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Michael We.

ORCHESTRA NOIR: The Affordable Holmes

Die Abenteuer des TONY WAKEFORD


ORCHESTRA NOIR: The Affordable Holmes
Genre: Neo - Klassik
Verlag: Extremocidente
Erscheinungsdatum:
April 2008
Erstellt: 14.05.2008
Preis: ~12,00 €
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Ach wie gut kann der alte WAKEFORD sein, wenn er das richtige Thema findet! Zuletzt gelang ihm das mit "Into The Woods" (Nonpop-Besprechung), einer Sammlung von Geschichten aus den dunklen und düsteren britischen Wäldern. Die nicht immer ganz treffsichere Stimme WAKEFORDs nervt in einem solchen Fall nicht, sondern unterstützt das Sujet auf magische Weise. Eher missglückt ist dagegen das jüngste Album "Marble Heart" (GREY FORCE WAKEFORD, Nonpop-Besprechung), weil es trotz guter Ansätze streckenweise beliebig-experimentell wirkt. Nun wird mit ORCHESTRA NOIR das L'ORCHESTRE NOIR der 1990er wiederbelebt, das viele für das beste WAKEFORD-Projekt halten. Damit ist auch schon klar, dass es um ein spezielles Thema geht, denn Ziel des 'Orchesters' waren immer neoklassische, monothematische Kompositionen, wie WAKEFORD in vielen Interview betonte; ein Schritt auf dem Weg zum Filmsoundtrack, den er schon immer gerne schreiben wollte. So drehte sich "Cantos" (1997) um die Rolle von Gärten in der Menschheitsgeschichte. (Diesem Interesse begegnet der Hörer immer wieder in WAKEFORDs Arbeiten.) "11" (oder auch "Eleven", 1998) sollte 'ein Requiem für die Toten des Ersten Weltkriegs' sein (WAKEFORD). Unterstützt wurde L'ORCHESTRE NOIR von prominenten Neofolk-Musikern wie ERIC ROGER (GAË BOLG) oder SALLY DOHERTY, von denen heute aber keiner mehr mitwirkt; vielleicht ist aus dem 'E' am Ende des Namens deshalb ein 'A' geworden, um den Unterschied zu damals deutlich zu machen. Aktuell sind unter anderem der klassische Oboist MARK BAIGENT und die kanadische Folksängerin AUTUMN GRIEVE an ORCHESTRA NOIR beteiligt. Veröffentlicht wurde das 'Revival' auf dem kleinen portugiesischen Label EXTREMOCIDENTE.

Gleich geblieben ist der Ansatz: neoklassische Kompositionen zu einem filmischen Thema. "The Affordable Holmes" ist ein Tribut an den 1995 verstorbenen britischen Bühnenschauspieler JEREMY BRETT und seine TV-Darstellung des SHERLOCK HOLMES, mit der er in den 1980er-Jahren berühmt wurde. BRETT, der sich durch unzählige Theaterrollen gespielt hatte und unter anderem mit AUDREY HEPBURN auf der Bühne stand, bekam im Alter von 50 Jahren das Angebot der britischen Fernsehproduktionsfirma GRANADA TV, den SHERLOCK HOLMES in einer TV-Serie zu spielen. Geplant waren zunächst nur 13 Episoden, nach guten Kritiken (vor allem in den USA) wurde sie um weitere Folgen verlängert. Außerdem spielte BRETT den HOLMES in fünf Filmen, darunter der Klassiker "Der Hund von Baskerville" (1988). Unter HOLMES-Fans gilt BRETTs Darstellung bis heute aus vielen Gründen als die beste Umsetzung der Erzählungen von SIR ARTHUR CONAN DOYLE. Das Drehbuch der Serie ist absolut werkgetreu und verzichtet auf das Hinzufügen von füllenden Details. Die kammerspielartige Szenen, häufig in der Wohnung von HOLMES und WATSON in der Baker Street angesiedelt, vermitteln exzellent und intim das viktorianisch-plüschige Flair. Dazu kombiniert BRETT-HOLMES gutaussehend, mondän, eitel und überheblich, während draußen, auf nebligen Londoner Straßen oder einsamen Landgütern, die Verbrechen geschehen, die HOLMES als aufklärenswert betrachtet. BRETT, so berichteten Kollegen, fehlte zuletzt zunehmend die Distanz zur Rolle, er konnte den HOLMES auch nach Drehschluss nicht mehr ablegen. Von Medikamenten gegen Depressionen und Herzbeschwerden aufgeschwemmt, entfernte er sich optisch von der schlanken Romanvorlage, begeisterte allerdings bis zum Schluss mit seiner holmesianischen Gestik und Mimik. 1995 starb er im Schlaf an Herzversagen, Gerüchte ranken sich bis heute um einen angeblichen Selbstmord.

Das erste der sechs Stücke auf "The Affordable Holmes" basiert sehr stark auf der Titelmelodie der Serie; aus der dort energischen, manchmal fast schrillen Geige, die zum hektischen Treiben der Baker Street aufspielt, wird hier eine langsame, seufzend zarte Oboe, zu der sich erst später dunkle und aufgeregtere Streicher gesellen, mit denen man zum ersten Mal durch die nebligen Straßen des viktorianischen London huscht, immer auf der Hut vor skrupellosen Verbrechern. Nun setzt WAKEFORD ein und besingt die Geschichte eines Frauenmörders. (Tote Frauen tauchen auch in den Erzählungen von DOYLE immer wieder auf.) Bei diesem Thema, wie sollte es anders sein, unterstützt die Stimme von WAKEFORD den Inhalt, macht ihn mit der fast verzweifelt wirkenden Rezitation erst plastisch. Der Sprechgesang wird im nächsten Stück noch vortragender, klingt mit sehr viel Hall wie eine Litanei in einer großen Kirche, in die sich ein Spaziergänger kurzfristig vor dem Nebel geflüchtet hat. Das leise Piano und die schräge Oboe fließen gleichförmig, wie begleitend zu einer Szene. Track 3 fängt am besten den Charakter von HOLMES ein, das Manische, Zwanghafte, das ihn immer umgibt. Dazu gehören die Momente, in denen der Drogenkonsum seinen Geist vernebelt, ebenso wie die jener äußersten geistigen Klarheit kurz vor der Lösung eines Falls. Geigen disharmonieren wie beim Üben im Orchestergraben, darüber schwebt eine COCTEAU TWINS-Stimme. Diese Mischung verdeutlicht außerdem ganz besonders den fragmenthaften, unfertigen Charakter, der die komplette EP umgibt. "By The River" ist kurz und sehr experimentierfreudig, wie in den frühen Tagen des Neofolk von unverständlichen Tonschleifen geprägt. Es folgt das schönste Stück von "The Affordable Holmes", mit Potential zum WAKEFORD-Klassiker: Zu einer einfachen Klaviermelodie, die nur ab und an von kurzen Flötensequenzen unterbrochen wird, singt WAKEFORD eines der traurigsten Lieder seines Lebens (im Duett mit gehauchten weiblichen Vocals), zu dem man seine letzten Hemmungen ablegt, sich vor den titelgebenden "Last Train" zu werfen. Hier zeigt der Brite wieder einmal, welch ausgeprägten Sinn für melancholische Schönheit er hat. Der letzte Track ist eindeutig der Abspann, HOLMES hat seinen allerletzten Fall gelöst, die Namen aller Beteiligten laufen zu einem jazzigen Piano über den schwarzen Schirm, und zum Schluss, wenn alle schon gegangen sind, hat AUTUMN GRIEVE noch einen kurzen, folkig-düsteren Auftritt.
Um den Anfangsjubel etwas (aber nur etwas) zu relativieren: Ich bin mir nicht sicher, ob die knapp 25 Minuten auch ganz ohne die Liebe zur Serie funktionieren. Sie wirken manchmal doch sehr experimentell oder unfertig, wie Skizzen, aus denen später noch Gemälde hätten werden sollen. (Eigentlich war nur die Veröffentlichung einer einseitigen Vinylsingle geplant.) Außerdem verweist der Opener unmittelbar auf die Titelmelodie. Andererseits bedarf die Atmosphäre, welche die ORCHESTRA-Musik an vielen Stellen sehr gut aufgreift – Nebel, Dunkelheit, Verbrechen und Manie – keiner stundelangen filmischen Einführung. Dazu beinhaltet die EP zwei hervorragende WAKEFORD-Songs (den Opener und "The Last Train"), die auch für alle anderen Freunde seiner Musik den Kauf lohnen dürften. Kurzweilig und eine Anregung, etwas ausführlicher in den Memoiren von HOLMES zu stöbern, ist sie auf jeden Fall.

 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» WAKEFORD @ myspace
» ORCHESTRA NOIR @ myspace

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Zusammenfassung
Diese WAKEFORD-EP widmet sich der erfolgreichsten SHERLOCK HOLMES-TV-Serie. Nebel, Verbrechen und manische Genialität sind ihre Themen; die Musik bezieht sich teilweise auf die originale Titelmelodie. Der Kauf lohnt auch für Nicht-HOLMES-Fans, vor allem wegen zweier starker Stücke von WAKEFORD.

Inhalt
1 The Theme From Affordable Holmes (5:14)
2 London Clay (5:19)
3 The Return Of ... (4:29)
4 By The River (1:50)
5 The Last Train (3:15)
6 Gone (4:02)
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