Drei Projekte aus drei Herkunftsländern treffen sich auf dieser Split-CD.
SVARROGH (Bulgarien),
DÉFILÉ DES ÂMES (Griechenland) und
ÀRNICA (Katalonien) präsentieren ihre jeweils regional gefärbte Ansicht von "South European Folk". Der in München lebende Bulgare DIMO DIMOV alias SVARROGH ist der Bekannteste aller Beteiligten; seine Arbeiten wurden regelmäßig auf
NONPOP besprochen. Nach der Abkehr von anfänglichen Black Metal-Klängen ist DIMO zum schamanischen Grummler geworden, der uns in die dichten Wälder Bulgariens mitnimmt, um dort an einem klaren Bach Naturgeister zu beschwören. Die Hellenen von DÉFILÉ DES ÂMES hat Kollege Roy L. vor einiger Zeit
bereits gewürdigt. Manchen sind sie vielleicht auch bekannt durch die Zusammenarbeit mit
MATT HOWDEN (SIEBEN), etwa auf "Ogham Inside The Night" und bei diversen gemeinsamen Liveauftritten. Im vergangenen Jahr haben DÉFILÉ ihren Erstling "Lust 'N' Stone" auf
AHNSTERN veröffentlicht: ein Album voll luftiger, südländischer, lichtdurchfluteter Neofolk-Songs. Noch am wenigsten in Erscheinung getreten sind bislang ÀRNICA aus Katalonien, der Heimat des Ein-Mann-Projektes Ô PARADIS (
NONPOP-Interview), mit dem sie schon zusammengearbeitet haben. Es verbindet sie außerdem eine Freundschaft mit den Portugiesen von
SANGRE CAVALLUM, was ebenso Rückschlüsse auf die Musik zulässt wie die eigene Kategorisierung: "Ur-Folk" nennen die Spanier ihre Musik aus Trommeln, Sprechgesang und alten Instrumenten. Eine viel versprechende Gesamtmischung, welche trotz geographischer und musikalischer Unterschiede von einem mythischen und sehr alten Geist durchweht wird, symbolisiert von einem Feuerprasseln, das alle Stücke miteinander verbindet.
DÉFILÉ DES ÂMES eröffnen das Gemeinschaftsprodukt mit einer Überraschung: Der Track ist a) 15 Minuten lang und hat b) mit dem filigranen Folk von "Lust 'N' Stone" nicht mehr viel zu tun. Nach einem ruhigen Intro aus Gitarre und Akkordeon setzt Sänger MANOS mit einer flehenden, fast verzweifelten Stimme ein, die bald von E-Gitarre und marschierenden Snaredrums unterstützt wird. Das griechische Flair ist martialisch, aufständisch; eher kämpfende Olympioniken mit einer Prise Black Metal als träumende Denker auf grünen Hügeln. Auch das zweite Stück von DDÂ ist untypisch, ein Instrumental wie ein Gespräch unter Berggeistern, symbolisiert unter anderem von einer Klarinette, irgendwie verwandt mit
STURMPERCHT. Die drei Stücke von SVARROGH sind zarter und melodischer als die Musik auf den letzten Soloalben. Mit der für Balkanfolk typisch sirrenden Gitarre spielt DIMO verträumte Lieder, die an
WERKRAUM oder stellenweise
ALLERSEELEN erinnern. Dazu singt (ja, singt) er, weshalb ich mich wohl für den "Grummler" weiter oben entschuldigen muss, dunkel und immer noch schamanisch von Göttern aus untergegangenen slawischen Königreichen. Hinreißend ist die Beschwörung von Yarilo (Track 8), dem Gott der Leidenschaft. Die meisten Tracks, fünf an der Zahl, haben ÀRNICA beigesteuert. Man kommt nicht um den Vergleich mit SANGRE
CAVALLUM herum, auch Bezüge zu
WALDTEUFEL ergeben sich, was insgesamt eine wirklich sehr urige Auffassung von Folkmusik bedeutet. Eine einfache, unverfälschte Trommel bildet die Basis der Stücke, dazu kommen entweder a) beschwörende Sprechgesänge, b) einfache Flötenmelodien, c) Schreie wie bei rituellen Tänzen oder d) field recordings von diversen Tieren und Glöckchen. So könnten früher, am Lagerfeuer eines einsamen Bergdorfes, Geschichten erzählt worden sein, die in ihrer Schlichtheit sehr kräftig und lebendig wirken.
Während der 60 Minuten, die das "South European Folk Compendium" dauert, weht eine Brise frischer Luft aus Wäldern vergangener Jahrhunderte durch den Raum, und der Bürostuhl wird zum knorrigen, alten Baumstamm – schön! Außerdem führt dieses Album – mit all den beteiligten und befreundeten Bands – schlagkräftig vor Augen, wie viele Musiker sich doch dem Neo- oder Pagan-Folk widmen. Allein deshalb ist es eine gute Sache. Positiv überrascht vor allem DIMO DIMOV, der Vorfreude auf das nächste SVARROGH-Album weckt.
PS: Alle Stücke sind quasi neu. Einige Songs von ÀRNICA erschienen zwar schon auf einer EP, die aufgrund ihrer geringen Auflage aber zu vernachlässigen ist. Auf PERCHT kommt dieser Tage "Viejo mundo" heraus, das Vollzeit-Debüt der Katalanen.