Michael We.
AMBER ASYLUM: Still PointIn die Wundertüte von KRIS FORCE gegriffen
Genre: Neo - Klassik
Verlag: Profound... Erscheinungsdatum: Mai 2007 Medium: CD Preis: ~13,00 € Kaufen bei: Going... Die kalifornische Band AMBER ASYLUM hat Fans, die sonst Doom Metal hören. Oder Neofolk. Auch Industrial, Klassik oder Military Pop. Kurz gesagt: Die Fans von AMBER ASYLUM sind zahlreich und stammen aus (fast) allen NONPOP-Sparten, ein ungewöhnliches Phänomen für ein Neoklassik-Projekt. Vermutlich ist es die starke Aura von Bandleaderin, Sängerin und Geigerin KRIS FORCE, die alle Melancholiker, Depressiven, Träumer und Morbiden anzieht, egal welchen Genres. FORCE hat für jeden eine Geschichte aus ihrer Vergangenheit parat, musikalischer oder persönlicher Natur. Für Kunstliebhaber ist sie die Leiterin einer der erfolgreichsten Galerien für experimentelle Kunst in San Francisco. Für Manson-Verehrer hat sie vor knapp 20 Jahren (am 08. August 1988), zusammen mit der CHURCH OF SATAN, eine Art 'Manson-Gedächtnis-Abend' organisiert, zur San Francisco-Premiere des Manson-Films "The Other Side of Madness" von WADE WILLIAMS. Dabei waren unter anderem BOYD RICE und NIKOLAS SCHRECK. Zum Thema Morbidität erzählt FORCE in Interviews gerne die Episode von ihrem Treffen mit KAREN GREENLEAF, der sie zufällig auf einer Party begegnete. GREENLEAF taucht in "Apocalypse Culture" auf, dem Buch von ADAM PARFREY (Hrsg.), einer Sammlung von Texten über Abgründe der Menschheit. GREENLEAF hat darin über ihre Nekrophilie erzählt, für die sie im Gefängnis saß. "Aber ich konnte mich mit ihr prima unterhalten, wie mit jedem anderen Menschen auch", sagt FORCE. Für Freunde der Klassik schließlich ist sie einfach eine hervorragend ausgebildete Musikerin, die mehrere Streichinstrumente beherrscht, zusätzlich drei Jahre lang Klavier studiert hat und ihr Repertoire an klassischer Musik permanent erweitert. Diese - nicht nur musikalische - Vielseitigkeit äußert sich in zahllosen eigenen Projekten (von denen momentan alle außer AMBER ASYLUM inaktiv sind, wie zum Beispiel CULPER RING oder RAPTOR), in Zusammenarbeiten und Samplerbeiträgen. FORCE hat auf dem "Into The Woods"-Album von TONY WAKEFORD gesungen, sie war auf dem beklatschten "Infernal Proteus"-Sampler (THE AJNA OFFENSIVE, 2002) vertreten (mit AMBER ASYLUM), außerdem auf DEAD CAN DANCE- und TORI AMOS-Tributes. Und in ihren Studios in San Francisco sind die ersten Songs von WALDTEUFEL entstanden und aufgenommen worden (1995, für die 7'' "Der große Rausch"). Auch bei AMBER ASYLUM, dem langlebigsten und am liebevollsten betreuten Projekt von FORCE, haben sich schon viele Promis die Saiten in die Hand gegeben: STEVE VON TILL von NEUROSIS etwa, ANNABEL LEE (so kam der Kontakt mit WALDTEUFEL zustande) oder MARTHA BURNS. Viele der Kurz- und Langzeitmitglieder sind oder waren in der regionalen Heavy Metal-Szene verwurzelt, Live-Gitarrist JOHN COBBETT spielt etwa bei LUDICRA, LORRAINE RATH gehörte zu der Besetzung (Bass) der Ein-Album-Doom-Metal-Band THE GAULT, ebenfalls aus San Francisco. Das dürfte wenigstens den Anteil der Metal-Hörer unter den Fans erklären ('You can't hear the metal, but you can feel it', sagen viele, wenn sie nach dem Grund gefragt werden). Nach dem Öffnen dieser facettenreichen Wundertüte ist es eigentlich erstaunlich, dass sich die Musik von AMBER ASYLUM (momentan ein Frauenquartett) eindeutig einordnen lässt: Zu hören sind auf "Still Point", dem fünften Album in elf Jahren, zehn neoklassische Songs mit dem entsprechenden Instrumentarium (Geige, Cello, Klavier, manchmal Gitarre, Flöte oder Trompete), ab und zu mit zarten 70er-Jahre-Rock-Anklängen und den Stimmen von KRIS FORCE und LORRAINE RATH. Veröffentlicht wurde auf PROFOUND LORE RECORDS, einem kanadischen Label, das sich - wen wundert's - hauptsächlich verschiedenen Metal-Spielarten widmet und auch ULVER oder ORPHANED LAND im Programm hat. Es braucht nicht viel mehr als die ersten Töne der CD, um zu begreifen, was das Besondere an AMBER ASYLUM ist: Die Band ist eine der wenigen, die große Gefühle wie Trauer und Schmerz ausdrücken kann, ohne in Pathos zu versinken. Xylophon, Trompete, Streicher und Piano schieben sich langsam übereinander und beginnen nicht einfach nur eine traurige Melodie, sondern werden geradezu ausgewrungen, bis aus ihnen auch der letzte Rest Melancholie quillt. Die ganze CD ist ein einziges, bewusstes Versinken in einem See aus Melancholie. Der klassische Soprangesang von KRIS FORCE bleibt dabei eher neutral, distanziert, mehr berichtend als schluchzend, was viel dazu beiträgt, dass AMBER ASYLUM nicht wie viele vermeintlich dramatische Gothic-Projekte in Schmalz stapfen. FORCE verleiht den meisten Stücken etwas arienhaftes, wozu auch der Aufbau und die Länge der Songs beiträgt: viele sind länger als sieben Minuten, beginnen sanft, arbeiten auf einen Höhepunkt hin und ebben dann wieder ab. Außerdem harmoniert die Stimme von FORCE perfekt mit dem emotionaleren, tieferen und rauchigen Organ von LORRAINE RATH. Die CD lässt sich in drei Parts einteilen: Vorne die reine Kammermusik, mit vielen klassischen Instrumenten, sehr intim, ab und an mit Flöte und Xylophon fast psychedelisch ausufernd; von der Stimmung her ähnlich traurig-verschroben wie die 4AD-Supergroup THIS MORTAL COIL oder die frühen COLLECTION D'ARNELL ANDREA. In der Mitte zwei Tracks, bei denen Percussion und Bass mehr in der Vordergrund treten und die in Richtung Progrock-Oper gehen, wie die rockigeren Songs von STEELEYE SPAN, über allem thronend weiterhin der Sopran von KRIS FORCE. Am Ende stehen die verzweifelten, die dunkelsten Songs von "Still Point", zwei davon ohne Gesang, Dark Ambient mit Bass und Geige, in ihrer Langsamkeit und Düsternis mehr noch als der Rest der CD wie die besten Stücke von BOHREN UND DER CLUB OF GORE, bis zum letzten Ton ein stilles Drama ohne Effekthascherei. In der Mitte der CD platziert ist ein besonderer Song, der schon oft gecovert wurde und auf diese CD besonders gut passt, weil er im Original schon entsprechend traurig ist und klagend vorgetragen wird: "The Great Valerio" von RICHARD THOMPSON, Gründungsmitglied bei FAIRPORT CONVENTION. AMBER ASYLUM haben gut daran getan, an dem Song nichts zu verändern, sie haben ihn lediglich präsenter gemacht, in unsere Zeit transportiert. "Still Point" ist die erwachsenste CD von AMBER ASYLUM, weil sie am wenigsten verspielt ist; nichts muss mehr ausprobiert werden ('Music is my evolution', KRIS FORCE). Die Stimmung, die Stimmen, die Instrumente, alles ist perfekt positioniert, es konnte nichts anders werden an diesem Album. Wundervoll depressive Kammermusik für die kommenden Monate.
Michael We. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » AMBER ASYLUM » KRIS FORCE @ myspace Themenbezogene Artikel: » AMBER ASYLUM: Sin Eater Themenbezogene Newsmeldungen: » Neue Alben: SECRETS OF THE MOON / AMBER ASYLUM » AMBER ASYLUM finden bei Prophecy neues Heim
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Zusammenfassung
Zehn traurige Neoklassik-Opern von und mit KRIS FORCE. Ein herzergreifendes Lehrstück. Lieber Düster-Nachwuchs, hier hört Ihr, wie man melancholisch und verzweifelt klingen kann, ohne schmalzig und pathetisch zu werden.
Inhalt
- In The Still Point He Remains (6:41)
- Black Phoebe (4:43) - The Summation (4:54) - Outer Dark (8:49) - Loss Is The Sword (6:35) - The Great Valerio (4:59) - Garden Of Love (7:29) - Diminishing Returns (7:13) - North (3:19) - 12 Months (8:10) |