERNLYS und
FIR§T LAW) haben dabei Hand angelegt. Diese Ergebnisse dürfen ihre "Withered Sparks"-Namen behalten, alle anderen Lieder wurden neu betitelt. (Die vier 'Fremdremixe' sind übrigens auf der
myspace-Seite von ANTLERS MULM nachzuhören.)
Wir starten mit "Never Wake Again", einer alternativen Version von "Drink From My Lips". Wie alle 'Neulinge' legt sie das Schneeflockenkleid ab, welches die Lieder auf dem Album von 2007 haben. Das weiche, minimalistische Ambiente wird rhythmisiert und mit glänzenden Echosounds versehen. Es zirpt und schnurrt, als ob der Song im Freiluftatelier und nicht in der winterlichen Dachstube entstanden wäre. Auch "A Light That Shines", das zweite – und schwer identifizierbare – Stück behält zwar eine melancholische Grundnote bei, bekommt aber allerlei grummelnde und knarzende Geräusche untergerührt. Der Track wirkt nervöser und frickeliger, entwickelt auf der anderen Seite aber ein interessantes, zischendes und schlängelndes Eigenleben. Ein großes, wunderbares Experiment ist Nummer drei, "Sunflowers". Das schönste Stück auf "Of Withered Sparks" durfte seine Grundstruktur behalten, D. MICHAELS (THE HIGH TIDE TECHNOLOGY) hat es nicht auseinandergenommen, sondern lediglich erweitert. Kleine, zusätzliche Melodien, von verschiedenen Instrumenten gespielt, führen durch kurze Pausen. Sogar der Sound eines ganzen Streichorchesters schmiegt sich an, macht "Sunflowers" voluminöser. Die Stimme ist klarer, steht mehr im Vordergrund, und das gedämpfte Piano sorgt für ein leicht jazziges Flair. Zu keiner Zeit aufgegeben wird aber die tieftraurige, nächtliche Grundstimmung.
Somit ist ein Song aus jeder Kategorie vorgestellt und ein erster Eindruck gewährleistet. Höhepunkte bleiben im weiteren Verlauf die Gastmixe und ... eine Überraschung. "White Tears" (FJERNLYS) ist wie eine blank polierte Fensterscheibe, glänzend und klar. Zwar ohne die Wavegitarre des Originals, dafür mit neuen Synthiesounds und einer zusätzlichen Frauenstimme. LLOVESPELL haben "Hollow Heart" ganz deutlich ihren Stempel aufgedrückt. Ein typischer, tiefer und hypnotisierender LLOVESPELL-Song – ebenfalls mit Frauenstimme – ist daraus geworden, zum Los- und Fallenlassen. "
Wreckers", auf dem Originalalbum ein eher experimenteller Track, wird durch die Bearbeitung von FIR§T LAW stärker, präsenter. Die Stimme ist plötzlich verständlich, und der hypnotische Rhythmus weckt eine rituelle Komponente. "Eisblumen" schließlich ist die versprochene Überraschung. Ein betörendes, minimalistisches Instrumental, Inbegriff von Wärme und dunklen Wintern, das HANS JOHM unverändert von "Weihnachtsfunk 3" (
NONPOP-Besprechung) übernommen hat. Warum? Das ist mir auch erst auf diesem Sampler klar geworden: Es war die Vorlage für "Sunflowers" auf "Of Withered Sparks", ein Pre-Mix sozusagen. (Wobei ... es eine Demoversion von "Sunflowers" wiederum schon vor "Eisblumen" gab, aber das wird jetzt zu kompliziert!)
"Filth In Several Styles" bietet mehr Ambient – manchmal gar Dark Ambient, was die Geräusche angeht – und weniger Wave als die "Sparks". Das einhüllende, winterliche Moment wird immer wieder durchbrochen von schrägen Tönen oder frechen Ideen. Groß sind die vier Gastspiele, und "Eisblumen" sowieso. Ebenfalls viel Charme haben "Washed Away" und "Never Wake Again". ANTLERS-Fans werden während des Lesens selbstverständlich schon den Bestellvorgang eingeleitet haben. Auch für neugierige Ersthörer entfaltet sich viel intelligente, dunkle Ambientmusik voller Tonschönheit. Die Originale, also "Of Withered Sparks" und "Weihnachtsfunk 3" und somit die besten Alben von ANTLERS MULM, sind aber unersetzbar.
LLOVESPELL und HIGH TIDE TECHNOLOGY sind auch auf unserem NONPOP-Sampler #3 vertreten!