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Michael We.

V.A.: Sacral Symphony

Drones aus höheren Sphären


V.A.: Sacral Symphony
Genre: Drone
Verlag: EE Tapes
Erscheinungsdatum:
25. Dezember 2008
Medium: CD
Preis: ~13,00 €
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Steht der Name EVGENY VORONOVSKI auf einem Produkt, kann sich dahinter eigentlich nur Qualität verbergen; das hat der Russe in den vergangenen Jahren oft genug bewiesen. Zum einen ist er Bestandteil von NEUTRAL, der momentan zum Duo geschrumpften, akustischen Neofolk-Vorzeigeband aus Russland. Dort geht er seinem gelernten Handwerk nach und spielt – als studierter Geiger – die Violine. Zum anderen ist er der Kopf hinter CISFINITUM, einem Projekt, das außerordentlich atmosphärischen Dark Ambient produziert. Gerade mit der elektronischen Musik war VORONOVSKI auf zahllosen Samplern vertreten: "Iznutri" (Besprechung), "Energia" (Besprechung) oder der "Heilige Feuer"-Serie. Nun hat er den Spieß umgedreht und Material von anderen Bands eingesammelt, ist mit CISFINITUM allerdings auch selbst vertreten. Die insgesamt fünf Projekte aus Russland, Deutschland, Großbritannien und der Ukraine steuern jeweils rund 15 Minuten lange, exklusive Stücke bei, die auf meditativen Drones basieren. Zusammen gehalten werden sie von der losen, titelgebenden Vorgabe 'sakral'. Ein Versuch also, etwas Heiliges, Religiöses einzufangen, eine 'höhere Sphäre', was allen Beteiligten auf ihre Art und Weise gelingt.

Die Herangehensweise von 1000SCHOEN, einem Ein-Mann-Ambientprojekt aus Bremen, ist die – und das ist nicht negativ gemeint – naivste von allen. Nichts klingt 'dark', die puren Ambientflächen warten mit Windspiel und Sitar auf. Wuchtige Geigendrones im Mittelteil und später auch eine E-Gitarre verleihen die nötige Intensität. "Dageraad" ist warme, freundliche Entspannungsmusik, deren urige, natürliche Stimmung manchmal an den Balkanfolk von SVARROGH erinnert, an einen Guru auf dem Hügel, der einsam sein Instrument bearbeitet.
TROUM, ebenfalls aus Bremen, sind sehr viel düsterer. Das Projekt um STEFAN KNAPPE von DRONE RECORDS arbeitet mit dicht aneinander gedrängten Drones, die klingen, als ob Wind durch unterschiedliche Metallröhren weht. Wie durch eine Nebelwand tauchen dazu an- und abschwellende, geloopte Chor-Versatzstücke auf. Ab der Mitte des Songs erwecken die verfremdeten Vocals den Anschein einer rituellen Beschwörung. Die Synthesizerflächen von TROUM decken die ganze Bandbreite nach der Einnahme von halluzinogenen Drogen ab: Mal ist es ein Gleiten durch Licht, mal stiert ein Alp durch dunkle Wolken. Streckenweise klingt "Palas Tyn" wie ein frühes, sehr abgedrehtes Instrumental von PINK FLOYD.
EVGENY VORONOVSKI beweist vor allem dadurch Klasse, dass er mit CISFINITUM nur wenig Material braucht, um große Welten zu erschaffen. In "Autumn Ritual" mäandern ausladende, träge und warme Synthesizer-Drones durch das All, eine – wie es so schön heißt – 'Reise durch Raum und Zeit'. Sollte die Menschheit einmal schockgefrostet werden müssen, um im Tiefschlaf auf einen anderen Planeten zu fliegen, ist diese elektronische Kammermusik in Superzeitlupe perfekt für den Kopfhörer im Kryogentank.
ROBIN STOREY alias RAPOON steuert mit "One Last Breath" den experimentellsten Track der Zusammenstellung bei. Der Mitbegründer von ZOVIET FRANCE arbeitet hauptsächlich mit Stimmeffekten. Dazu hat er sich sowohl beim KIEV CHAMBER CHOIR bedient und dessen Gesänge bearbeitet als auch die eigene Stimme aufgenommen und verfremdet. Alles zusammen ergibt Himmelschor-Drones, die allerdings verzischt und verzerrt sind. Die Tür in eine andere Welt steht zwar offen, ist aber unerreichbar. Im letzten Drittel des längsten Songs dieses Samplers (19:43) gehen die Gesangsloops in ebenfalls scheppernde Posaunenklänge über, die nach und nach immer klarer werden, so dass ganz zum Schluss ein winziges Stückchen Engel erhascht werden kann.
Den Schlusspunkt setzt der Ukrainer OLEGH KOLYADA, der unter vielen Namen aktiv ist. (Ein NONPOP-Interview mit ihm gibt es hier.) Als FIRST HUMAN FERRO zeigt er in der Regel ein etwas härteres, post-industrielles Gesicht, das sich nun aber der sakralen Gesamtstimmung anpasst: Wir dürfen bei der Entstehung eines Universums zuhören. Leuchtende, helle Wolken aus Synthie-Tönen ploppen wie zukünftige Planeten in eine noch nicht vorhandene Atmosphäre. Später untermalt ein Sample mit wunderbarer, irdischer Klaviermusik das Szenario. Dieses Vermischen zweier unterschiedlicher (Atmo)Sphären hat viel vom 'geistigen' Sound des Zwillingsprojekts ODA RELICTA.

Es gilt, was schon eingangs erwähnt wurde: Der Macher bürgt für Qualität. Das ist in diesem Fall nicht anders und umfasst selbstverständlich alle beteiligten Projekte, nicht nur CISFINITUM. Allerdings muss sich der Hörer über die meditative Anlage des Samplers im Klaren sein, damit es keine Überraschungen gibt. Bis auf einige TROUM-Passagen ist die Musik wesentlich mehr Ambient als 'Dark', die Drones sind beruhigend und viele von ihnen nicht von dieser Welt, das heißt typisch 'spacig'. Spaß macht ganz nebenbei auch die Interpretationsfreiheit, die "Sacral Symphony" bietet. Hinter den sphärischen Tracks können sich Weltraumabenteuer, religiöse Erfahrungen oder einfach – wie EVGENY VORONOVSKI das vorschlägt – 'russischer Spirit' verbergen. Guter Sound für die restfeierliche Stimmung der Nach-Weihnachtszeit.

 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» EE Tapes @ myspace
» RAPOON @ myspace
» FIRST HUMAN FERRO @ last.fm
» NEUTRAL-Rezi 1
» NEUTRAL-Rezi 2
» ODA RELICTA-Rezi 1
» ODA RELICTA-Rezi 2

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Zusammenfassung
Der Name VORONOVSKI verspricht Qualität und enttäuscht auch dieses Mal nicht. Drones zum lockeren Motto 'sakral' hat der CISFINITUM-Kopf von befreundeten Projekten eingefordert. Entstanden sind fünf bis zu 20minütige, feierliche Stücke zwischen zerstückeltem Chor und Windspiel.

Inhalt
- lim. 300
- verpackt im 7inch-Format

1 1000SCHOEN: Dageraad (16:28)
2 TROUM: Palas Tyn (14:03)
3 CISFINITUM: Autumn Ritual (14:47)
4 RAPOON: One Last Breath (19:43)
5 FIRST HUMAN FERRO: Sacral Sin (14:09)
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