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Axel M.

BJÖRK: Volta


BJÖRK: Volta
Genre: Electronic Wave / Folk-Rock
Verlag: Little Indian
Erscheinungsdatum:
07.05.2007
Medium: CD / LP
Preis: ~30,00 €
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„Ich bin stets auf der Suche nach energiebeladenen Worten. Gewöhnlich kommen sie einfach, aus einem Magazin, oder irgendjemand sagt etwas. Ich wartete Jahre, während ich an dem Album arbeitete, aber nichts kam. Nur Wörter wie „Spannung“ oder „Voodoo“, die mir irgendwie zu gewöhnlich waren.

Ich habe immer versucht, lateinisch klingende Titel oder so ähnlich auszusuchen, keine englischen, was ein wenig komisch ist, weil wir Europäer Latein für eine Art neutrale Sprache halten… Aber ich fand VOLTA… Ich kann mich nicht erinnern, wie es dazu kam, aber ich googlete es und fand heraus, daß es zum einen der Name eines italienischen Wissenschaftlers ist, der die Batterie erfand und zum anderen ein von Menschenhand errichteter afrikanischer Fluß sowie eine von Menschenhand errichtete Lagune namens LAKE VOLTA. So fügten sich verschiedene Teile zusammen.

Ich werde hier jetzt nichts Spezielles aufführen, die Leute können für sich selbst entscheiden, was es bedeutet. Es gibt auch einen mittelalterlichen Tanz dieses Namens, sehr lustig, aber schwer zu erlernen. So, nun habe ich viel in einem Wort zusammengefaßt: einen Tanz, einen afrikanischen Fluß, der mittlerweile ausgetrocknet ist, und die Batterie. Nun gut – ist witzig.“

So BJÖRK auf Ihrer Internetpräsenz (www.bjork.com) zur Namensgebung des neuen Albums „Volta“, das am 7. Mai 2007 auf dem Label LITTLE INDIAN veröffentlicht wurde. Die Aufnahmen entstanden in ihrer Heimat Island, ihrem jetzigen Wohnsitz New York sowie San Francisco, Jamaika, London, Brüssel, Mali, Malta, La Gomera und Tunesien. Nahezu eine kleine Weltreise.

„Wir sangen zusammen in 24 Stunden Finsternis, unsere Gesichter eng aneinander gepresst, auf dem Eisbärfellteppich stehend und in Jamaica, den Ozean anschreiend und Wasserfälle hinunter springend.“ (ANTONY HEGARTY in einem Interview im Februar 2007)

Die isländische Vokalakrobatin BJÖRK hat ähnlich wie DAVID BOWIE einige musikalische Inkarnationen hinter sich: Mitte der Achtziger Sängerin der Punk-Band KUKL, Ende der Achtziger bis in die frühen Neunziger Sängerin der Gitarrenpop-Formation SUGARCUBES, um dann 1993 mit dem Album „Debut“ ihre Solokarriere zu starten. Zwischendurch mal der eine oder andere kollaborative Ausflug.

Entstanden sind bis dato sieben reguläre Alben. Musikalisch im Prinzip einzuordnen als düsterer Elektro-Pop mit intellektuellen Texten und einem Hang zum Sentimentalen – aber durchaus meistens irgendwie eingängig. Das hörte auf mit ihrem letzten Studio-Album „Medúlla“, das auf Klangteppiche gänzlich verzichtete und nur mit ihrer Stimme arbeitete.

Mit „Volta“, das auf CD und als aufwendig gestaltete Doppel-Vinylversion auf den Markt gekommen ist, hat sie jetzt ein anderes Kapitel aufgeschlagen. Musikalisch ist sie eindeutig komplexer geworden und wagt sich in Richtung eines SCOTT WALKER. Irgendwelche Charterfolge hat sie wohl auch nicht mehr nötig – im Großteil der zehn Lieder steckt kaum kommerziell auszuschlachtendes Potential. Auffallend ist, daß für die Gestaltung der Verpackung (und auch der Internetseite) mindestens soviel Mühe aufgewendet wurde wie für das Arrangieren der Musik. So ist zum Beispiel das Vinyl in einer aufklappbaren Pappbox versteckt, die man erst aufbekommt, wenn man den Aufkleber löst (der sich erfreulicherweise ohne Schaden zu nehmen am Rande der Box wieder ankleben läßt). Darin dann ähnlich einer japanischen Puppe fünf weitere Innenhüllen mit Photos, bevor dann die beiden Platten in mit den Texten und Produktionsinformationen bedruckten Papierhüllen kommen. Dieser Aufwand hat natürlich mit ca. 30 € auch seinen Preis.

Die frühere Wärme der Lieder ist einer geballten Ladung isländischer Kälte gewichen, lediglich zwei Gesangsduette mit ANTONY HEGARTY (ANTONY & THE JOHNSONS) bringen etwas Wärme in das Ganze.

Hier nun das Liedgut:

Seite A:

1. „Earth Intruders“: die erste Single-Auskoppelung (natürlich mit diversen Remixen), durchlegt mit einem stampfenden (Marsch?-)Rhythmus – we are the paratroopers – dieser Slogan gibt die Intention des Stückes sehr gut wieder.

2. „Wanderlust“: beginnt leicht jazzig mit einem Brass-Intro und Meeresrauschen, um dann in schwer verdauliche, entfesselte, BOWIE-mäßige (in der Endsiebziger-Phase), fremdartige Melodien abzudriften – united in movement. Hier wird schon vorgegeben, wie es dann auf der nächsten Seite musikalisch weitergeht.

Seite B:

3. „The Dull Flame of Desire“: das erste Duett mit Antony. Dem Text liegt eine Übersetzung eines Gedichtes von FYODOR TYUTCHEV zugrunde, damals rezitiert in dem sowjetischen Film „Stalker“ des Regisseurs ANDREI TARKOVSKY. Orchestraler Bombast – durch die niederprasselnde Peitsche sehe ich die dunklen Flammen der Begierde – DAS Liebeslied des 3. Jahrtausends, das MARC ALMOND nicht geschrieben hat.

4. „Innocence“: die zweite Single-Auskoppelung. Klingt, als wäre MADONNA Isländerin und von JG THIRLWELL geremixed worden – fear is a powerful drug.

Seite C:

5. „I see who you are“: klingt vom Titel her bedrohlich, aber sonst wie im buddhistischen Tempel beim Friedensritual aufgenommen – let’s celebrate now all this flesh on our bones…

6. „Vertebrae by Vertebrae“: erinnert an den alten SCOTT WALKER aus den Sechzigern, nur technisch 30 Jahre weiter – same old cloud claustrophobic in me.

7. „Pneumonia“: und weil’s so schön ist, nochmals SCOTT. Ich mußte an sein Lied COPENHAGEN denken – not want them humans anymore…

Seite D:

8. „Hope“: what’s the lesser of two evils? Kein weiterer Kommentar.

9. „Declare Independence“: Don’t let them do that to you – isländische PATTI SMITH? Das wohl elektronischste Stück, wie SUICIDE, durch den dann einsetzenden Elektro-Punk-Beat – das härteste Lied der Platte, als ob BJÖRK ALAN VEGA abgelöst hätte.

10. „My Juvenile“: wieder mit Antony, hier kommt tatsächlich etwas Wärme rüber – this is an offer to better the last let go.

Fazit: ein reifes, gewagtes, erwachsenes Werk – vielleicht sollte man sie mal mit SCOTT WALKER zusammenbringen, das Ergebnis werden wir garantiert nie vergessen. Auf jeden Fall hat sie mit diesem Tonträger ihre Unabhängigkeit vom öden Musikgeschäft endgültig erklärt. Lang lebe Island!


 
Axel M. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Homepage von BJÖRK
» One Litte Indian Records


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Zusammenfassung
Die frühere Wärme ist einer geballten Ladung isländischer Kälte gewichen. Ein reifes, gewagtes, erwachsenes Werk.

Inhalt
Titel:
1. Earth Intruders
2. Wanderlust
3. The Dull Flame Of Desire
4. Innocence
5. I See Who You Are
6. Vertebrae By Vertebrae
7. Pneumonia
8. Hope
9. Declare Independence
10. My Juvenile
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