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Michael We.

DAVE BALL: In Strict Tempo

Die 80er feiern ohne schlechtes Gewissen


DAVE BALL: In Strict Tempo
Genre: Pop
Verlag: Some Bizarre
Erscheinungsdatum:
Juni 2007
Medium: CD
Preis: ~14,00 €
Kaufen bei: Tesco


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"Die mittleren Achtziger waren schlimm, die Schulterpolster und diese ganze überproduzierte Musik. Danach wurde es wieder aufregend mit House und Techno. Da kam der Soul zurück in die Musik. Es ist bei jedem Jahrzehnt so, dass der Anfang interessant ist und dann wieder das Ende." DAVE BALL sagte das vor fünf Jahren, 2002, in einem Interview mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. SOFT CELL hatten sich just wieder vereint und sollten mit einem Livekonzert die Popkomm in Köln eröffnen. Das Blatt hatte nicht beim glamourösen MARC ALMOND angefragt, sondern bei BALL, dem Elektroniktüftler, in vielen Artikeln der vergangenen Jahre und Jahrzehnte einfach nur 'die andere Hälfte von SOFT CELL'. BALL, von dem man damals nicht wusste, ob er mit ALMOND auf der Bühne verdammt schüchtern oder verdammt cool war, so wie er hinter seinen Synthesizern am Publikum vorbei ins Nichts starrte. Und der nach SOFT CELL als erfolgreicher Produzent (BILLIE RAY MARTIN), Remixer (BRIAN ENO, CARTER USM), Komponist und Musiker (THE GRID) sowie Beteiligter an vielen einzigartigen Projekten (wie ORNAMENTAL zusammen mit HÖH, siehe auch das entsprechende NONPOP-Interview) eine musikalisch aufregendere Zeit gehabt haben dürfte als ALMOND.
Vielleicht hat DAVE BALL vor der oben zitierten Antwort kurz im eigenen Back-Katalog geblättert und festgestellt, dass viele der wichtigen Alben seiner Karriere am Anfang eines Jahrzehnts erschienen sind: "Non-Stop Erotic Cabaret" (1981), das erste Album von SOFT CELL, "Cruelty Without Beauty" (2002), die Platte zur Wiedervereinigung, oder "Electric Head"  (1990) unter dem Namen THE GRID (zusammen mit RICHARD NORRIS) und dem ersten Hit der Band, "Flotation". Auch die erste und einzige Soloplatte unter eigenem Namen, "In Strict Tempo", geht mit dem Entstehungsjahr 1983 gerade noch als 'Anfang des Jahrzehnts' durch. In diesem Jahr, kurz vor dem letzten SOFT CELL-Album "This Last Night In Sodom" (1984), widmeten sich beide, ALMOND und BALL, ihren Soloprojekten. BALL hatte schwere Monate hinter sich, vergrub sich nach der Trennung von seiner Freundin monatelang in seiner Wohnung. Kein Wunder also, dass er ein grummelndes, manchmal zynisches und für SOFT CELL-Verhältnisse geradezu experimentelles Elektronik-Album herausbrachte. Deshalb bekam "In Strict Tempo" damals auch durchweg schlechte Kritiken, denn vermutlich hatten alle eine weitere Platte voller almondesker, waviger Hits erwartet, und nicht das Geknödel eines GENESIS P. ORRIDGE oder das schneidende Organ von GAVIN FRIDAY.
Aus heutiger Sicht ist die Soloplatte von BALL ein perfektes Album für alle, die gerne auf die Achtziger zurück schauen, auf die guten Veröffentlichungen und wichtigen Strömungen Anfang, Ende und natürlich auch Mitte des Jahrzehnts. Dass es davon viele gab und man sich nicht dafür schämen muss, die 1980er-Jahre zu mögen, machen die vielen, schnöden Revival-Shows manchmal fast vergessen. "In Strict Tempo" jedenfalls vereint viel Gutes, zum Beispiel die schon erwähnten zwei wichtigen Stimmen. Erstens GENESIS P. ORRIDGE, der sich seine Texte für "In Strict Tempo" sogar selbst schreiben durfte. Bis zur Auflösung der Band im Jahr 1981 war er der Frontmann von THROBBING GRISTLE, und da für Puristen damit auch die Industrial-Ära zu Ende war, hieß fortan die selbe Musik in den restlichen Achtzigern Post-Industrial. Und zweitens GAVIN FRIDAY, Sänger der Post-Punk-Band VIRGIN PRUNES, die BALL danach auch produzierte. Seine eigene Platte ließ er damals von FLOOD abmischen, der später als U2- und DEPECHE MODE-Produzent Karriere machte und davor seine Finger an vielem hatte, was wichtig und elektronisch war. Vielleicht schimmern deshalb in einigen der neun Lieder Elemente durch, die nach weiteren Berühmtheiten der Achtziger wie etwa YELLO, den PET SHOP BOYS oder eben DEPECHE MODE klingen; ein Sampler von Sounds aus der Vergangenheit, sozusagen.
"Mirrors", der Opener, erinnert ein wenig an SOFT CELL (ohne Gesang), sehr poppig und leicht schwülstig, mit Synthie-Streichern, Synthie-Piano und einer (echten) Flöte. "Sincerity" ist für mich der große Hit des Albums, und ich frage mich bis heute, warum das nicht auch ein Hit der Achtziger geworden ist. Lässig, cool und charmant. Auf den flotten Rhythmus der obligatorischen Drum Machine, der aber immer wieder an den richtigen Stellen ins Wackeln und Stottern gerät, damit der Sound nicht zu glatt wird, knödelt die desinteressierte, brüchige Stimme von P. ORRIDGE. Dieser Song würde heute noch Tanzflächen in geschmackvollen Etablissements füllen, man müsste es nur ausprobieren. "Passion Of A Primitive" ist ein Instrumental voll von typischen 80er-Sounds, mit Bass, den trockenen Drums, die später oft auch bei DEPECHE MODE Verwendung fanden, Saxophon, einem Synthie-Chor und wieder der Flöte (übrigens gespielt von VIRGINIA ASTLEY). Der Titeltrack, "Strict Tempo", würde heute wohl als Military Pop durchgehen. Über den marschierenden Rhythmus (Drum Machine) schnarrt die durchdringende JOHN LYDON-Stimme von GAVIN FRIDAY ihre bedrohlichen Hippie-Alpträume ("Love is in the air, and my body is a flower"). Auf "Man In The Man" ist wieder GENESIS P. ORRIDGE am Mikrophon, dieses Mal eher flüsternd und einschmeichelnd, mit einer tropischen, schwülen Atmosphäre. Auf dem seltsamen Einminüter "Only Time" (auf der LP der letzte Track von Seite A) ertönt zum ersten Mal die unauffällige Stimme von BALL, bevor der Track unvermittelt abbricht ("You call that singing?" hat er 1983 auf die Frage eines Reporters geantwortet, als der wissen wollte, ob er in Zukunft noch auf mehr Tracks singen wolle). BALL singt oder spricht auch auf "Life Of Love", das hauptsächlich aus verschiedenen Rhythmen und einem Bass besteht. Es folgt der Hit der Platte, der auch tatsächlich einer war: "Rednecks" (ebenfalls mit der Stimme von BALL) hat es damals in einige Discos geschafft; eine Countrypop-Nummer mit Fiddle, einem stampfenden Beat und ein wenig Kritik an den USA, was im Zuge der Aufrüstung Anfang der Achtziger ja auch sehr en vogue war ("We come from the big country, we know what's right" oder auch "Give me a station wagon, give me a farm, give me a chainsaw"). Seine offensichtliche Freude an Countrymusik hat BALL später noch einmal ausgelebt, mit THE GRID und "Swamp Thing", das auf einem Banjo-Sample basiert (und ein echter Chart-Hit wurde). Zum Schluss plätschert das eher unspannende "American Stories" dahin, eine 12minütige Bass- und Rhythmus-Spielerei mit Telefonklingeln und Gesprächsfetzen und zum Schluss viel Saxophon, die in einer kleinen Keyboard-Kakophonie endet. "In Strict Tempo" ist trotzdem, um es auf den Punkt zu bringen, einfach cool. Ein Stück Musikgeschichte mit einigen Tracks, die man sich auch in zehn oder zwanzig Jahren noch gerne anhören wird, lässig, ironisch, kantig und aus den 'guten' Achtzigern.

Wer jetzt auf den BALL/ORRIDGE-Geschmack gekommen ist, könnte sich den Soundtrack zum deutschen Film "Decoder" (KLAUS MAECK) anhören, ein Film über Revolution und Manipulation durch Musik. Auf der LP von 1985 sind noch mehrere BALL-Stücke in Zusammenarbeit mit GENESIS  P. ORRIDGE zu finden.

 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» inoffizielle BALL-Seite


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Zusammenfassung
Ein sehr cooles Album aus den Achtzigern. BALL hat - kurz vor dem Ende von SOFT CELL - mit seiner Soloplatte angedeutet, wohin die Reise geht: Sounds, die später bei vielen 80er-Jahre-Bands auftauchen, sind hier versammelt. Dazu ein paar 'Disco-Hits' mit Promi-Stimmen. Nostalgisch und gut.

Inhalt
1 Mirrors (2:23)
2 Sincerity (5:07)
3 Passion Of A Primitive (4:11)
4 Strict Tempo (3:42)
5 Man In The Man (3:44)
6 Only Time (1:03)
7 Life Of Love (3:00)
8 Rednecks (4:32)
9 American Stories (12:22)
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