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Roy L.

NATURE MORTE: (recluse)

primordiale Nachtmusik


NATURE MORTE: (recluse)
Genre: Drone
Verlag: T.u.T. / R.u.R.
Erscheinungsdatum:
September 2007
Medium: CD
Preis: ~16,00 €
Kaufen bei: T.u.T./R.u.R...


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Die Luft ist kalt und brandet hart gegen den Körper. Vielleicht glänzt nur wenig Mondlicht durch das saugende Schwarz der Baumkronen oder graue, zerschlissene Fahnen durchqueren nebenan die knittrigen Furchen der Äcker und sonst ist nichts, das für das Auge sichtbar wäre. Dann ein Knistern aus den Abgründen, dort oder dort, und inzwischen schimmert der Himmel in einem nicht enden wollenden, kosmischen Blau, das nach Tee und kurzen Tagen duftet. Man geht weiter, den Wind noch gegen sich, auf stillen Pfaden, die wie Fasern auf der Haut eines sanftatmenden Nachtwesens ineinanderführen, sich kreuzen oder sich trennen.      
Der Topos der Nachtwanderung oder des Waldgangs im fahlen Lichte der Morgendämmerung liefert einen reichhaltigen Imaginationsstoff, von dem die Literatur, die Musik und die bildende Kunst gern und häufig zehren. Die Romantik kennt ihn als emphatisches, reflexives Erleben und Teilhaben am mystischen Ganzen der Natur. Die Isoliertheit des Kosmos, die Hermetik der ‚sanften Ruhe’ spiegelt sich im Wesen des einsamen, von der Zivilisation abgerückten Wanderers, und indem er sie in sich aufspürt und wiedergibt, unternimmt er eine subjektive Einordnung in das Naturbild und gleichzeitig ein Konstruieren an der Statik und Abgeschlossenheit dieser Stimmung. Denn es sind Formeln der Unbewegtheit, der Stille, der Kälte und Unveränderlichkeit, die dieses Bild charakterisieren. Fast scheint es, als ob in der Nacht alles Werden außer Kraft gesetzt sei und stattdessen eine Dimension der ‚ewigen Gegenwart’ die der Zeit verdränge. In diesen festgefrorenen Rahmen zu treten, sich selbst zu isolieren, um dann in diesem Kontext als Einzelnes neu zu erscheinen, hieße also Rückkehr zur Einheit mit dem Sein, harmonischer Zusammenklang mit dem Gefüge des Kosmos. Vielleicht rührt daher die Faszination, auch der Wille, sich zu später Stunde ins kalte Dunkel zu wagen.
In NATURE MORTEs „(recluse)“ geht es dabei gar nicht so explizit um einsame Nachtwanderungen, kosmische Isolation oder Rückkehr zum Sein. Es ist vielmehr ein elektroakustisches Hörspiel, das sowohl klare und verschwommene Naturbilder im Fast-Dunkeln beschreibt und nachzeichnet. Aber dann hat man natürlich all diese faszinierenden, stimmungsvollen Photographien vor sich liegen, die minimalistischen Klangcollagen breiten sich langsam im Raum aus und es geschieht ohne große Umschweife, dass man mit der Tiefe der Drones auch eine metaphorische Tiefe unter der Oberfläche des Tonträgers annimmt, die aller Wahrscheinlichkeit nach auch vorhanden ist, aber jetzt nicht noch weiter elaboriert werden möchte.
Zur Musik: das Genre ist mit Veröffentlichungen relativ überfrachtet, Einiges wird sicher unnötig auf den Markt geworfen, Vieles ist aber tatsächlich hörenswert und so bleibt es nach wie vor mühsam, sich einen klarsichtigen Überblick über das Heer der (zumeist) unprominenten Künstler zu verschaffen. „(recluse)“ ist nun selbstredend nicht das allerbesonderste Ambient/Drone-Werk, das je geschaffen wurde, aber die erste offizielle Vollzeitarbeit des jungen französischen Projekts (bisher erschien nur eine Split-7“ mir RONAN LE DÉROFF sowie eine Demo CD-R) begeistert dennoch mit Vielfalt und Differenziertheit der evozierten Bilder. Das Album bewegt sich von windigem Rauschen, Plätschern, Rascheln, Knistern organisch wachsend und nie konstruiert wirkend zu sanften Noiseteppichen, eisigklirrenden Ambientflächen und, im Gegensatz dazu, fast warmen Drones, die manchmal an ein sehr tiefgespieltes Harmonium oder an eine echte Orgel denken lassen und gerade in diesen Passagen („(recluse) II“) eindringlich unter die Haut gehen. Die Stücke wirken nicht zu überladen mit Ereignissen, stattdessen fließt alles, auf wenigen Tonspuren verteilt in ein tatsächlich kompositorisches Ganzes ein, das nur in einzelne Szenen oder Schaubilder segmentiert ist. Das eigentliche Geschehen wird dann über den Beobachter darin verhandelt. Etwas passiert mit ihm. Er entfernt sich in Begleitung eines stets an Intensität zunehmenden Grundtons vom Abstrakten, Rationalen und gelangt immer mehr in die magische Sphäre der Elemente hinein. Hier atmen die Dinge wieder und nehmen konkrete Formen an, die Natur ist nicht so tot, wie sie scheinen möchte. „Incandescence“ macht den Eindruck eines leicht verdaulichen Ragas auf einem Dulcimer oder einer tiefer gestimmten Gitarre, im Hintergrund knistert ein Feuer, warm und vertraut. Aber es ist auch Urkraft und Allgewalt, die hier fluktuiert, stürmisch oder wie ein Schatten, der zum Gewitter wächst und sich über dem Eindringling entlädt.
„(recluse)“ ist schließlich in einer Welt von nächtlicher Eigendynamik angesiedelt. Ein Kosmos, der in manchen Regionen an die irrationalen Klangfelder von INADE heranreicht, jedoch bar jedes spirituellen oder überhaupt wertenden Überbaus. NATURE MORTE scheint in dieser Hinsicht archaischer, auch neutraler, wie eine von vornherein primordiale Melodie einer sich selbst genügenden Natur. Hinzu kommt ein silbriger Schimmer von ebenfalls immer schon dagewesener, unbegründeter Traurigkeit, die viele Passagen sacht umspielt und in „Décembre“ mit dem emotionalen Impetus mancher TROUM-Aufnahmen gipfelt. Von all diesen verschwommenen Ambientbildern einmal abgesehen, wäre es zudem vielleicht noch Kennern der Radikalminimalisten TOY BIZZARE, DRONÆMENT und SMALL CRUEL PARTY zu raten, sich für „(recluse)“ eine Stunde Zeit zu nehmen.
Eine Stunde, die sich insgesamt, der Spannung und Abwechslung wegen, lohnt, auch wenn sie niemals eine wirkliche Nachtwanderung ersetzen mag. Und wenn sich die Verantwortlichen, REUE UM REUE, nun schon einmal in die Niederungen des digitalen Unmaterials hinabgelassen haben, so doch nur, um das Erhabene dem Chaos zu entreißen und den reinigenden, „ins-Sein-versetzenden“ Ton einem belastbareren Träger anzuvertrauen. Mit anderen Worten: der Zweck heiligt die Mittel - und in diesem Fall ist es tatsächlich ein sehr hehrer Zweck.


 
Roy L. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» NATURE MORTE
» REUE UM REUE
» NATURE MORTE @ MySpace

Themenbezogene Newsmeldungen:
» NATURE MORTE u.v.m. auf TUT / RUR
» Wien 1.998: Ein Sound, ausgegraben und konserviert

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Zusammenfassung
Ein vielseitiges Drone-Ambient-Noise Werk für winterliche Nachtwanderungen, das die Zeit außer Kraft setzt und den Hörer zurück in die mythische Dimension der Elemente befördert. Sehr pointiert, sehr organisch und nie überladen, ein gelungenes Debüt.

Inhalt
(recluse) I
(recluse) II
Brume
Incandescence
Aguets
Décembre
(...)

59min

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