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Michael We.

ZLYE KUKLY: Strange Tomorrow

Israelisch-russisches Tontheater


ZLYE KUKLY: Strange Tomorrow
Genre: Neofolk
Verlag: Ahnstern
Vertrieb: Steinklang
Erscheinungsdatum:
August 2007
Medium: CD
Preis: ~13,00 €
Kaufen bei: Steinklang


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In den vergangenen Jahren hat NONPOP immer wieder über russische Musiker berichtet, die in Israel leben und arbeiten. Die Formation AGNIVOLOK dürfte das bekannteste Beispiel einer solchen israelisch-russischen Kombination sein, um die herum sich weitere Projekte gebildet haben. Mit ZLYE KUKLY ist eine neue russische Band aus Israel auf dem Markt bzw. hat ihre erste offizielle CD veröffentlicht. Deshalb nutzen wir die Gelegenheit, zu der aktuellen Rezension einige thematisch passende Artikel aus der Vergangenheit zu stellen, wie zum Beispiel ein Interview mit VERA von AGNIVOLOK. Die Links findet Ihr am Ende der Rezension.

Russen in Israel

Mehr als eine Million Russen leben in Israel, sie stellen damit ungefähr 20 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das "Rückkehrgesetz" von 1950 macht die Einreise einfach: es erlaubt allen Juden der Welt, nach Israel einzuwandern. 1970 wurde das Gesetz noch erweitert, bis hin zu der Einreiseerlaubnis für die Ehepartner des Enkels eines Juden. So kommen an den Flughäfen des Landes täglich zwischen 50 und 100 neue Immigranten aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion an, die meisten von ihnen mit der Hoffnung auf Arbeit und ein neues, besseres Leben. Von einer 'israelischen Leitkultur' ist unter den zugewanderten Russen allerdings wenig zu spüren. Die meisten von ihnen wohnen in großen Siedlungen (im Volksmund 'Klein-Moskau' genannt). Sie haben eigene, russischsprachige Zeitungen (vier davon erscheinen täglich), russische Theater und Orchester und inzwischen angeblich 30 Sorten Wodka, die in Israel verkauft werden. Nur eine Minderheit lebt ihre Religion, lernt hebräisch und geht in der israelischen Gesellschaft auf. Die meisten Schlagzeilen machen im Moment kleine Neonazi-Gruppen, bestehend aus jungen Russen, die - im jüdischen Staat - Juden verfolgen und Synagogen verwüsten, mit RAMMSTEIN-Schmierereien zum Beispiel, so wie vor einigen Monaten in einem Vorort von Tel Aviv geschehen. Ein Phänomen, dem Israel im Augenblick recht hilflos begegnet. Und dann gibt es in Israel noch die Künstler russischen Ursprungs. Sie sind etwas Besonderes, denn sie schaffen es oft am besten, beide Welten zu vereinen, die russische und die israelische. Sie behalten ihre Traditionen und bekommen neue hinzu.

Russische Musiker in Israel

IGOR KRUTOGOLOV, der Bassist von AGNIVOLOK ist so ein Beispiel. Er betreibt mehrere 'Experimental'-Bands wie etwa sein TOY ORCHESTRA, das mit Kinderspielzeug Musik macht, oder eine Free-Klezmer-Band, mit der er in den Straßen von Israel auftritt. Zusammen mit VADIM GUSIS, bekannt für seine Soloprojekt CHAOS AS SHELTER (und ebenfalls Musiker bei AGNIVOLOK), hat KRUTOGOLOV einen Sampler mit Underground-Musik aus Tel Aviv herausgegeben ("Tel Aviv Aftermath", 2002, TOPHETH PROPEHT). VERA schließlich, Malerin und Sängerin von AGNIVOLOK, hat es Israel zu verdanken, dass sie ihre Ausbildung beenden konnte, von 1999 bis 2003 studierte sie an der 'Bezalel Academy of Art and Design' in Jerusalem, ihrem heutigen Wohnort. Es gibt inzwischen auch einige Labels, die in Israel von Russen geführt werden und sich speziell der Musik beider 'Welten' annehmen. Das bekannteste ist THE EASTERN FRONT, das 2004 in Tel Aviv von dem russischen Ehepaar IGOR und TANYA SIMKIN gegründet wurde und zum Beispiel Veröffentlichungen von DER BLUTHARSCH oder AGNIVOLOK herausbringt, zusätzlich auf einem Seitenlabel experimentelle Musik wie von dem Japaner KENJI SIRATORI. Immer wieder holt THE EASTERN FRONT große Namen nach Israel, etwa im Sommer des Gründungsjahres DEATH IN JUNE nach Tel Aviv. Etwas weniger bekannt ist ZVUKOPROCESSOR, das (Live)Label um die Band SEVENTEEN MIGS OF SPRING, die 2003 einen Part zu der "Tel Aviv Soundtracks"-Serie beisteuerte.

ZLYE KUKLY - die Band und das Album

ZLYE KUKLY, was auf deutsch so viel bedeutet wie 'Böse Puppen', sind neu auf der beschriebenen Bühne. Es gibt die Band um FRED ADRA zwar schon seit einigen Jahren (1999), ihr Output beschränkte sich aber auf einige CDRs in geringer Auflage, deshalb dürften sie den meisten Lesern unbekannt sein. Für die bisherigen vier Veröffentlichungen hat ADRA mit einer großen Zahl verschiedener, sowohl israelischer als auch russischer Musiker zusammengearbeitet. Mit "Strange Tomorrow" ist jetzt auf AHNSTERN die erste offizielle CD erschienen, eine Zusammenstellung von Songs der letzten Jahre (2002 bis 2007), viele neu bearbeitet, einige bislang unveröffentlicht. ADRA, 1990 nach Jerusalem gekommen, verdient seinen Lebensunterhalt als Autor; er schreibt Artikel für eine israelisch-russische Wochenzeitung und - jetzt kommen wir schon nahe an die Musik - Kindermärchen. Für sein letztes Buch hat ADRA in Moskau einen hochdotierten Kinderliteratur-Preis verliehen bekommen. Auf der Homepage von ZLYE KUKLY, die optisch eine Mischung aus "Karneval in Venedig" und "Stadt Der Verlorenen Kinder" bietet, beschreibt er seine musikalische Arbeit als 'Soundtrack für Kinderhorrorfilme mit Piratenromantik'.
ADRA ist ein begnadeter Geschichtenerzähler, das erschließt sich sofort, auch wenn man bei den durchweg russischen Texten (bis auf eine hebräische Ausnahme) zunächst keine Ahnung hat, worum es geht. Dominierend sind Gitarre und Stimme von FRED ADRA, eine nicht allzu tiefe, weiche Stimme mit viel Timbre, die immer mal wieder an PAUL ROLAND erinnert, oder - in den Duetten - an die knorrigen Balladen von CHANGES. Mit einer solchen Ballade beginnt "Strange Tomorrow", theatralisch (wie fast alle Songs auf dem Album), melancholisch und mit dem typisch eindringlichen, neofolkigen Spirit. Eine weitere Ballade modernerer Art folgt, die Instrumentierung wurde um Flöte, E-Gitarre und Synthesizer erweitert und die Stimme von ADRA ist noch eine Spur theatralischer, was man ihr aber - hier und an anderen Stellen - verzeiht. "Man muss sich unsere Musik denken wie ein Theater", sagt ADRA, "jedes Album, jeder Song ist eine neue Vorstellung". Was er damit meint, begreift man ab dem dritten Track, einem Song über eine sterbende, kalte Stadt ("Die Fass-Mich-Nicht-An-Stadt"), der wie live auf einer (Theater)Bühne eingespielt klingt: ein kleines, erzähltes Drama im Duett mit einer Opernsängerin und einem 'Geräuschemacher' ("chak-ah, chak-ah") im Hintergrund. Hier tauchen auch zum ersten Mal die Drums und die trompetenähnlichen Sounds auf, die viele der späteren Stücke noch mehr in Richtung Neofolk rücken. Endgültig theaterlike ist das fünfte Stück ("Verrücktes Theater"), wo ADRA fast mit Falsettstimme zu einem irr gezupften Rhythmus einsteigt. Das - mit Balalaika sehr russische klingende - Titelstück "Strange Tomorrow" wurde im Booklet ins Englische übersetzt und vermittelt gut einen Eindruck, in welche Richtung die Texte aller Songs auf der CD gehen: Oft drehen sie sich um Verzweiflung, Ungewissheit, Angst vor der Zukunft, Alleinsein und Tod. Eine der schönsten Geschichten, die ADRA erzählt, ist die vom "Lampenanzünder" (Track 7), dessen Tätigkeit in Form eines Gemäldes auch das Cover des Albums schmückt. Hier, bei dieser achtminütigen Mini-Mystery-Oper, greift der PAUL ROLAND-Vergleich sehr gut: Mit Glockengeläut und Wehmut wird aus dem Leben des Lampenanzünders erzählt, der auch während eines Krieges, der rund um seine Stadt tobt und sie vermutlich bald zerstören wird, seiner Arbeit unter dem Sternenhimmel nachgeht. ADRA hat den Song über die Jahre immer wieder verändert und veröffentlicht ihn hier in seiner endgültigen Fassung. Das letzte Drittel von "Strange Tomorrow" präsentiert hauptsächlich düstere Gitarrenballaden, besonders beeindruckend dabei "Son", eine Verabschiedung des (toten?) Sohnes aus dem elterlichen Haus, abwechselnd von einer weiblichen (Mutter) und einer männlichen (Vater) Stimme gesungen, und das - das gesamte Album thematisch noch einmal zusammenfassende - letzte Stück "At The End Of Days" (mit einigen hebräischen Textzeilen), das langsam und getragen mit einer leicht verzerrten Gitarre an die großen Folk-Zeiten der 1970er-Jahre erinnert.
"Strange Tomorrow" ist ein Album voller Hingabe und Inbrunst. Wie viel ADRA an jeder eingespielten Note liegt, hört man immer heraus. Dieser Umstand verhindert, dass manche Dinge - wie zum Beispiel die künstlichen Windgeräusche oder Glocken - peinlich werden. Sie sind einfach nur Teil des Soundtracks für die Geschichten, die ADRA erzählt. Die erste offizielle CD von ZLYE KUKLY ist eine Perle, ein leidenschaftliches Tontheater zwischen Folk und Neofolk, das einen guten Einblick in die bisherige Arbeit der Band gewährt. Ich wünsche mir, dass "Strange Tomorrow" so oft gekauft wird, dass FRED ADRA sich bald an neue Geschichten macht.

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4. AGNIVOLOK: Das Lied der Feuerwölfin (Interview)
5. IGOR KRUTOGOLOV: White (Rezension)


 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» ZLYE KUKLY (russisch)
» ZLYE KUKLY @ myspace (englisch)


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Zusammenfassung
Der russische Kinderbuchautor FRED ADRA bringt die erste offizielle CD seiner Band auf den Markt. 15 dunkle Geschichten zwischen Folk, Neofolk und Oper, leidenschaftlich vorgetragen. Das Live-Theaterflair und die gelungene Optik runden das schöne Album ab.

Inhalt
01 Towers
02 He Walks Along The Seashore
03 The Touch Me Not City
04 Who Said
05 Mad Theater
06 Strange Tomorrow
07 Lamplighter
08 Legend
09 Blind Man
10 Babylon Is Doomed
11 We Kept Watch Over Time
12 Son
13 No Fear
14 Star Path
15 At The End Of Days
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