Da ist es wieder, dieses ANTLERS MULM-Gefühl. Spätestens seit der wunderbaren "Weihnachtsfunk 3"-CD aus dem vergangenen Jahr (Rezension
hier) hat die Musik des Leipzigers HANS JOHM für mich mit der Weihnachtszeit zu tun, mit der nachdenklichen und melancholischen Stimmung dieser Tage. ANTLERS MULM zu hören ist dann, wie in einer beheizten Dachstube zu sitzen, wenn alle anderen schon schlafen. Draußen schneit es, und die wenigen Geräusche sind noch gedämpfter als sonst zu dieser menschenleeren Zeit. So denkt man, wohlig gewärmt im Obergeschoss, über die Welt nach und kommt vor dem Morgengrauen zu dem Schluss, dass diese ganz schlecht doch nicht sein kann. Ja, recht pathetisch klingt das, und "Of Withered Sparks" ist kein Stück Musik aus der "Weihnachtsfunk"-Serie, aber der Name ("Von verglühenden Funken") und die Veröffentlichungszeit - wie nahezu alle ANTLERS-Alben erscheint die CD in einem Dezember - legen nahe, dass auch in dieser CD ein bisschen Weihnachten für alle wohnt.
Es sind die warmen Beeps, Spots, Plings und Plongs, die ein sofortiges Wiedererkennen leicht machen. Auch der herzbewegende, glöckchenähnliche Synthiesound (mein Lieblings-Beep), nach dem HANS JOHM bestimmt tage- und wochenlang die Tasten seiner Geräte abgesucht hat, bis er ihm entgegenrieselte, ist wieder da. Trotzdem ist "Of Withered Sparks" anders als seine Vorgänger; noch ein Stückchen dichter am perfekt melancholischen Song. Wurden auf "Weihnachtsfunk 3" (2006) und "Reverse" (2005) eher schwebende, manchmal ambienthafte Stimmungen vertont, finden sich auf dem neuesten Album zehn Lieder per Definition: rhythmischer, gegliederter und präsenter als früher. Ein behutsames, aber hörbares Voranschreiten, das hier und da ganz in der Nähe eines Hits innerhalb des ANTLERS MULM-Universums Halt macht. Die Präsenz hat vor allem mit der Stimme von HANS JOHM zu tun, die meist nicht mehr so stark in den Hintergrund verfremdet wird. Die Texte (alle englisch) sind deutlich hörbar, außerdem im Booklet abgedruckt, und es gibt kein Instrumental auf "Of Withered Sparks". Lyrisch geht es zu, wenn Haselnusssträucher und Vögel in den Winterschlaf fallen, Sonnenblumen von Tageslicht träumen und Einsame ihren Gedanken nachhängen. Neu und sehr präsent ist auch das wavige Element, um welches das Klangspektrum erweitert wurde, so als ob das Stöbern in alten JOY DIVISION- und
NEW ORDER-Platten eine Inspiration gewesen wäre.
Der erste Song ("4 am") nimmt an der Hand, ist die schwebende Brücke zwischen den vergangenen Alben und dem neuen, bevor mit "White Tears" die Welt des in Schnee und Dämmerung gepackten Slowmotion-Wave beginnt. "Painted Grave" rollt den Teppich in eine Welt ohne Glühbirnen mit einer fast druckvollen Melodie weiter aus, und das spacig dahinschwebende "End Of Words" - ein Hauch von einer
ULTRAVOX-Ballade ohne die schmetternden Vocals - bereitet auf den Höhepunkt vor: "Sunflowers", das in einer leicht abgeänderten Version schon den Labelsampler "
Funkfeuer 3" (2007) schmückte. Nur wenige Lieder baden so empathisch in der Stimmung, die eine (Winter)Nacht verbreiten kann. Zwei weiche, schimmernde und glitzernde Songs eröffnen die zweite Hälfte des Albums; eine Klammer aus zwei kühleren, fast avantgardistischen Tracks (vor allem 8, "Shattered Pearl") mit einem ganz wave-freien Stück Minimalpop dazwischen bildet den Schluss.
Dem Leipziger HANS JOHM ist es gelungen, ANTLERS MULM mit Bedacht ein paar Bausteine hinzuzufügen, ohne andere wegzunehmen. Die etwas wavigere, songorientiertere Grundrichtung ergänzt sich perfekt mit der weiterhin vorhandenen warmen, glänzenden, winterlichen Atmosphäre. So klingt auch diese Veröffentlichung - die siebte, wenn ich richtig gezählt habe - eben doch immer einwandfrei nach ANTLERS MULM, nach diesem ureigenen 'Warm Wave'. Wohltuend ist dieses Immerwiederfindenkönnen, ein starkes Qualitätsmerkmal in einem Meer von selbstgefrickelter Freizeitmusik. Man teilt deshalb seine beheizte Dachstube zur Weihnachtszeit gerne die eine oder andere Stunde mit HANS JOHM.