Dieser Artikel wurde mit Musikbeispielen in der NONPOP-Hörschau Nr. 18 vertont!Die Idee der "Kreuzung"-Serie ist schon ein paar Jahre alt:
REUTOFF und ein befreundetes Projekt bespielen gemeinsam eine EP. Dabei entsteht, wie der Titel der Reihe schon verrät, kein reines Split-Album, auf dem beide nur eigene Tracks beisteuern. Jeder widmet zunächst ein oder zwei Songs seinem Gegenüber; das kann, muss aber kein reines Cover sein. Dann bleibt noch Platz für eigenes Material.
Außer der Zusammenarbeit mit
ANTLERS MULM im Sommer 2005 ("Kreuzung Eins", LP) ist aus diesem Konzept bislang nichts Hörbares entstanden. Nun sind am Ende des vergangenen Jahres auf dem REUTOFF-Hauslabel
EWERS TONKUNST gleich zwei weitere Folgen auf einmal erschienen: "Kreuzung Zwei" (CD) mit
TROUM aus Deutschland, dem Projekt von
DRONE RECORDS-Chef STEFAN, und die vorliegende Disc "Kreuzung Drei", eine Kombination mit
DER BLUTHARSCH aus Österreich.
Die Russen haben sich zwei der wie immer allesamt unbetitelten Tracks aus dem BLUTHARSCH-Album "When All Else Fails" (2001,
WKN) zur Brust genommen und daraus die beiden – betitelten – ersten Stücke gemacht. Eine Vorlage in altem BLUTHARSCH-Stil also, vor der Rockwerdung. Martialische Trommeln und historische Samples prägten das Klangbild, Sprechgesang und vereinzelte akustische Instrumente rundeten es ab. Die Österreicher widmen einen Track (4) der REUTOFF-Single "ReuTRauM III" (2001,
HAU RUCK!), einer klassischen REUTOFF-Veröffentlichung, die im Industrial-Chaos eine Balance zwischen Verwüstung und Melodie suchte. Die übrigen beiden Stücke, drei und fünf, sind jeweils eigene Kompositionen.
Zu Beginn erscheinen REUTOFF noch in ihrem Element, bei "Genetic Engineering" (1) klopft und rumpelt es gehörig. Die zahlreichen, musikalischen Verbindungen zu DER BLUTHARSCH fügen sich dabei nahtlos ein: Der peitschende Endlos-Trommelschlag, der russische Heldenchor und die undefinierbaren Samples im Hintergrund sind Bausteine beider Welten. Eine Low-Fi-Version von "Lili Marleen", der BLUTHARSCH-Hymne, ist natürlich Pflicht, bevor der rhythmische und im Mittelteil sehr melodiöse Track zu einem mächtigen Industrial-Brocken wird, bei dem sich zum Schluss alle Bestanteile übereinander schichten. "The Light..." (2) fiept die ersten Sekunden noch noisig, bevor eine märchenhafte Verwandlung vonstatten geht: REUTOFF goes handgemachter Folk! Die traurige, schmachtende Akustikgitarre erinnert gleich an
NEUTRAL, wehmütige Geigen und das Akkordeon an weitere, akustische Neofolkprojekte. Die Stimme dazu klingt, als hätte
DOUGLAS P. einen Unfall mit dem Vocoder von
MIKE OLDFIELD aus "Five Miles Out" gehabt. Ein Wahnsinns-Stück mit genau dem richtigen Gespür für russischen Weltschmerz! Dieser wird dann leider im letzten, eigenen Track (3) etwas dick aufgetragen: Zu sphärischen, zischenden, eisigen Sounds wirken Gitarre und Synthesizer billig, weil überstark auf Traurigkeit getrimmt.
Der erste BLUTHARSCH-Track ist heimtückisch, denn das lange Intro des Neunminüters lullt ein: Stoisch hält ein synthetischer Bass den Rhythmus, vorangetrieben von einem peitschenden Schlagzeug-Besen. Nur ein paar dezente Orgelklänge deuten an, was da noch kommt. Nach rund vier Minuten wird REUTOFF dann ordentlich Tribut gezollt. Allerdings ersetzen eben jene Orgelklänge die originalen Industrial-Sounds, was erstaunlicherweise funktioniert: Das wie im Rausch malträtierte Instrument hinterlässt durchaus einen zerstörerischen Eindruck. Nach dem Chaos erinnert der Rest des Songs an die langen, kühlen Intros von
HUMAN LEAGUE, bevor er sich endgültig in einem Drone auflöst. Das zweite, exklusive BLUTHARSCH-Stück (5) ist kurz, aber umso lustiger. Zu alten Samples erklingt softer Countryrock, wie ihn auch
TRUCKSTOP in der ZDF-Hitparade hätten spielen können. Karikiert wird die Musik durch die Aussagen der Tonband-Schnipsel – die ersten Worte könnten der Mitschnitt einer Predigt von
JIM JONES sein – und das teilweise irre Gelächter.
Keine Ahnung, ob Beinhart-Fans beider Projekte auf "Kreuzung Drei" finden, was sie suchen. Ich persönlich liebe Überraschungen beim Musikhören. Erst recht, wenn sie von so alteingesessenen Projekten ausgehen. REUTOFF fallen dabei sicher mehr aus dem Rahmen, denn ihr Neofolk unterscheidet sich deutlich vom 'normalen' Bandsound. Bei DER BLUTHARSCH wies ja spätestens das letzte Album – "The Philosopher's Stone" (Besprechung
hier) – schon in eine psychedelisch-rockige Richtung, weg vom Martial-Pop. Der Spaß an einer Vermengung ist beiden deutlich anzuhören, und allein der akustische REUTOFF- und der countryeske BLUTHARSCH-Track lohnen den Kauf. Bis zur nächsten "Kreuzung" wird es dieses Mal übrigens nicht so lange dauern: Ausgabe "Vier", eine Zusammenarbeit mit
DEUTSCH NEPAL, ist vom Label schon angekündigt.