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Michael We.
JÄGERBLUT: Tannöd"Drüm in Tannöd, dau is wos g'scheng!"
Genre: Experimental
Verlag: UMB Kollektif Erscheinungsdatum: November 2008 Medium: CD Preis: ~13,00 € Kaufen bei: Steinklang Jedes erfolgreiche Buch zieht eine Reihe von Zweitverwertungen nach sich, so auch der Überraschungs-Bestseller "Tannöd" aus dem Jahr 2006. ANDREA MARIA SCHENKEL erhielt für ihr Debüt zahlreiche Preise, bis heute wurden mehr als eine Million Exemplare verkauft. Der Kriminalroman greift eine wahre Geschichte aus dem Jahr 1922 auf, die bis heute als "Deutschlands rätselhaftester Mordfall" (DIE WELT) gilt. Auf dem oberbayrischen Einödhof Hinterkaifeck bei Schrobenhausen wurden in der Nacht zum 1. April 1922 sechs Menschen mit einer Hacke hingerichtet, darunter ein siebenjähriges Mädchen und ein zweieinhalbjähriger Junge. Die Morde wurden nie aufgeklärt, obwohl die bayerische Polizei bis 1986 (!) ermittelte. Allerdings kamen hinter der Fassade eines unscheinbaren, tief katholischen Dörfchens in Bayern andere Dinge wie Inzest, Rechtsextremismus, Okkultismus und angebliche Hellseherei ans Licht. Der Journalist PETER LEUSCHNER hat die Polizeiarchive durchkämmt und die Ermittlungen in seinem Buch "Hinterkaifeck" (1997) zusammengetragen. Die gebürtige Regensburgerin SCHENKEL übertrug den Fall mit vielen Details einfach in die 1950er-Jahre und stellte die Morde anhand von 39 fiktiven Zeugenaussagen nach. LEUSCHNER klagte wegen Plagiats, verlor den Prozess aber vor einigen Monaten. Der Norddeutsche Rundfunk hat aus dem "Tannöd"-Stoff bereits ein Hörspiel produziert. Momentan laufen die Dreharbeiten zu einem Film mit JULIA JENTSCH unter der Regie von BETTINA OBERLI (u.a. "Die Herbstzeitlosen"). Auch auf einigen Bühnen wird "Tannöd" gegeben, und hier kommen JÄGERBLUT ins Spiel. Die vier Bayern erhielten den Auftrag, die Musik für die einzige von Autorin SCHENKEL legitimierte Theaterfassung zu komponieren. Am Oberpfalztheater in Leuchtenberg wurde sie im vergangenen Oktober aufgeführt, stilecht in Mundart und auf einem alten Bauernhof. "Wir möchten für uns die Volksmusik neu erfinden", diesen Anspruch haben die vier Musiker, die nach wie vor nur ihre Pseudonyme ANTON KNILPERT, GIUSEPPE TONAL, GENEVIÈVE PASQUIER und TIKKI NAGUAL verraten. Manchmal gelingt dies mit der JÄGERBLUT-Mischung aus urigstem Alpinfolk und elektronischen Spielereien, wie schon auf dem hier von NONPOP besprochenen Vorgänger, dem Debütalbum "1896-1906". Manchmal wirken die reinen Dark Ambient-Flächen aber auch ein wenig verloren, was vermutlich an der Konzeption des Albums als Bühnensoundtrack für ein Theaterstück liegt. Sensationell gut ist der tragische Opener, urig-folkig mit Akkordeon, Blechbläsern und – sporadisch – zünftigem Bayerisch. Allen STURMPERCHTlern sei dieses Lied ans Herz gelegt, das außerdem mit Männer- und Frauenstimme im Duett exquisit intoniert ist. Nach einer solchen Eröffnung weilt der Geist in einem düsteren, bayerischen Dorf unter hohen Tannen, wo er von den nächsten, folkigen Tracks noch ein Weilchen festgehalten wird: Akkordeon und Gitarre versüßen marschierende Trommeln und mächtige Synthiewolken, später zupft sich eine Zither über Dark Ambient-Hintergünde und Alphorn-Drones, bevor im vierten Stück die Elektronik allen Platz einnimmt. Zur Mitte hin ballen sich dann Soundexperimente wie Transistorbrummen, Grummeln oder das Klappern von Schritten. In der zweiten Hälfte tauchen dafür wieder vermehrt kurze, akustische Zwischenspiele auf, auch Bläserchöre mit wagnerianischer Dramatik sind dabei. Das vorletzte Stück, ein rührend wackeliger Trauermarsch aus Akkordeon, Piano und Trommel leitet den Abschied ein. Zum Schluss, nach dem letzten Vorhang sozusagen, steht eine ebenfalls überzeugende, aber zurückhaltendere Variante des "Tannöd"-Starttracks, welche die Ereignisse abschließend zu kommentieren scheint. Die Musik von JÄGERBLUT passt meistens sehr gut zur Materie. Vor allem eingangs verkörpert eine Mischung aus Folk und Elektronik glaubhaft den Gegensatz zwischen unschuldigem Dorf und Grauen hinter den Kulissen, zwischen naiver, neofolkiger Naturverbundenheit und Sechsfachmord. Insofern bergen auch einige der geräuschigen Dark Ambient-Stücke viel "Tannöd"-Atmosphäre. Auszumachen sind zum Beispiel ein paar besonders gruselige Strecken, die perfekt den einen oder anderen Mordgedanken untermalen. Manche Synthie-Basteleien stehen ohne Theaterstück aber doch etwas einsam in der Landschaft, zumal bis auf den ersten und letzten Song nicht mit Stimme gearbeitet wird. Die Lektüre alter Zeitungsartikel zum Originalfall oder des Buches zum Stück helfen der Fantasie an solchen Stellen. Für das wurzelige Einödhof-Flair, die erwähnte Handvoll toller Stücke und die hörbare Leidenschaft der bayerischen Musiker für den Stoff aus ihrer Heimat zeigt der abschließende Daumen auf jeden Fall nach oben. Wegen der großen Nachfrage wird die "Tannöd"-Version des Oberpfalztheaters übrigens im kommenden Jahr erneut aufgeführt, und zwar im Kulturschloss Theuern (Kümmersbruck) am Freitag, den 27. und Samstag, den 28. Februar 2009.
Michael We. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » JÄGERBLUT @ myspace » Zeitungsartikel zur Aufführung Themenbezogene Artikel: » JÄGERBLUT: 1896-1906
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Zusammenfassung
Soundtrack zur Bühnenfassung von "Tannöd", dem Erfolgskrimi um einen Sechsfachmord in Oberbayern. Die Mischung aus urigem Folk und Dark Ambient transportiert gut den Gegensatz zwischen idyllischem Dorf und Grauen. Ein Kracher ist der Opener mit wurzeligem Bauernhof-Flair.
Inhalt
21 Tracks, alle ohne Titel
01 (3:41) 02 (3:43) 03 (3:53) 04 (3:47) 05 (3:53) 06 (3:41) 07 (3:40) 08 (2:49) 09 (2:42) 10 (1:26) 11 (5:03) 12 (2:55) 13 (1:54) 14 (8:35) 15 (1:01) 16 (4:33) 17 (3:30) 18 (4:51) 19 (1:11) 20 (4:53) 21 (3:19) |
hier gibt es ein ganzes hinterkaifeck industrial etc. compilation zum kostenlosen download
http://www.archive.org/details/kemn74
gruss gerald