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Michael We.

GNOSTIC GNOMES: Zwergenlieder

Avantgardistisches Wichteln in geistigen Bergen


GNOSTIC GNOMES: Zwergenlieder
Genre: Avantgarde
Verlag: T.u.T. / R.u.R.
Erscheinungsdatum:
Winter 2007
Medium: 2x Vinyl 5''
Preis: ~13,00 €
Kaufen bei: T.u.T. / R.u.R.


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Darf der Rezensent eine Veröffentlichung schon allein wegen des ungewöhnlichen Formats gut finden? Das ist eine von vielen Fragen, welche die gnostischen Wichtel mit ihren sieben Stücken letztendlich offen lassen. Die nächste wäre: Was bewegt zwei Projekte, die üblicherweise der Ernsthaftigkeit verbunden sind, zu solch einem humoristischen Ausflug? 'Ich weiß es nicht', lautet die immergleiche Antwort, und das ist gut so. Denn zu viel Wissen und Nachdenken würde den Zauber, der die "Zwergenlieder" zweifellos umgibt, vielleicht kaputt machen.
GNOSTIC GNOMES ist die Kollaboration des Hamburger Duos WERMUT (LASZLO P.S. und SOFIA E.R.) mit den beiden inzwischen aus Wien nach Spanien umgezogenen Musikern von NOVÝ SVĚT (JÜRGEN WEBER und FRL. TOST). Die Damen und Herren arbeiten nicht zum ersten Mal zusammen; so hat FRL. TOST einige Instrumente auf dem letzten WERMUT-Album "Anna" beigesteuert (NONPOP-Rezension hier). Zum ersten Mal bekommt diese Zusammenarbeit allerdings einen eigenen Namen und eine eigene Geschichte; dazu gleich mehr. Beide Formationen sind Experten für Stimmungsmalerei, wie in den genießerischen Rezensionen meines Kollegen ROY L. ausführlich nachzulesen ist. Aufgrund ihrer Vielfältigkeit und der ungewöhnlichen Musik, die den Namen Avantgarde auch wirklich verdient, sind sie schwer in Kategorien zu stecken. Weil es hier aber weniger um die beteiligten Projekte und mehr um das Produkt geht und die Einführung sonst zu lange geriete, soll dieses Mal 'experimenteller, mehrsprachiger Elektro-Folk' für NOVÝ SVĚT und 'warmer Minimal-Elektro' für WERMUT genügen.
Für die "Zwergenlieder" haben die beiden Musikerpaare eine versponnene Legende kreiert, die auf der Innenseite des mehrfach ausklappbaren Covers im CD-Format notiert ist. Danach bilden die sieben Stücke eine hispanische Zwergenkultur ab, die bis ins 20ste Jahrhundert hinein noch existiert haben soll. Unter den Gnomen lebte ein einzelner Mensch, der das kleine Volk zwar einerseits vor Übergriffen beschützte, ihm andererseits durch Plastikmitbringsel (und Plexiglas, das auch in einem der Songs eine Rolle spielt) den Untergang brachte. Zusammen mit der allen gnostischen Lehren gemeinsamen Verurteilung der materiellen Welt – so auch ganz bestimmt bei den Gnostischen Zwergen – und dem Hinweis, die Menschen würden heute einem Zwang unterliegen, alles zur besseren Tragbarkeit zu verkleinern, lässt sich die Geschichte der Zwergenkultur auch als lupenreine Zivilisationskritik lesen. Das Klappcover weist neben dem Text zahlreiche Bilder von Holzfiguren, -masken und -hütten auf; zwei davon prangen auch auf den Labels der A-Seiten der beiden winzigen Vinylscheibchen. Die Krönung ist ein kleines, buntes Gartenzwergbildchen, das diesem Gesamtkunstwerk beiliegt.



(Originalbeilage aus den "Zwergenliedern")


Deuten die Coverbilder schon irgendeine Art der Verwandtschaft zu STURMPERCHT an, setzt die Musik diesen Eindruck fort. Viele Stellen klingen wie eine minimalelektronische Variante der österreichischen Alpin-Folker. Nach einer nur sekundenlangen Einführung durch einen höhligen Dark Ambient-Tunnel befinden wir uns schon mitten im Gebirge, wo Schneewittchen und der "Mountain Spirit" besungen werden. Das mit Bass fast wavige, erste Stück bekommt seinen urigen, rohen Charakter durch ein Marimbaphon und den heulenden, beschwörenden, ekstatischen Gesang. Ein Schamanengnom könnte hier am Werk gewesen sein. Wenige Sekunden später, hinter einem Fetzen improvisierten, französischen Folks, zupfen zum ersten Mal die Zwerge an meinem Hosenbein. Zu Gitarre, Akkordeon und wieder diesem karibischen Marimbaphon-Sound kichern, hüpfen und unterhalten sich im Hintergrund kleine Gestalten mit Helium-Stimmchen. Die Wichtel beehren den geneigten Hörer dann auf Seite 3 auch mit Gesang und tragen "Hymnus Nanologicum", die Zwergenhymne, vor, in der dem erwähnten Plexiglas gehuldigt wird und zur Liedermachergitarre auch viele andere, sich reimende Nonsens-Wörter mit 'x' ('ixi, axi, uxi'; auch ein 'Kruzifix' kommt vor) zum Besten gegeben werden. Die Reise beendet ein Progfolk-Song, dessen Titel "Der Tanz des Wurzelwichts" ein weiterer – wertneutraler – STURMPERCHT-Verweis ist. (Deren erste Single hieß "Der Tanz des Tatzelwurms".) Nach dieser Instrumental-Mischung aus Synthesizer, Flöte und Gitarre geht es so flugs wie einwärts wieder hinaus durch die gebirgige Höhle auf eine Lichtung.
Progressive Folk, elektronische Avantgarde... Begriffe gibt es viele, um diese Musik zusammenzufassen. Die sieben – aufgrund der wenigen Rillen von 5inch-Vinyl sehr kurzen – Stücke, welche in einem Produktionszeitraum von rund zwei Jahren entstanden sind, bestechen aber quer durch verschiedene Stile vor allem durch eines: Authentizität. Mit einem akustischen Fernrohr zoomen die Songs eine vergangene Welt heran und machen es leicht zu glauben, dass die zivilisationsfernen Winzlinge einmal existiert haben. Die puristischen, urigen, experimentellen und geistig freien Klänge bringen die gnostischen Zwerge zu uns nach Hause und werfen ein wenig Licht auf 'einen der letzten heiligen Plätze in unserer sich permanent auflösenden Welt'. (Ein Zitat aus den Begleitworten der beiden Bands.) Als gestrenger und professioneller Musikhörer hat man nun zwei Möglichkeiten: Man begibt sich in den Zwergenkosmos, lässt sich von der Atmosphäre dort anstecken und empfindet zwölf Minuten lang eine beachtliche Freude. Oder man bleibt außerhalb und hegt dann vielleicht den Verdacht, einige Passagen ('ixi trixi') seien recht albern. Ich empfehle ersteres. Für mich ist seit den "Zwergenliedern" klar, dass in meinem Herzen schon immer der ein oder andere hispanische Gnom gewohnt hat. Jetzt kann ich ihm ab und zu seine Lieblingsmusik vorspielen.

**********

Nachsatz 1: Für NOVÝ SVĚT könnten die "Zwergenlieder" übrigens die letzte Veröffentlichung gewesen sein, denn – wieder einmal – kursiert die offenbar von JÜRGEN WEBER ausgehende Information, dass das Wiener Projekt nicht mehr existiert. Das Gerücht erschien zeitgleich zu dieser Veröffentlichung auf der myspace-Fanseite; allerdings weiß der NOVÝ SVĚT-Fan der ersten Stunde mit diesem dauerhaften Schwebezustand aus Erfahrung gut umzugehen...

Nachsatz 2: ...ist ein technischer Hinweis. Diese Rezension ist unter anderem deshalb einige Zeit nach der Veröffentlichung erschienen, weil es sich als gar nicht so einfach entpuppte, 5inch-Platten zum Klingen zu bringen. Mit manchen automatischen Plattenspielern ist es unmöglich, alles andere erfordert sehr viel Geduld, eine ruhige Hand und eine stabile Abtastnadel im Falle eines Abrutschens von der zwergenhaften Einlaufrille.

 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Fanseite von NOVY SVET @ myspace
» NOVY SVET @ discogs
» NOVY SVET-Newsgroup
» WERMUT @ discogs

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Zusammenfassung
WERMUT und NOVÝ SVĚT entführen ins Land der Wichtel. Hinter der erfundenen Gnomenwelt stecken: 12 Minuten Experimentalfolk, Materialismuskritik, ein wunderbares Artwork und jede Menge Spaß. Wer genug Geduld für die zwergenhafte Einlaufrille der winzigen Vinylscheibchen hat, muss zugreifen.

Inhalt
- lim. 495, handnumeriert
- 2x Vinyl 5''
- 8fach-Klappcover
- 1 Papierzwerg
- 7 Tracks, ca. 12 Minuten

01. Weisz wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz (I)
02. The Mountain Spirit
03. La Pantomime Triste
04. Svartalf Svarfadr
05. Hymnus Nanologicum
06. Der Tanz des Wurzelwichts
07. Weisz wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz (II)
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