Die Geschichte
HERBERT 'HERBIE' MOLIN ist ein Urgestein der österreichischen Elektroszene. Seit den 1970er-Jahren sorgt er, unter anderem als Plattenladen-Besitzer und mehrfacher Musikkneipen-Pächter, für die Verbreitung elektronischer Musik in der Alpenrepublik. Außerdem war er Anfang der 1980er (zusammen mit FRITZ OSTERMAYER, der auch auf dem Sampler ist) Mitglied bei VIELE BUNTE AUTOS, einer österreichischen New Wave-Band. Deren Singles und Liveauftritte wurden übrigens gerade auf CD veröffentlicht ("Jetzt Komme Ich", 2008, KLANGGALERIE). 1998 gründete er fast folgerichtig das RHIZ, welches viele seiner Leidenschaften und zahlreichen Jobs bündelte: Die Bar am 'Wiener Gürtel', gleich neben der U6-Station 'Josefstädter Straße', ist Kneipe, Bühne und Label unter einem Dach. Ein Ort, an dem Besucher auch abseits von Festivals (und abseits von Techno, House, Dancefloor usw.) gute Musik hören können, so die Definition von MOLIN. Der Name verweist auf das griechische Wort 'Rhizom', was übersetzt 'Wurzel' bedeutet und in der Philosophie ein Modell zur Organisation von Wissen beschreibt. Das Bild einer großen, verflochtenen Wurzel, die in alle Richtungen treibt, passt gut zu dem überbordenden Programm, welches MOLIN seit zehn Jahren quer durch alle elektronischen Stilrichtungen auf die Beine stellt. So gut ist der Ruf, den sich das RHIZ in dieser Zeit – weit über die österreichischen Grenzen hinaus – aufgebaut hat, dass in manchen Monaten die Zahl der auftretenden Künstler größer ist als die Anzahl der Tage. Der Sampler Im vergangenen Sommer feierte das RHIZ sein zehnjähriges Bestehen mit großem Fest und noch größerem Programm als üblich. Im weiteren Verlauf des Jahres erschien dann "The Risk Of Burns Exist", eine – natürlich nicht vollständige – Auswahl von Liveauftritten seit dem Gründungsjahr 1998. Die CD, passenderweise die zehnte Veröffentlichung auf dem hauseigenen Label RHIZ RECORDS, hat HERBIE MOLIN zusammengestellt. Viele Tracks (zum Beispiel von GUSTAV oder FRITZ OSTERMAYER) sind exklusiv, wurden also noch nie vorher veröffentlicht. Hier ein kurzer Überblick der besten Stücke auf dem Sampler: WIPEOUT sind die bösen österreichischen Elektrojungs. "We Don't Even Pay For This" lässt einen zwar unaufdringlichen, aber mitreißenden Beat durch das Gewölbe tuckern, leicht noisig verzerrt, eine Mischung aus Discofox und Industrial. Der Song erinnert an den Cold Wave von TRISOMIE 21. Vor dem Organ von DIDI BRUCKMAYR würden wir unsere Kinder warnen: Seine Stimme hat eine unglaubliche Live-Präsenz und ist gleichzeitig lockend, sakral und düster-gruftig. (Ein kurzes Zusammenzucken: Warum wird am Ende einfach ausgeblendet??) Auch die Performance der Wale rettenden Wienerin EVA JANTSCHITSCH mit ihrem Projekt GUSTAV ist umwerfend. Sie präsentiert mit "Hard Life" eine Coverversion von BONNIE PRINCE BILLY. Ihre romantische Kleinmädchen-Stimme wird von einer Palette an Instrumenten zwischen Klangholz, Blechbläsern und Akkordeon unterstützt. Wenn dann noch die Männer ihrer Band im Chor einsetzen, möchte man mitschunkeln. Wie "Where The Wild Roses Grow" nach einem Joint und ein paar Bier, inklusive fieser Rückkopplung. THE VERY PLEASURE ist das Freizeitduo des erwähnten Herrn OSTERMAYER (zusammen mit OLIVER WELTER von NAKED LUNCH aus Klagenfurt). Zwei Stimmen, die eigentlich gar nicht zusammenpassen, schmettern einen Balalaika-Wüstenrock ("Live In Heaven"), angetrieben von einem nie pausierenden Schlagzeugbeat. FENNESZ (mit Vornamen CHRISTIAN) ist ein Vertreter der klassischen Soundfrickelei, obwohl er Ende der 1980er mit der Band MAISCHE noch rockige Ansätze verfolgte. In sechs Minuten ("Northern Gate") holt er ein riesiges Klanguniversum aus dem Hut. Große, warme Drones hallen nach wie Schläge auf einem Gong und bilden die Basis, darüber und darunter zischt, brodelt, knistert und zerrt es, ohne je dissonant zu werden. Die Dichte dieser anspruchsvollen Loungemusik füllt augenblicklich den gesamten Raum aus. Was Romantisches zum Ausklang: B. (BERNHARD) FLEISCHMANN, Wiener Produzent und Musiker, schafft mit "Take Your Time" eine melancholische, luftige Symbiose aus Pianomelodie und Elektronik. Ein technisches, flirrendes Soundbett trägt die Klavierklänge durch die Luft. Neben einer sehr ansprechenden musikalischen Zusammenstellung, die auch klanglich ein für Live-Aufnahmen durchweg hohes Niveau bietet, macht an diesem Sampler vor allem der Krimskrams Spaß. In der Kartonbox liegen jede Menge RHIZ-Memorabilia: Passfotos von einigen Künstlern, ein Ansteck-Button, Grundrisse der Bar, eine Postkarte und – die schönste Idee – ein ganz besonderes Fundstück. Jede CD beinhaltet einen Gegenstand, in Klarsichthülle verpackt und datiert, der am Tag eines Konzertes im RHIZ verloren wurde. (In meinem Fall: eine slowenische Münze, gefunden am 16. Dezember 2007). Gibt es am Ende dieser Besprechung eine andere Möglichkeit als eine uneingeschränkte Empfehlung? Neeeeeeeein.
Michael We. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » RHIZ » B. FLEISCHMANN @ myspace » FENNESZ @ myspace » NAKED LUNCH @myspace » WIPEOUT @ myspace » GUSTAV @myspace » Links zu HERBIE MOLIN » ORF-Artikel zu MOLIN
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Zusammenfassung
Sampler zum zehnten Geburtstag der Wiener Musikbar RHIZ. Eine breite Auswahl an elektronischer Live-Musik, ganz sicher für jeden was dabei. Darüber hinaus liebevoll verpackt und, für Aufmachung und Inhalt, absolut preiswert. Empfehlung.
Inhalt
* rhiz 010
* 01:10:19 01 BLURT: Down In The Argentine 02 NITRO MAHALIA + DIEB13: isbn 3-205-98507-9 03 PITA+JADE: pjrz080112 04 WIPEOUT: We Don't Even Pay For This 05 GUSTAV: Hard Life 06 THE VERY PLEASURE: Live In Heaven 07 SLUTA LETA: Forest Of The Moon 08 SCHLAMMPEITZIGER: Prädigitaler Volksstuhlhänger 09 FENNESZ: Northern Gate 10 BRUCKMAYR: Did You Really Love Me? 11 VOLCANO THE BEAR: Did You Ever Feel Like Jesus? 12 FELIX KUBIN: Wir Alle Sind Qualle 13 ELECTRONICAT: Till I Die 14 BULBUL + MAJA OSOJNIK: Strange Fruit 15 B. FLEISCHMANN: Take Your Time |