Michael We.
FENNESZ: Black SeaModerner Ambient Teil 2: elektronisch
Genre: Ambient
Verlag: Touch Erscheinungsdatum: 2009 Medium: CD Preis: ~10,00 € Kaufen bei: Touch-Shop Dieser Artikel wurde mit Musikbeispielen in der NONPOP-Hörschau Nr. 21 vertont! CHRISTIAN FENNESZ ist der Osterhase unter den Laptop-Musikern. Er versteckt seine feinen Gitarren-Melodien wie bunte Eier unter einem Gestrüpp aus Rauschen und Fiepen, und der Hörer kann sich freuen wie ein Kind, wenn er was findet. Während einer der Hoch-Zeiten des österreichischen Untergrunds Anfang der 1990er Jahre war der gebürtige Burgenländer FENNESZ Mitglied von MAISCHE, einer coolen Gitarre/Bass/Schlagzeug-Band zwischen BOB MOULD und MY BLOODY VALENTINE. In der Heimat mittelgroße Clubs füllend blieb das Ausland sträflich ignorant. Immerhin gelangte der Song "This Is Your Birthday" auf einem L'AGE D'OR-Sampler ("Billiger als Turnschuhe") von 1992 nach Deutschland. MAISCHE wurde österreichische Musikgeschichte, und Ex-Gitarrist CHRISTIAN frönte fortan seiner (zweiten) Leidenschaft für Sampling und sonstiges Computergefrickel. Geld verdiente er mit Auftragsarbeiten wie der Produktion des wirklich hübschen Elektropop-Albums "Beautycase" (1995) von PLAY THE TRACKS OF... Seine Gitarre hat der Wahl-Wiener allerdings nie verschrottet: "Am Anfang habe ich das sehr intensiv betrieben, dass ich einfach zwei Stunden Gitarrenexperimente und Feedback-Lärm auf DAT mitgeschnitten habe", erklärte er 1996 dem österreichischen Musikmagazin SKUG (#28). Dieser Experimentierfreudigkeit verdanken wir die Symbiose aus Noise und akustischer Instrumentierung, für die FENNESZ heute berühmter ist, als es MAISCHE damals waren. Nach vier Jahren Albumpause (solo) ist nun sein neues Werk erschienen, und es hat Einiges mit der aktuellen Veröffentlichung von HILDUR GUDNADÓTTIR gemeinsam, wie die dazugehörige NONPOP-Besprechung schon andeutete: "Black Sea" ist ebenfalls auf TOUCH erschienen, mit einer stimmungsvollen Landschaftsfotografie von JON WOZENCROFT, auch farblich ähnlich gehalten wie bei der Isländerin – in Grautönen. Die acht Songs präsentieren das Gemüt berührende Ambientmusik auf elektronischer Basis. Im Gegensatz zu den luftigen Noten der Isländerin ist – Achtung Plattitüde – der Name bei FENNESZ allerdings Programm, denn "Black Sea" malt sehr melancholische Bilder von kargen, felsigen Landschaften, schäumenden Brandungen an einem bleigrauen Tag, Bilder von Treibgut am Strand und einsamen Spaziergängen. Eine zweiminütige, kratzige Noisewolke hängt zu Beginn wie dichter Nebel über der Szenerie. Nachdem sie sich verzogen hat, wird die Akustikgitarre sicht- bzw. hörbar. Wie zufällig platzierte Regentropfen fallen Moll-Akkorde auf eine sirrende und flirrende Landschaft. Selbst wenn die Gitarre später immer wieder verschwindet, formieren sich die verbleibenden Geräusche in ansprechenden Mustern. "The Colour of Three" etwa ist ein Teilchensturm, durch den dezente Stammestrommeln zu hören sind. "Glass Ceiling" erinnert mit seinem spacigen, metaphysischen Sound an FIRST HUMAN FERRO. Vor einem Abdriften der rein elektronischen Stücke Richtung Kitsch bewahren dauerhaft die knirschenden, zerrenden Untertöne. Andersherum geht es auch: "Grey Scale" besteht ausschließlich aus schwermütigen Gitarrenimprovisationen, die so einfach klingen, nach denen die meisten Gitarrenträumer und -spieler wohl aber ihr Leben lang vergebens suchen. "Perfume For Winter" spricht unser Bedürfnis nach Einfachheit an: Zwischen dröhnenden Störgeräuschen taucht eine elementare, klare Melodie auf und ab, gespielt von Gitarre und einem Piano, welches wie durch ein Funkgerät aus weiter Ferne zum Hörer spricht. Übrigens ein großer Moment für Freunde der Musik von CHRISTIAN FENNESZ: Zum ersten Mal – zumindest auf Soloalben – erweitert der Österreicher das Instrumentarium, das bislang nur aus seiner Gitarre bestand. (Das präparierte Klavier stammt vom befreundeten australischen Komponisten und Pianisten ANTHONY PATERAS.) Im letzten Song bündelt FENNESZ die Essenz des Albums in fast sechs mächtigen, elektro-akustischen Minuten; ein volles, be-rauschendes Abschlusswerk, das mit zarten Gitarrenloops ausklingt. Wow, ich bin beeindruckt. Ein Aufeinandertreffen von Wissenschaft und Emotion, Laptop und Gitarre, Aufbau und Abriss von Harmonien. FENNESZ gehört (ebenso wie HILDUR GUDNADÓTTIR) zu einer neuen Generation von Ambient-Musikern, die weit entfernt sind von der ursprünglichen Definition einer dahinblubbernden, atmosphärischen Stimmung. Zwar wird reichlich Atmosphäre erzeugt, die Musik ist dabei aber so intelligent komponiert, dass sich jeder Hinhörer lohnt.
Michael We. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » FENNESZ @ myspace » FENNESZ @ last.fm » FENNESZ @ Wiki Themenbezogene Artikel: » FENNESZ: Mahler Remix » FENNESZ: Bécs » FENNESZ: Aun (Soundtrack) » FENNESZ: Seven Stars » ANTONY | FENNESZ: Returnal » PULIDO | FENNESZ | SIEWERT | STANGL
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Zusammenfassung
Eine weitere Definition von moderner Ambient-Musik. Intelligente Kompositionen, die Stimmung vermitteln UND Hinhörer sind. Die typische Gitarre - dieses Mal noch ergänzt um ein Piano - versteckt sich hinter Nebelwänden aus Rauschen und Fiepen. Einsamer Spaziergang an einem grauen Tag am Meer.
Inhalt
1. Black Sea
2. The Colour Of Three 3. Perfume For Winter 4. Grey Scale 5. Glide 6. Glass Ceiling 7. Vacuum 8. Saffron Revolution 52 min. |