Michael We.
ALAMAAILMAN VASARAT: MaahanVon Totenkopf-Malern und Werwolf-Filmen
Genre: Klezmer
Verlag: Nordic Notes Vertrieb: Nordic Notes Erscheinungsdatum: August 2007 Medium: CD Preis: ~14,00 € Kaufen bei: Nordic Notes Herrrrrreinspaziert meine Damen und Herren in unser kleines Weltweit-Varieté. Ein wenig Irish Folk zum Mitnehmen? Bitte schön. Ein Pfund Klezmer? Beehren Sie uns bald wieder. TOM WAITS-Balladen ohne TOM WAITS? Die letzten Stücke zum halben Preis. Und heute besonders zu empfehlen: Der kleine, aber feine Funeral Blues. So oder ähnlich würde ich wohl versuchen, die neue CD von ALAMAAILMAN VASARAT (übersetzt 'Die Hämmer der Unterwelt') auf der Straße an den Mann zu bringen: mit einer nicht enden wollenden Liste an Stilen und Vergleichen. Denn die sechs Finnen packen so viele verschiedene Dinge unter einen Hut, dass es unmöglich ist, dabei mit nur wenigen Umschreibungen auszukommen. Bevor diese Rezension wieder in die Spur zurückkehrt und der Reihe nach ein paar vernünftige Fakten zusammenträgt, hier noch ein Entwarn-Hinweis für alle Leser, die bei 'Finnen' nur stirnrunzelnd an lustige, wodkabeseelte Polka denken können: ALAMAAILMAN VASARAT sind anders. Und jetzt lest weiter. Gegründet wurde die Band vor zehn Jahren (1997) von zwei Musikern, die sich schon aus einer anderen - in Finnland legendären - Gruppe kannten: TEEMU HÄNNINEN (Drums) und JARNO SARKULA (Bass), Mitglieder der nach zwei Alben wieder aufgelösten Prog-Rock-Formation HÖYRY-KONE. Weil die Möglichkeiten mit Bass und Schlagzeug doch recht eingeschränkt sind, kaufte JARNO noch ein Saxophon dazu. Dessen erster Ton gilt als Geburtsstunde von ALAMAAILMAN VASARAT. Andere Instrumentalisten scharten sich um die beiden, etwa der studierte Jazzmusiker ERNO HAUKKALA (Posaune) oder TUUKKA HELMINEN, einer der beliebtesten finnischen Studio-Cellisten. Heute gehören zum Line-Up noch MIIKKA HUTTUNEN (Harmonium, Piano) und MARKOS MANNINEN (ebenfalls Cello). Die Liste der VASARAT-Instrumente umfasst inzwischen: mehrere Saxophone und Klarinetten, je eine Posaune und Tuba, zwei Celli, ein Harmonium und diverse Percussion-Instrumente. Im Jahr 2000 erschien das erste Album „Vasaraasia“, das bis in die Top Ten der Worldmusic-Charts kletterte. Es folgten „Käärmelautakunta“ (2003) und „Kinaporin Kalifaatti“ (2005), eine Zusammenarbeit mit TUOMARI NURMIO (*1950), einem der ältesten (und berühmtesten) finnischen Songwriter und Rockmusiker, der (zumindest in Finnland) immer wieder mit BOB DYLAN verglichen wird. Für dieses Album wurde die Band mit dem wichtigsten finnischen Musikpreis ausgezeichnet. Dazwischen komponierten die sechs Finnen Filmmusik (ein Track davon ist auch auf dem neuen Album zu hören) und tauchten auf diversen - finnischen - Samplern auf. ALAMAAILMAN VASARAT haben in (ausverkauften) Rockclubs und Jazzbars, auf Worldmusic- und Prog Rock-Festivals in Portugal, Schweden, den Niederlanden, Japan und den USA (und selbstverständlich auf allen Festivals in Finnland) gespielt, und CHRISTIAN von NORDIC NOTES, der sich um den Deal für das neue Album bemüht hat, will der Band nun endlich auch im deutschsprachigen Raum zu einer angemessenen Bekanntheit verhelfen. Ihre Musik bezeichnet die Gruppe als 'Ethnic Brass Punk', eine Umschreibung, die nicht wirklich weiterhilft, aber immerhin andeutet, dass es sich um eine Mischung verschiedener Stile handelt. Mir fielen beim ersten Hören vor allem die Klezmer- und Brass-Elemente auf, aber auch die Reduktion auf diese beiden Richtungen wäre zu kurz gegriffen. "Maahan", ein rein instrumentales Album, beginnt mit einem kurzen und typischen Klezmer-Song, der komplett live eingespielt wurde. Die Blasinstrumente, die bei Klezmer abwechselnd weinen oder lachen, triefen hier vor Traurigkeit. Eine Ballade (sagt die Band) für alle Immigranten, die "hungrig und durstig ihr Land verlassen mussten". Die folgende Mischung zwischen Rock und Blasorchester ist etwas beschwingter und erzählt mit Harmonium und Cello eine (selbst erfundene) Film Noir-Story über die Suche nach einem gestohlenen, wertvollen Artefakt. Hier macht sich bemerkbar, dass fast alle VASARAT-Mitglieder irgendeine Art von klassischer Musik studiert haben, denn "Kyyhylly" würde auch auf einem Festival für moderne Klassik kein Aufsehen erregen. Track 3 öffnet die Tür in die Varieté- und Zirkuswelt, die auch in weiteren Songs immer wieder einmal aufgeht, mit einem flotten, Ska-ähnlichen, aber unterschwellig traurigen Stück über alternde Seiltänzer und wehmütige Clowns. So vielfältig und abwechslungsreich geht es auf der ganzen CD weiter, mit einer 'scary' Prog Rock-Nummer (4), auf der sich Cello, E-Gitarre und ein jazziges Piano jagen, einem irischen Stepptanz (5), einem Beerdigungsblues (6), der sich schlagartig in eine Wiederauferstehungsparty mit allen zur Verfügung stehenden Instrumenten verwandelt, einem neapolitanischen Hochzeitssong (8) und einem rasenden Klezmerwirbel mit sägender Rock-Trompete (10). Zwei Songs fallen wegen ihre Klasse auch in diesem außergewöhnlichen und hochwertigen Rahmen besonders auf: Eine eiernde, brassige Ode (7) an KALERVO PALSA, einen finnischen, expressionistischen Maler (der häufig Totenschädel und große Geschlechtsteile darstellte und angeblich betrunken in Lappland erfroren ist. Über ihn wird demnächst ein Film erscheinen, zu dem VASARAT den Soundtrack komponiert haben). Ich habe schon öfter von einer WAITS-Ballade ohne TOM WAITS gesprochen, wenn ich einer besonders gelungenen, 'betrunkenen' und scheppernden Instrumental-Ballade gelauscht habe. Dieses Mal kann ich seine Stimme so gut wie hören, ich schwöre es! Als 'Zugabe' liefert Track 11 einen Ausschnitt aus dem Soundtrack für einen Werwolf-Animationsfilm ("Elukka") von TATU POHJAVIRTA (der auf dem letzten Internationalen Kurzfilmfestival in Hamburg ausgezeichnet wurde) und mich - wie einige andere Stücke der CD auch - an den Soundtrack zu "Nightmare Before Christmas" von TIM BURTON erinnert. "Maahan" ist eine wunderbare, meist melancholische Reise um die Welt, auf der wir viele unterschiedliche Menschen treffen, vom traurigen Zirkusartisten über den erfolglosen Dieb bis zum heimwehgeplagten Restaurantbesitzer. Die Musik ist energiegeladen, rau und ehrlich und gehört zu der Sorte, die schon immer im menschlichen Unterbewusstsein verwurzelt zu sein scheint und die manche Bands in Sternstunden ab und zu einmal an die Oberfläche holen. Die Mischung aus typischer Klezmer-Traurigkeit und Jazz-Brazz-Rock (ja, noch eine Umschreibung!) ist nie albern oder betont lustig, im Gegenteil, manchmal fast klassisch ernst. Die Produktion hält ein exzellentes Niveau (die meisten Bandmitglieder betreiben eigene Studios), so dass alle Instrumente immer hörbar bleiben. Wer wissen will, was für schöne Dinge sechs Menschen mit einer Batterie an Folk- und Jazz-Instrumenten anstellen können, oder wer einen Nachfolger für die finnischen Cellisten von APOCALYPTICA sucht, deren Rock-Attitüde inzwischen doch etwas übertrieben wirkt, dem lege ich "Maahan" wärmstens ans Herz. Die Band hat im Booklet statt langer Erklärungen einfach ein paar große Ohren abgedruckt. Also hören und freuen!
Michael We. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » ALAMAAILMAN VASARAT » Elukka zum Anschauen
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Zusammenfassung
Sechs Finnen mit ungefähr drei Mal so vielen Instrumenten spielen - ja was eigentlich? Sie mischen Klezmer, Jazz, Brass, Blues und alles, was sonst noch erdig und melancholisch klingt. Heraus kommt Musik, die es verdient, endlich auch in Deutschland (und nicht nur im Rest der Welt) gehört zu werden.
Inhalt
- Maahan (0:57)
- Kyyhylly (3:40) - Helmi Otsalla (3:36) - Luiden Valossa, Naapurin Talossa (3:40) - Huikeuden Lieriö (3:52) - Eläimet Huutaa (5:55) - Lumeen Nukkuneet (5:28) - Katkorapu (4:23) - Käärme Toi Ruton Kaupunkiin (3:23) - Rooman Ruumiit (3:40) - Elukka (1:11) |