Zwei gute Ambient-Musiker haben sich hier zu einem Split-Album zusammengetan. Die erste Hälfte der knapp einstündigen CD bestreitet – mit vier Tracks – der Finne JAAKKO PADATSU alias
LINGUA FUNGI. Wie sein Projektname schon andeutet, beschäftigt er sich mit der Auswirkung von natürlichen Substanzen auf die menschlichen Sinne. Dabei geht es selbstverständlich nicht nur um Pilze (lat. 'Fungi'), sondern um die Wirkung von Kräutern und (Heil)Pflanzen allgemein. Mit den eher düsteren, martialischen Klängen seiner bisherigen Labelkollegen von
WAR OFFICE PROPAGANDA, wo JAAKO vor zwei Jahren sein Debüt veröffentlicht hat, hat er nichts gemein. Durch den Einsatz vieler akustischer Instrumente, darunter die traditionelle finnische
Kantele, schafft er sehr warme Ambient-Landschaften, welche durch repetitiven Percussion-Einsatz oft eine rituell-schamanische Komponente bekommen.
Die zweite Hälfte des Albums bestückt der Bulgare HRISTO GOSPODINOV, seit sechs Jahren als
SHRINE unterwegs, mit zwei längeren Tracks. HRISTO beherrscht zwar mindestens ebenso viele Instrumente wie JAAKO, unter anderem den klassischen Balkan-Dudelsack, konzentriert sich aber für seine Dark-Ambient-Kompositionen mehr auf elektronische Klänge. Häufig mischt er
field recordings mit Geräuschen von Maschinen, was zu einem sehr futuristischen, metallenen Klangbild führt. Seine "fields of drifting", wie HRISTO die Musik nennt, veröffentlicht er auf dem kleinen bulgarischen Label
CORVUS RECORDS (Labelporträt auf
NONPOP →
hier). Mitte des vergangenen Jahres startete er mit "Distorted Legends, Pt.1" (Besprechung →
hier) eine lose 7inch-Serie für
DRONE RECORDS.
Die beiden Musiker kannten sich bis dato nicht. Zu der finnisch-bulgarischen Kooperation kam es nur deshalb, weil HRISTO in einem Interview zwei neue Stücke erwähnte, die aber zu kurz für eine Vollzeit-CD seien. Der Fragensteller brachte ihn auf die Idee mit dem Split-Album, und nach kurzer Suche fragte er bei JAAKKO an, der sofort zusagte.
Das leise Getrommel, mit dem LINGUA FUNGI einsteigt, schafft eine sehr introvertierte Atmosphäre. Sich schnell wiederholende, akustische Töne auf schwebenden Synthesizerschichten machen alles sphärisch und weit. Das Gerüst einer perlenden Melodie aus wenigen Tönen bleibt über verschiedene Tracks hinweg erhalten, die warme, handgemachte Akustik überwiegt. Ab Mitte des zweiten Tracks stehen dann auch einige dunkle, wie aus Fässern geschlagene Drones in der Luft. Das dritte Stück ist ein einziger, langer Windhauch, durch den die klaren Töne der Kantele treiben. Der längste LINGUA-Part klingt mit seinen melancholischen Gitarrenläufen und dem Synthi-Chorus zu Beginn wirklich stark nach
NEST, einem ebenfalls aus Finnland stammenden (und auf
CORVUS veröffentlichenden) Projekt. Später bewirken warme, luftige Drones eine psychedelische Gelassenheit, das endgültige Abdriften in eine Fantasiewelt, welche zum Schluss durch wieder einsetzende Trommeln und ein quietschendes Rückwärtsspulen geerdet wird.
Das erste Stück von SHRINE ruft sofort die für die Musik des Bulgaren typischen Bilder auf: eine glitzernde, funkelnde, menschenleere Maschinenstadt. Wie ein künstlicher Chor murmeln die Synthie-Layer durch die Gassen, und der Hörer fliegt träumend im Gleitflug über die Szenerie. Diesem äußerst melancholischen Track folgt mit dem zweiten SHRINE-Titel ein düsterer Abschluss des Albums. Ohne Melodie wirken die Drones hier bedrohlich, dazu hinterlassen plätschernde Geräusche sofort einen klammen, ungemütlichen und industriellen Eindruck: Es dröhnt wie aus dem Inneren einer riesigen Maschine heraus. "
There" und "Back" (sehr frei übersetzt "Traum" und "Realität") sind musikalische Gegensätze, wie sie häufig bei SHRINE auftauchen.
Beiden Projekten gemein ist, dass bei ihrer Musik sofort Landschaften im Kopf auftauchen, was eine gute (Dark)Ambient-Produktion auszeichnet. Bei LINGUA FUNGI sind es große, dunkle, aber nicht unfreundliche finnische Wälder, bei SHRINE ist es die beschriebene Maschinenstadt. Fazit: 54 Minuten Ambient der gehobenen Mittelklasse.