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Michael We.

JULIA KENT: Delay

Musik für Flughäfen, Teil 2


JULIA KENT: Delay
Genre: Ambient
Verlag: Shayo
Vertrieb: Shayo
Erscheinungsdatum:
Juni 2007
Medium: CD
Preis: ~13,00 €
Kaufen bei: Tesco


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Man mag von APOCALYPTICA halten, was man will, aber etwas haben die Finnen auf jeden Fall erreicht: Sie haben eines der schönsten klassischen Instrumente, das Cello, mit ihrer bis heute innovativsten Platte "...Plays Metallica By Four Cellos" (1996) in das Bewusstsein der Massen geprügelt. Celli wurden selbstverständlich auch schon vorher in der Populärmusik eingesetzt, aber Experimente mit dem warmen und weichen Klang gelten seit APOCALYPTICA vielleicht nicht mehr als ganz so 'abgefahren'. Eine der jüngsten Veröffentlichungen, auf denen ein Cello eine tragende Rolle spielt, hat NONPOP gerade besprochen: "Second Childhood", unter anderem mit der isländischen Cellistin HILDUR GUDNADOTTIR (MÚM). Bei Liveauftritten vieler Bands scheint ein Cello inzwischen fast schon zum guten Ton zu gehören, so machen etwa FORESTI, CURRENT 93 oder ANTONY AND THE JOHNSONS davon Gebrauch. Mit der letztgenannten Band wären wir dann auch schon bei JULIA KENT, die - obwohl sie jährlich an vielen Platten beteiligt ist und inzwischen mit mehr als 20 Künstlern zusammen gearbeitet hat - momentan vor allem als 'die Cellistin von ANTONY' gilt.

Ihr erstes Cello hatte die gebürtige Kanadierin (Vancouver) im Alter von sechs Jahren in der Hand, später studierte sie das Instrument in Bloomington (Minnesota). Inzwischen lebt sie in New York. Seit Anfang der 1990er Jahre wird sie von befreundeten Musikern für Aufnahmen ins Studio gebeten, zum ersten Mal 1992 von ULTRA VIVID SCENE, einer innovativen (New Yorker) 4AD-Band, der für kurze Zeit auch MOBY angehörte. Außerdem spielte sie (unter anderem) schon Cello für BACKWORLD, CURRENT 93 (etwa auf der Split-Platte mit NURSE WITH WOUND), BLACK TAPE FOR A BLUE GIRL oder auch für 'Pop-Promis' wie RYAN ADAMS, RUFUS WAINWRIGHT, BEN WEAVER und NORAH JONES. Fester Bestandteil ist sie, wie erwähnt, bei ANTONY AND THE JOHNSONS, außerdem hat sie das Cello-Trio RASPUTINA mitbegründet (und 1999 wieder verlassen) und ist Bandmitglied bei BELA, einer poetischen New Yorker Singer/Songwriter-Band. Für die erste Soloplatte von JULIA KENT muss man diese ganzen Namen allerdings nicht wissen und kennen. "Delay", veröffentlicht auf dem kleinen Schweizer SHAYO-Label (wo auch IN GOWAN RING oder IN MY ROSARY Musik machen), klingt anders als alles, was die Cellistin für die genannten Bands und Musiker gemacht hat. Sie hat die CD alleine eingespielt, ohne ihre vielen Freunde und Bekannten. Lediglich JOSEPH BUDENHOLZER von BACKWORLD war am Layout beteiligt. Vermutlich hat er die (Themen)Fotos gemacht, die unter anderem JULIA KENT und ihr Cello am Flughafen zeigen.

"Delay" (Verspätung) ist eine Art Fortsetzung des Projekts von BRIAN ENO, mit dem er 1978 den Begriff 'Ambient' einführte. "Ambient 1: Music For Airports" bestand aus vier langen Synthesizerstücken und war als angenehme Untermalung für das Warten an Flughäfen und in anderen öffentlichen Gebäuden gedacht. Die Stücke waren so angelegt, dass sie bei längeren Wartezeiten auch problemlos geloopt werden konnten. KENTs Album ist aber keine Dopplung, sondern vielmehr eine Konkretisierung oder Weiterentwicklung dieser Idee. Ihre Musik ist kein allgemeines Soundbett, sondern spiegelt die Stimmung an ganz bestimmten, real existierenden Flughäfen wieder, nach denen die Stücke auch benannt sind.
Die Cello-Ambientmusik von KENT besteht weniger aus klaren Songstrukturen, es sind eher schwelgerische Tonfolgen, einzelne, voneinander unabhängige Parts, die sich oft zur Mitte der Stücke hin durch Übereinanderschieben verdichtet. Ähnlich wie bei einer Fuge oder einem Kanon entstehen 'Celloschichten'; da eine Melodie, dort ein sich immer wiederholender Ton, hier die gezupfte Bass-Line. Die Verschachtelung und das dunkle Timbre des Instruments vermitteln perfekt den Eindruck von 'Weite' und 'Fläche', was ja dem Anliegen entspricht, die Stimmung von Flughäfen einzufangen und die Melancholie, die den riesigen Hallen innewohnt. Diese Tiefe der Musik wird noch verstärkt durch den gelegentlichen Einsatz eines Omnichords, einer Art elektronischer Harfe, wie sie unter anderem auch BRIAN ENO oder DANIEL LANOIS verwenden. Hervorragend gelungen ist es JULIA KENT, die melancholische und verträumte Grundstimmung aufzusplitten und in Abstufungen auf die unterschiedlichen Flughäfen aufzuteilen: Barajas (Madrid) wirkt durch das Grundmuster, einen schnell gestrichenen, sich immer wiederholenden Ton, hektisch, düster und fast bedrohlich. Elmas (Sardinien) strahlt Ruhe, Langsamkeit und südländisches Flair zum Wohlfühlen aus. Fontanarossa (Sizilien), zum ersten Mal mit Omnichord, ist majestätisch, gleitend und luftig, wie ein startendes Flugzeug. Und meinen musikalischen Lieblingsflughafen, Arlanda in Stockholm, muss KENT im Winter besucht haben, er klingt leise, wenig frequentiert, gedämpft wie durch schweren Schnee. Auch ein deutscher Flughafen ist dabei, Berlin Tempelhof, fast am auffälligsten auf "Delay" mit seinem schnellen Bass, unangenehm hektisch. Die einzelnen Takes werden unterbrochen von Originaldurchsagen, vermutlich der jeweiligen Flughäfen. Man kann sich den Spaß machen und die Airports, die man aus eigener Erfahrung kennt, mit der Stimmung der KENT-Songs vergleichen. Man muss in die Musik aber gar nicht so viel hinein interpretieren. Es genügt auch, für eine Stunde lang einfach genussvoll in dieses intelligente, wohlige Cello-Bett zu versinken. Ein Plädoyer für das Cello und ein würdiger Nachfolger der ersten Flughafenmusik von 1978. 

Im Moment gibt JULIA KENT übrigens - entweder solo oder im Umfeld von LARSEN, DAVID TIBET und BABY DEE - noch bis Oktober einige Konzerte in Europa. Die nächsten Termine stehen hier.


 
Michael We. für nonpop.de


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Zusammenfassung
Fast 30 Jahre nach BRIAN ENO gibt es wieder Musik für Flughäfen: Die Cellistin JULIA KENT präsentiert auf ihrem Solodebüt warmen, lebendigen Ambient. Der ohnehin schöne und melancholische Klang eines Cellos wandert durch die Airports der Welt. Ein würdiger Nachfolger.

Inhalt
01 Airport Atmosphere (1:09)
02 Gardermoen (4:10)
03 Airport Atmosphere (0:22)
04 Idlewild (3:15)
05 Elmas (4:06)
06 Airport Atmosphere (0:17)
07 Barajas (4:16)
08 Airport Atmosphere (0:24)
09 Fontanarossa (4:03)
10 Airport Atmosphere (0:19)
11 Arlanda (4:04)
12 Dorval (3:51)
13 Venizélos (3:21)
14 Airport Atmosphere (0:20)
15 Schiphol (3:50)
16 Tempelhof (2:26)
17 Airport Atmosphere (0:21)
18 Malpensa (4:28)
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