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Roy L.

THOMAS NÖLA: The Rose-Tinted Monocle

sad young man of pleasure, obscene old gentleman...


THOMAS NÖLA: The Rose-Tinted Monocle
Genre: Vaudeville
Verlag: Eskimo Films...
Erscheinungsdatum:
31. Oktober 2008
Medium: Vinyl LP
Preis: ~0,00 €
Kaufen bei: Eskimo Shoppe


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Seien wir ehrlich, geschmackssichere Menschen haben es schwer im Jahre des Herrn 2008. Zu viele weinerliche, fragile Seelen innerhalb der neuen Indie-Generation haben seit einiger Zeit schon den Nimbus der großen Ernsthaftigkeit für sich gepachtet. Für den traditionellen, aufrichtigen Songwriter bleiben da nur die innere Immigration oder eben die Flucht auf den wenig rentablen Nischenmarkt. Einer wie THOMAS NÖLA (a wolf amongst men!) hat sich dennoch klar für Letzteres entschieden. Seit zwei Jahren produziert der stämmige Amerikaner aus dem "Hinterland" von Boston in Eigenregie, trotz beachtlicher musikalischer Qualitäten, kleine CD-R-Auflagen für einen Mikro-Mikrokosmos oder veröffentlicht über ebenso vergleichsweise kleine und einschlägige Labels (PUNCH:-RECORDS) für den nämlichen Hörerkreis. Nun, wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. NÖLA hatte sich in seinen bisherigen Werken wahrscheinlich zu viele Kapriolen und Schlenker geleistet, so dass er zumindest in unserer Szene wenn schon nicht als Spaßvogel, so doch wenigstens als ziemlich seltsamer und schräger Typ eher berüchtigt als bekannt ist. Nun erscheint pünktlich zu Halloween am 31. Oktober sein drittes richtiges Album (Die beiden Soundtracks zählen nicht.) mit dem ständig wechselnden Orchester und ich hoffe inständig, es herrscht allerorts noch genügend Bereitschaft, das ein oder andere Vorurteil anhand der Platte noch einmal zu überprüfen. Denn – so viel schon vorausgeschickt – „The Rose-Tinted Monocle“ ist vor allem in musikalischer Hinsicht ein beeindruckend ernsthaftes und ideenreiches Album geworden und davon abgesehen ein Werk, das einen ziemlich kompletten Eindruck davon vermittelt, wer oder was dieser THOMAS NÖLA eigentlich ist.
Wir erinnern uns kurz: Von dem Regisseur NÖLA hörten zumeist DEATH IN JUNE-Fans als Erstes, als dieser 2006 seinen Film „The Doctor“ mit DOUGLAS P. als „Gaststar“ in der Off-Camera-Rolle des Erzählers über SOLEILMOON / CACIOCAVALLO vorlegte. Bald darauf erschien neben dem selbst eingespielten Soundtrack auch das Debüt des Musikers THOMAS NÖLA: „So Long, Lale Andersen“ – ein immer noch recht merkwürdiges, aber viel Spaß und Freude versprühendes Teil, das den ganzen Charme der Belle Époque, samt Walzer und Foxtrott mit schwer verdaulichen elektroakustischen Experimenten versöhnte. Über PUNCH:-RECORDS folgte ein Jahr später das wesentlich song-orientiertere „Vanity Is A Sin!“, diesmal eine Brücke zwischen Gruftiromantik, 40er/50er Blues, Swing und Weimarer Cabaret schlagend, mit einem Hauch von dunklem aber nicht ernst genug gemeintem „dignity and solitude“ im Hintergrund. Wahrscheinlich war es hier eher die verschrobene Lo-Fi- Produktion, die viele unbedarfte Hörer ratlos zurückließ.
Seitdem ist eigentlich gar nicht viel Zeit verstrichen und „The Rose-Tinted Monocle“ erscheint in einem Intervall, das kaum eine wesentliche Weiterentwicklung vorvermuten lässt. Rein stilistisch hat sich dann auch tatsächlich nichts Weltbewegendes getan, NÖLA ist eben immer noch ein unheilbarer Nostalgiker, der sich mit seinen musikalischen und filmischen Interessen kaum in der Gegenwart aufhält (Es ist ja zugegeben auch eine karge Landschaft.) und ausgedehnte Gedankenreisen durch die letzten 100 bis 120 Jahre unternimmt. Diesmal wirkt dieser Anachronismus-Kick sogar noch weitaus intensiver, aber es scheint auch, dass durch das rosa getönte Glas hindurch zum ersten Mal ein sehr klarer und reifer Blick auf die Dinge möglich wird.
Neben den schon längst liebgewonnenen Mitstreitern, KAREN S. LANGLIE (Cello), ERIC DAHLMAN (Trompete) und  DEMIAN RECIO (Ô PARADIS) haben diesmal auch verdiente Helden wie JEROME DEPPE und DAVID E. WILLIAMS Einlass ins ehrwürdige „Orchestre“ erhalten und besonders letzterer scheint mir dort in der Tat am rechten Ort zu sein. Wer WILLIAMS schätzt und durchaus auch Ernst nimmt, hat eigentlich schon beste Voraussetzungen dafür, THOMAS NÖLA besser „verstehen“ zu können.
Zum Auftakt gibt es zunächst noch ein herzliches „Hello, Friends & Enemies“ – der Titel schmeckt zwar ein wenig nach „Douglas bewältigt jetzt seine gescheiterte Musikerkarriere“, bietet dagegen aber frischen, lockeren Folk-Wave mit Bass anno '79 und Hammond anno '68. NÖLA singt dazu gequält fröhlich wie ROBERT SMITH, aber mit WILLIAMS und DEPPE im Hintergrund kommt sicher genügend Gänsehaut bei den jeweiligen Friends und Enemies auf. Danach wird’s ernst. Tiefe Stimme, tiefschwarzes Piano, das Cello schwer und seriös wie von der Staatsoper gesponsert. Schon das Titelstück setzt die Dramatik-Messlatte überraschend hoch an und plötzlich durchfährt es einen: dieser verschrobene NÖLA kann doch tatsächlich richtige, überragende Songs schreiben und er singt sie dazu in einem so verführerisch maskulinem, düsterem, ekstatischem Grandeur und Soul, dass so manchem Zwangsromantiker die Tränen kommen würden. Das hat Stil, das ist ganz alte Schule und fehlerfrei vorgetragen. Neue Kerzenschein- und Cocktail Hour-Soundtracks kündigen sich hier ultimativ an und wer bitte ist eigentlich NICK CAVE?
Auch die nächsten Stücke veranschlagen ein erstaunlich hohes Niveau, das die Platte durchweg recht gut halten kann. Vieles ist dabei diesmal aus dem Ostküsten-Jazz der 20er und 30er Jahre zitiert, der mal NÖLA-typisch mit schrägen und industriellen Untertönen vermengt wird, sich oft aber auch reinrassig und unverfälscht zeigt und genau das ist im Grunde auch das Neue an „The Rose-Tinted Monocle“. Dieser joviale Drang, alles unbedingt auf „weird“ und „twisted“ drehen zu müssen, ist ein wenig verflogen oder doch zumindest auf ein Minimum zurückgeschraubt. Auch Neofolk-Referenzen leuchten daher seltener auf, dann aber sehr luzid, wie in „Pink Room“, das mit der schwärmerischen Trompete und den Chorälen am Ende viel alten DEATH IN JUNE-Geist atmet. Was dann übrig bleibt, findet irgendwo zwischen klassisch arrangierten Klavierballaden, altmodischem Americana, countryeskem Acid-Folk und keckem One-Thumb-Piano statt. Zu NÖLAs schneidiger Coolness gesellt sich immer noch ein leichter Hang zu psychedelischen Abschweifungen, die nun aber mehr historisch korrekt nach Löschpapier als die alkoholischen Exzesse der Vorgängeralben schmecken.
Höhepunkte sind dann auch freudigerweise die Regel. Diese kurze noisig-versiffte, narzisstische Cabaretnummer „Mon Petite Bête Noire“ mit DEMIAN hier und da im Raum umhergeisternd. Oder das zeitlos swingende „Exile On Broadway“ mit einem Kehrreim so süß wie stark verzuckerter Kaffee. Und NÖLA singt im besten Gute-Laune-Entertainer-Ton nihilistische Sätze wie: „I'm so sick and tired, every trick has been tried, so repulsed and afraid of the clown parade“, während im Hintergrund auf einem samtig weichen Bett von Hammond-Orgeln die Showbiz-Fanfaren dröhnen. Das große emotionale Feuerwerk liefert aber vor allem der ruhige Trauermarsch „Champagne Days“ mit seinem todtraurigen Hinterhof-Jazz, ein souliger Abgesang auf die Jahre der Verschwendung und der Exzesse. Hier ist NÖLA noch einmal auf einem ganz anderen Level, der Song könnte samt spacigem Trompetensolo genauso gut einem vertrauenswürdigen Jazz-Kanon des zwanzigsten Jahrhunderts entstammen. Auf „Pan's Highway“ geht es schlussendlich noch drei Minuten lang westwärts, also kosmische Hoffnungen oder vielleicht auch gerade nicht – die Präriegitarren steuern geradenwegs in ein acid-lastiges Finale.
Stellt sich nur noch die Frage, wie sieht man die Welt durch ein rosa getöntes Monokel? Durchaus ambivalent. Was auf dem einen Auge im einlullenden Rosarot noch verschwimmt, wirkt auf dem anderen umso deutlicher und reflektierter. Die Platte zeigt ein monochrom schillerndes Panorama der besseren Champagner-Gesellschaft Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, in die sich dann immer auch unreineres Bohème-Blut mischt. NÖLA erzählt kleine Anekdoten aus der Pose des zynischen, selbstverliebten Dandys oder des desillusionierten Broadwaystars heraus und entblößt so die ganze Banalität und Borniertheit, den Cafard einer von Jazzbars und Bordellen mürbe gemachten „Oberschicht“, obwohl er sich gleichzeitig davon fasziniert und angezogen zeigt. Noch ist NÖLA kein „obscene old gentleman“, aber immerhin längst schon ein „sad young man of pleasure“ und das WASHINGTON IRVING Zitat in „Champagne Days“ fasst mit dieser magischen Formel auch gut zusammen, worum es auf dem Album geht. Dieses Zugleich von luxuriöser Trunkenheit und dem Angewidertsein davon, beides nur Anzeichen einer Kultur, die gerade zur Zivilisation verkommt. NÖLAs Blick fällt naturgemäß auf eine Zeit des Umbruchs, und er hat diesen durch das Einglas hindurch sowohl mit schwärmerischem als auch nüchternem Blick in all seinem melodramatischen Ausmaß einfangen können.
Nun nur noch für die ewigen Nörgler: Die Produktion ist diesmal überraschend sauber, obwohl davon abgesehen immer noch im low-budget Heimaufnahmen-Terrain angesiedelt. Es wäre auch absurd, plötzlich High-End-Studiotechnik inklusive MORRICONE-Orchester und anderen Produzentenkitsch zu erwarten. Allein das Veröffentlichungsformat scheint auf den ersten Blick etwas undurchsichtig: Das Album erscheint offiziell auf Vinyl mit vier im Preis inbegriffenen Bonustracks zum Runterladen oder mit der Option, zum Vinyl eine CD-R mit dem kompletten Album inklusive der Bonustracks zu erwerben. Bei dreien dieser Bonusstücke handelt es sich um nicht restlos essentielle, kurze feuchtfröhliche Instrumentals, die mehr an die ersten beiden Alben erinnern, bei dem vierten um eine klassisch strenge Interpretation der bekannten SINATRA-Schnulze „As Time Goes By“, ein Song der schon eher zum Großen und Ganzen des „Rose-Tinted Monocle“-Universums passt.
Es scheint, THOMAS NÖLA sei mit diesem Album erwachsener geworden und weiß nun besser, wesentlich mehr von dem rüberzubringen, was es bereits auf „So Long, Lale Andersen“ und „Vanity Is A Sin“ zu sagen galt. Für die meisten normalen Menschen wird er wohl dennoch ein ziemlich unverstandener, komischer Vogel bleiben, aber was ist, zumal hier bei nonpop, denn auch schon „normal“?




A deep shade of blue seen through a pink lens
A century’s prism and the light it bends
Well, what can you do?
You know it’s been untrue
But it casts a pleasant view on you


 
Roy L. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Thomas Nöla Et Son Orchestre via MySpace
» Disques De Lapin

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Zusammenfassung
Soso: Thomas Nöla wird langsam erwachsen und legt ein Album voller seriöser Musik vor. Mit „The Rose-Tinted Monocle“ wirft man einen Blick auf die dekadente Champagner-Gesellschaft der 1920er. Dazu wird ein Variété aus Jazz, Americana und Düsterromantik serviert. Also: (Beide) Augen auf und durch!

Inhalt
Titel:

-Vinyl-

A
Hello, Friends & Enemies
The Rose-Tinted Monocle
Penelope On A Sandbar
Champagne Days
All The Queen's Men
Pink Room

B
Exile On Broadway
Mon Petite Bête Noire
Lady Grey
Houdini's Dead!
Frontenac Martini View
On The Red Tree Hill
Pan's Highway

42min


CD-R Version (nur gemeinsam mit Vinyl erhältlich)

01. Hello, Friends & Enemies
02. The Rose-Tinted Monocle
03. Penelope on a Sandbar
04. Champagne Days
05. All The Queen's Men
06. Under the Chandelier *
07. Pink Room
08. Rose-Veil Twists *
09. Exile on Broadway
10. Mon Petite Bête Noire
11. Lady Grey
12. The Cracked Mantle *
13. Houdini's Dead!
14. Frontenac Martini View
15. On The Red Tree Hill
16. Pan's Highway
17. As Time Goes By (hidden bonus)*

50min

*= Bonustracks (auch als mp3 mit Vinyl erhältlich)

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