Michael We.
THINGUMA*JIGSAW: (awakeinwhitechapel)Weird war gestern. Heute ist Splatter.
Genre: Folk
Verlag: Deserted... Vertrieb: Deserted... Erscheinungsdatum: Juli 2007 Medium: CD Preis: ~13,00 € Kaufen bei: Deserted... I know you're frightended
but you'll be enlightened before this night is through you'll bleed on the linen but you'll be freed from sinnin' I'll eat your sins for you aus "pt. 4 (waltzofdeath)" Liebe Leser, ich freue mich, Euch heute die beste Splatterfolk-Band der Welt vorstellen zu dürfen. Gut, sie hat das Genre selbst erfunden und ist momentan noch die einzige, die sich darin bewegt. Aber mit dem hoffentlich gigantischen Erfolg, welcher das betörende Folkalbum "(awakeinwhitechapel)" in den kommenden Monaten begleiten wird, ist es sicher nur noch eine Frage der Zeit, bis sich Nachahmer finden. Normalerweise gehört es ja zum guten Ton eines Musikkritikers, einem neu erfundenen Genre skeptisch gegenüber zu stehen, aber in diesem Fall drücken wir ein Auge zu. Denn erstens umgeht man so elegant die Einordnung in das ausgelutschte 'weird folk'-Becken (was ist heutzutage schon noch 'weird'?), zweitens ist an den Texten tatsächlich so einiges 'splatter' (dazu später mehr) und drittens kann man dieser sympathischen Zwei-Mann-Band nichts übelnehmen, denn bei allem spürt man das Augenzwinkern, das THINGUMA*JIGSAW für jeden übrig haben, der sich mit ihrer Musik beschäftigt. THINGUMA*JIGSAW besteht aus zwei Norwegern, einem Mann und einer Frau, so viel ist sicher. Beide verwenden viele Pseudonyme: THE SEVERED HEADMASTER (Mann) alias SETH HORATIO BUNCOMBE alias - und das dürfte der echte Name sein - ELIJAH NOAH singt und spielt Banjo, LITTLE MYTH EPIPHANYMPH (Frau) alias MARTHA REDIVIVUS alias (echt) MARTE ROSBACH spielt Flöte und Säge, singt zwischendurch und ist für die außerordentlich hübsche Gestaltung der CD-Ummantelung verantwortlich, einer der vielen dicken Pluspunkte dieses Albums. NOAH spielt (unter diesem Namen) noch in einer norwegischen, Prog-Rock-ähnlichen Band namens ALPINE THOSE MYRIADS!. Beide sind für THINGUMA*JIGSAW, das Projekt, an dem ihr Herz hängt, aus Norwegens Wäldern in die Folkstadt Dublin, erstens in die Geburtsstadt von JAMES JOYCE, den beide lieben, und damit zweitens auch in die Nähe ihres Labels DESERTED VILLAGE gezogen. Dort liegt ihnen nun die Folkpresse zu Füßen, und das Publikum ihrer Liveauftritte, in dessen Mitte sie ohne Verstärker oder ähnlichen technischen Schnickschnack nur mit Banjo, Säge und Flöte spielen, verlässt die Konzerte stets mit verklärtem Blick und jubelndem Herzen. Splatterig beginnt das Album, mit der langsamen, verschleppten (und ein wenig an TINY TIM erinnernden) Falsettstimme von NOAH und einer singenden Säge, ein trauriges Klagen und Kettenrasseln ("worms are bathing in my aching knee"), das gleich darauf mit Banjo lockend, fies und manisch wird ("my crime is great - who's laughing now - huh?"). Man spürt den leichten Grusel des Nebels auf den Straßen dunkler Viertel. Beim ersten Durchhören der CD war mir klar, dass es mehrere Sänger geben muss, aber nach und nach ging mir auf, dass es sich immer nur um die Stimme von THE SEVERED HEADMASTER himself handelt, der mit unglaublicher Varianz und Leichtigkeit zwischen Falsett, CHRIS ISAAC-Pathos ("Burden Of Genius") und durchscheinender, brüchiger Geisterstimme (wie in "pt. 3 - rest") hin und her springt. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass THINGUMA*JIGSAW mit nichts als dieser Stimme und ihren wenigen Instrumenten einen Saal zum Schweigen gruseln oder zum Toben flöten. Die Musik pendelt zwischen Folk und Country (mehr Banjo), Psychedelic Folk (mehr Flöte) und Instrumentals mit Westernflair, die den Helden auf dem Weg zum Showdown mit Harmonium und Glöckchen begleiten. Es wird geknödelt und genäselt, was das Zeug hält, und vor allem, wenn die Stimme von MARTE ROSBACH einsetzt, weht durch "(awakeinwhitechapel)" ein Hauch von COCOROSIE. Der Unterschied ist, dass bei THINGUMA*JIGSAW alles Schräge und Schiefe echt wirkt, nichts ist auf 'weird' getrimmt, künstlich oder affektiert, nein, die beiden Norweger sind einfach so. Wie die Briten von HOOD oder die New Yorker von THE MAGNETIC FIELDS wispern sie ihre versponnen Geschichten, und schenken uns einige sagenhafte Momente, zum Beispiel die schönsten prasselnden Regentropfen der Folkgeschichte (plitschplatsch mit Flöte und Banjo) in "pt. 4 - waltzofdeath". Was aber den meisten 'splatter' auf "(awakeinwhitechapel)" bringt, sind - selbstverständlich - die Texte. Den Connaisseuren der europäischen Kriminalgeschichte vergangener Jahrhunderte ist es natürlich schon am Titel aufgefallen, dass die CD etwas mit JACK THE RIPPER zu tun haben muss: Im Stadtteil Whitechapel im Londoner East End begannen 1888 die Morde an Prostituierten, die später hauptsächlich JACK THE RIPPER zugeschrieben wurden. Einige Songs von THINGUMA*JIGSAW befassen sich mit der Thematik, mal aus der Sicht eines Opfers, mal aus der des Täters (siehe Textzitat oben). Neben den Whitechapel-Morden vermengen die Norweger - das erzählen sie in einem kleinen Interview auf der village.com">Labelseite - viele weitere Einflüsse zu ihrem neuen Genre: Horrorfilme, Texte von JAMES JOYCE, moderne Lyrik, MOBY DICK, die Bibel und DANIEL JOHNSTON (ein US-Singer/Songwriter, mit dem die beiden Norweger befreundet sind). Und so ist diese CD neben einer Quelle für herzerwärmende Musik auch wie ein alter Koffer auf dem Dachboden, zum Stöbern, Entdecken und Anfassen: Mit "Walking the Cow" ist eine JOHNSTON-Coverversion auf dem Album. "thinguma*qatsi" ist eine Hommage an PHILIP GLASS ("Qatsi" hieß eine Film- und Soundtrack-Trilogie von ihm), "Jumping Jock Flesh"...äh...ja, der Song heißt wirklich so. Und "Burden Of Genius" basiert auf einer kleinen Geschichte aus dem Leben von OSCAR WILDE. Als der von einem Zöllner gefragt wurde, ob er etwas mitführe, antwortet er: "Nein. Nur meine Genialität". Auf der Vorderseite des kleinen Beipackzettels mit allen Lyrics prangt ein obskures, altes Foto einer Schultheateraufführung, auf der Rückseite hat der New Yorker Musiker SPORT MURPHY eine Ode an THINGUMA*JIGSAW verfasst, indem er seinen Hund mit ELIJAH NOAH vergleicht. Undsoweiterundsoweiter. Ach ja, der Bandname. So viel habe ich verraten bekommen: 'thingumajig' ist ein umgangssprachliches Wort für einen technischen Gegenstand, den man gerade dringend braucht, dessen Namen man aber nicht im Kopf hat. Und 'jigsaw' ist ein klassisches Puzzle. Über die Kombination aus beidem kann man jetzt nachgrübeln. Man kann es aber auch lassen, sich stattdessen mit "(awakeinwhitechapel)" eine Freude machen und die Geburtsstunde des Splatterfolk feiern.
Michael We. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » THINGUMA*JIGSAW @ myspace » Labelhomepage mit vielen Bandinfos
Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln ausschließlich die Meinung des jeweiligen Verfassers bzw. Interviewpartners wieder. Nachdruck (auch auszugsweise) nur mit schriftlicher Genehmigung durch den Betreiber dieser Seite.
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Zusammenfassung
Ein Fest für Folkfreunde. Zu Banjo und Flöte werden alle möglichen Einflüsse verwurstet, von JACK THE RIPPER über die Bibel bis hin zu MOBY DICK. Heraus kommt 'Splatterfolk', geisterhaft-komische Minisongs über Würmer im Knie und ähnliches. Ohne Wenn und Aber kaufen.
Inhalt
- pt. 2 (serpentsapple)
- who's laughing now? - burden of genius - walking the cow - my blood giggles - a solid severance - can i walk you home? - jumping jock flesh - pt. 3 (rest) - thinguma*qatsi - pt. 4 (waltzofdeath) - pt. 1 (redlightcockfight) - pt. 5 (lullabyforleviathan) |