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Michael We.

THE NITS: Doing The Dishes

Die wollen nur spielen...


THE NITS: Doing The Dishes
Genre: Avantgarde
Verlag: Werf Records
Erscheinungsdatum:
Januar 2008
Medium: CD
Preis: ~17,00 €
Kaufen bei: JPC


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Was haben die NITS mit NONPOP zu tun? Ich sehe die fragenden Denkblasen über den Köpfen der Leser. Sie hatten einen Charthit, die Niederländer, den vermutlich jeder kennt. 1987/88 sangen sie monatelang "In The Dutch Mountains" aus den Radios. Ein schwermütiges, aber trotzdem ungemein mitreißendes Drei-Minuten-Stück zwischen New Wave und Pop, das sie in der Musikpresse auf eine Stufe mit XTC und den TALKING HEADS hob und ihnen später den zweifelhaften Titel 'One-Hit-Wonder' einbrachte. Aufgenommen hatte es die Band in einer alten Turnhalle, in nur einem Durchgang auf ein Zweispur-Tonbandgerät gebannt, ohne nochmal nachzubessern. Alle DJs und VJs mussten damals nicht lange über eine Anmoderation nachdenken, denn... wer hat in den flachen Niederlanden jemals einen Berg gesehen? (Diese Moderation hielt sich übrigens genauso lange wie der Hit.) Selbst der durch den Videoclip rudernde Mann kam nicht an einem einzigen Hügel vorbei. Das ist einer der Tricks der NITS: Sie arbeiten mit Ironie, verstecken Obskures, Surrealistisches, Dadaistisches seit mehr als 30 Jahren hinter ganz hervorragender Musik, mit der sie ebenso freizügig umgehen wie mit ihren Texten, denn die Alben der 'Läuseeier' haben zwischen Klassik, Pop, Avantgarde und Jazz alles gesehen, nur nicht viel von der Welt. Obwohl ihre Musik oft international bejubelt wurde, verkaufte sie sich doch nur zuhause wirklich gut, mit Ausnahme des Livealbums "Urk", das 1989 erschien und es auf mehr als 100.000 Exemplare brachte.


"Omsk" 1983

Gegründet wurden THE NITS von vier Amsterdamer Kunststudenten in einer Kneipe im Jahr 1974. Zwei der ursprünglichen Mitglieder sind heute noch dabei, Sänger und Komponist HENK HOFSTEDE und Schlagzeuger ROB KLOET. Noch vor GRUPPO SPORTIVO waren sie die erste niederländische New Wave-Band, machten sich allerdings bald in klanglich wärmere Gefilde auf. Das Visuelle spielte – wie bei KRAFTWERK, einem ihrer Vorbilder – von Beginn an eine große Rolle. Allerdings versuchten sich die NITS unter Anleitung von HOFSTEDE weniger an Bühnenshows oder Videos, sondern setzten die (Kopf)Bilder oder kurzen Szenen in ihren Songs um, so dass die Alben oft wie ein Gang durch eine Ausstellung klingen, wie die Vernissage des schüchternen Künstlers aus dem Hinterhaus.
Häufige Themen der NITS sind Tod, Verlust und Abschied, was daran liegen könnte, dass die Niederlande, wie die TAZ einmal feststellte, das melancholischste Land der Welt sind, weggespült ohne die schützenden Deiche. Beispiele: Auf "dA dA dA", dem poppigsten Album (1994), ist ein Song allen Kindern gewidmet, die in Kriegen gestorben sind ("Mourir Avant 15 Ans"). Auf "Wool" (2000) geht es ganze zwölf Lieder lang um den Tod, der Abschied nehmende Titel der Platte von 1984 – "Adieu Sweet Bahnhof" – steht für sich, und auf dem Album, das so heißt wie der Hit ("In The Dutch Mountains", 1987), isst ein Haus seine Besucher auf. Ihren Hang zur Kunst besingen die NITS ebenfalls immer wieder, wenn sie ihren "Bauhaus Chair" nicht mehr finden oder "A Touch Of Henry Moore" beschwören. Die Liebe zu fantasievoller Instrumentierung und schönen Arrangements kommt auf Platten wie "Hjuvi" (1992) oder "Ting" (1991) besonders zur Geltung; erstere eine sinfonische Komposition, welche die Band zusammen mit dem Radiosinfonie-Orchester der Niederlande einspielte, zweitere ein leises, kammermusikalisches Album, auf dem ein befreundeter Schweizer Bildhauer Steine zum Klingen bringt. Ganz anders wieder "Giant Normal Dwarf" (1991), ein surrealistisches Märchenbuch, gedacht für HOFSTEDEs damals gerade geborene Tochter, oder "Alankomaat" (was auf Finnisch 'Niederlande' bedeutet, 1997), mit nordischen Begleitgesängen. Alle Alben verbindet, dass immer geträumt wird. Fragil, zart und sehr melancholisch.


"Giant Normal Dwarf" 1991

So überraschend wie die Studioarbeit der Niederländer ist, sind oft auch ihre Konzerte. Manchmal dauern sie stundenlang, weil die Band sich am Ende der Setlist an den Bühnenrand setzt und so lange akustisch weiterspielt, wie das Publikum Lust hat. Alte Songs werden live neu interpretiert und häufig mit regionalen Gastmusikern gespielt. Die Alben der vergangenen Jahre litten allerdings etwas unter den ständigen Besetzungswechseln und den Dauergerüchten um Auflösung. Der ganzheitliche Charme fehlte, weil die Schere zwischen den herausragenden Songs der jeweiligen CDs (wie "The Key Shop" auf dem bisher letzten Album "Les Nuits") und den anderen einfach zu groß war.
Aber: THE NITS sind wieder zurück und so charmant wie zu ihren besten Zeiten. "Doing The Dishes" ist mit Sicherheit ihr bestes Album der vergangenen zehn Jahre, seit "Alankomaat". Wie auch immer er es anstellt - HENK HOFSTEDE (geb. 1951) klingt wie 20, noch mehr nach dem jungen ELVIS COSTELLO als früher. Gleich der Opener "No Man's Land" ist von einer für die NITS typischen, mitreißenden Schwermut. Musikalisch ähnelt der Song dem zwei Dekaden alten "In The Dutch Mountains", und auch eine Tiefebene kommt darin vor. Das beschwingt countryeske "Toe In The Water" wartet mit einem typischen, surrealistischen Text auf ("Du trinkst den See, ich esse eine Zaungrasmücke"). Apropos 'Country': Manchmal erinnert die Musik ein wenig an die einzig wahre deutsche Countryband FINK, in anderen, poppigeren Momenten an die verträumten Songs der MAGNETIC FIELDS. Die erste Singleauskopplung "The Flowers" ist eine ergreifende Ballade über – selbstverständlich – den Tod und diejenigen, die ihr Leben lang allein zurückbleiben. Fast rockig und sehr energisch kann sie es locker mit jeder RADIOHEAD- oder COLDPLAY-Nummer aufnehmen. Die avantgardistische Note liefert das Stück "I'm A Fly", bei dem HOFSTEDE leicht knödelnd jeden Satz mit 'I am' beginnt. Als letzter Song (Insgesamt sind es 15, von denen keiner abfällt.) sei "Heart" genannt, eine spartanisch instrumentierte und im JOHNNY CASH-Stil vorgetragene Singer/Songwriter-Nummer zum Thema "Inspiration".


"dA dA dA" 1994

"Doing The Dishes" ('Den Abwasch machen' –- was so ein Titel zu bedeuten hat, darf man bei den NITS nicht fragen.) ist wie ein Best Of-Album, obwohl natürlich alle Songs neu sind. Aber die Niederländer haben hier ihr Bestes aus 33 Bandjahren zusammengetragen: Spielfreude, Melancholie, Ironie, ein sicheres Gespür für emotionale Songs. Und alles, was sonst in meiner kleinen Lobhudelei bereits aufgezählt wurde. Die CD ist fast durchweg rockiger als gewohnt, verstärkt damit aber noch den Eindruck, dass beim Einspielen alle Beteiligten die größtmögliche Empathie an den Tag legten. HENK HOFSTEDE wird in diesem Jahr 57. Ich wünsche mir, dass auch in den Niederlanden die Rente mit 67 eingeführt wird. Denn dann würden wir mindestens noch 10 Jahre lang (Non)Pop von einer der interessantesten Gruppen der Welt bekommen.
Ein schöner Einstieg in den NITS-Kosmos ist übrigens die 2006 wiederveröffentlichte Doppel-CD/DVD "Urk", mit dem Amsterdamer Konzert von 1988 in Ton und Bild, inklusive vieler neu dazu gekommener Extras, etwa Aufnahmen von den NITS in Moskau.


"Alankomaat" 1998

 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Fanseite
» seltene Files zum Download
» HOFSTEDE singt COHEN
» "Keyshop"-Video
» NITS @ youtube
» "In The Dutch Mountains" original (Video)
» "In The Dutch Mountains" auf niederländisch (Video)

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Zusammenfassung
THE NITS gibt es seit 33 Jahren. Das allein ist noch kein Qualitätsmerkmal. Circa 200 wunderbare, avantgardistische Popsongs, die sie neben ihrem einzig bekannten Hit produziert haben, aber schon. Auf dem neuen Album präsentieren die Niederländer in 15 Stücken ihre besten Eigenschaften.

Inhalt
01 No Man's Land
02 Toe In The Water
03 The Great Caruso
04 The Flowers
05 In Dutch Fields
06 Five & Dime
07 Lenin And The Wounded Angel
08 Cowboys & Indians
09 I'm A Fly
10 Mrs. Sunlight
11 Moon Dog
12 Heart
13 Yesterday
14 Grrr...To You
15 The Wins
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