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Roy L.
FIENDISH FIB/WERMUT: The Nervous Split
I guess I’m just a nervous guy…
Kategorie: Rezension
Erstellt: 14.06.2007
Wörter: 1134
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Zurück zu den Wurzeln: Stroboskoptanzflächen, verschwendete Jugendjahre, Vinylhysterie, im Rhythmus bleiben mit den nervösen Sequenzen. Bei TREUE UM TREUE hat man sich wieder einmal zwei epileptisch zuckende 10-Zoll-Seiten lang gar nicht beherrschen können und alles rausgelassen, was im Inneren an Minimalelektro brodelte. Glücklicherweise, wie wir inzwischen wissen sollten. Das Ganze ist eine klassische Split-Veröffentlichung, die Helfershelfer vom labelinternen Projekt WERMUT heißen FIENDISH FIB und das, was sich da von ihnen in den Rillen herumdrückt, wurde bereits vor knapp zwanzig Jahren aufgenommen, man glaubt es kaum. PIERRE GASTOU und der in Frankreich aufgewachsene Deutsche HENNING SPECHT zaubern seit Ende der Achtziger zusammen so etwas wie Musik aus dem improvisierten Arsenal von elektronischen und akustischen Gerätschaften hervor, und die genialischen Funken schienen dabei ohne Unterlass zu sprühen. Die sieben hier vorliegenden Streiche zählen also zu den ersten Errungenschaften des Duos, und sie stecken so voller jugendlicher Inbrunst, von der heimischen Garage aus die Welt mit verrückter Atonalität zu verändern, dass dem Lo-Fi-Fetischisten wehmütig das Herz in Flammen aufgehen muss. Leider hat es das Projekt bis heute nicht zu einer echten Langspielplatte gebracht, denn was bisher von FIENDISH FIB an die Außenwelt gedrungen ist, beschränkt sich auf eine durch und durch schräge und zeitgeistinfiltrierende EP namens „Telecom Classics“, die ANGSTRÖM RECORDS vor vier Jahren auf den Markt gebracht hatte, wo sie jetzt immer noch verweilt und ein paar musikalische Beiträge zu den Ausstellungen „Shark Millenium“ und „Créperie 2000“. Mit Crépes und Pfannkuchen und deren kulturellen Stellenwert scheinen sich die beiden besonders gern auseinander zu setzen, der Ausstellung ging bereits der fiktive Radiosender „CFM (Créperie FM)“ voraus, hinter dem natürlich auch FIENDISH FIB steckten. TREUE UM TREUE haben also erneut vorzügliche archäologische Dienste geleistet und das Projekt nun wenigstens dreihundert Interessierten ans Herz gelegt. Aber der Zusammenhang zwischen beiden scheint in Wirklichkeit noch viel stärker zu sein. Wohl gab es Anfang der Neunziger gewisse Überschneidungen und Fluktuationen zwischen FIENDISH FIB und den damals noch nicht als solche existierenden WERMUT – gemeinsame Aufnahmesessions, gemeinsame Lebensphilosophien und nach zwanzig Jahren endlich eine gemeinsame Splitveröffentlichung. Zur Musik: die Platte ist konzeptuell auf die so langsam wiederkehrende Minimal-Disko ausgerichtet, aber wir müssen den Begriff hier wohl ziemlich flexibel angehen. Beide Bands covern oder adaptieren vielmehr dazu den TUXEDOMOON-Song „Nervous Guy“. Bei WERMUT schlägt er in einen nervös schunkelnden Walzer um, geschmeidig im Abgang und eine willkommene Gelegenheit, den Abend elegant zu beschließen. FIENDISH FIB hingegen machen daraus einen abgedrehten Tanzflächenhit, der sakral wie eine heilige Messe eingeläutet wird, bis wie auf Knopfdruck verzerrte Minimalbeats losbrechen und ein ebenso verzerrter Gesang, der sich ein bisschen rotzig am Rhythmus entlang hangelt. Soviel No-Wave auf einmal und dann gleich zum Auftakt... meine Damen und Herren, diese Platte wird sich noch tiefgreifend in Ihr Gedächtnis hineinbohren. Drei der Stücke aus dem FIENDISH FIB-Repertoire lassen sich eher als klaustrophobische Instrumentals beschreiben, Soundcollagen, von denen zwei bereits die Bilder eines B- oder C-Movie Horrorstreifens untermalen durften. Dann hätten wir da noch ein wenig Outro-Geklimper und, oh ja, noch zwei übrige Titel, die ganz explizit Erwähnung finden sollten: zum einen „The Traveller“ – ein mythischer Tiefentrip durch Alptraumlandschaften, die niemand freiwillig kennen lernen möchte, ein hypnotischer Fast-Forward-Tanz, bei dem sich zwischendurch irgendjemand mit breitem Hintern auf die Orgel setzt, ein bizarrer Hybrid aus archaischen COIL und den leichter verdaulichen GALAKTHORRÖ-Meisterwerken, das Ganze ist dann noch so eingewickelt, dass man außen ruhigen Gewissens Post-Punk draufschreiben könnte. Das gleiche Gewand steht auch der moribunden „Grandma“, aber bei ihr verhält es sich doch noch ein bisschen anders: sie wippt etwas mehr zu dem schleppend schweren Rhythmus von CLAIR OBSCUR in deren verrücktesten Momenten, GUERRE FROIDE in deren gitarrenlastigeren Momenten und ja sogar THROBBING GRISTLE in deren – ja, keine Ahnung, in deren Momenten halt. All diese eben erwähnten Namen jedoch ausblendend, lässt sich unterm Strich feststellen, dass man von FIENDISH FIB gern noch ein paar Dutzend mehr solcher Tapeüberreste gehört hätte, auch weil der oft kritisierte „früher war alles besser“ Stempel längst noch nicht abgegriffen ist und oft zurecht Anwendung finden muss. Die zweite Seite bringt uns dann zumindest den Eckdaten nach zurück ins Hier und Jetzt, aber dieses muss ja nicht zwangsläufig ein irdisches Jammertal sein. Nein, nein... WERMUT, die uns Hoffnung brachten und Botschaften von den sieben Meeren, WERMUT, die Wächter und Zeugen einer noch zu entschlüsselnden Offenbarung, haben auch bei ihrer Rückkehr zu minimalelektronischen Abenteuern wiederum die ganze Strahlkraft eines träumenden Gottes auf ihrer Seite. Der stetige stilistische Wandel ist bei WERMUT im Grunde nur Erscheinung, nur äußere Hülle, im Kern ihres Wesens bleiben sie sich beständig treu. Es muss daher irgendwo in der Tonalität ihrer Kompositionen ein höheres Gesamtwerksprinzip vorliegen, es lässt sich nicht genau lokalisieren, aber es ist zweifelsohne da. Man nehme „Complainte Du Galgo Noir“, eigentlich eine treibende Elektrohymne, die von epischen Gitarrenriffs vorangepeitscht wird, aber in ihr weht auch so ein heilignüchterner Hauch von erhabener Größe. Man stellt sich vor, LASZLO und SOFIA stünden auf einem Gipfel oder Felsvorsprung und schickten ihre prophetischen Verse gegen den dramatisch kalten Wind. Man nehme auch die unruhig wabernden Sequenzen von „Stains“, diese pfatschend-noisigen Drohungen, die von unten herauf dringen, aber das ganze Stück gerät von einem tiefen Schmerz getroffen ins Stocken, und plötzlich ist es der Rhythmus der Melancolia, der Krankheit zum Tode, der den Ton angibt. Und so verhält es sich häufig mit den einzelnen Werken dieses post-néoistischen Duos. Die Harmoniumklänge und LASZLOs andächtig mahnender Gesang bei „Petals“ rufen uns das stimmungsvolle „Anna“-Album ins Gedächtnis und sorgen bei jedem Hören immer wieder aufs Neue für unheilbare Gänsehaut und kalte Schauer. Da weht einen der Odem der Ewigkeit an, und man fühlt sich selbst kleiner und blasser werden und der Welke ausgesetzt. Die vermeintliche ROSSELLINI-Hommage „Deutschland Jahr 0“ schafft dann den Sprung zurück auf die Tanzfläche. Man sucht verwirrt und verwundert noch einmal in den Unterlagen und erstarrt: doch nicht 1981 aufgenommen (oder gar 1945!?). Lasst es uns einfach Nachkriegs-NDW heißen, postnationale Paranoia, ein wenig hallt auch das Erbe des großen Mythos DAF nach, die kurzgehackten Sätze, der kühle, monomanische Rhythmus. Aber WERMUT lassen ihren Hit noch etwas tiefer im Untergrunddreck wühlen, er ist schmutziger, punkiger, etwas für illegale U-Bahn Diskotheken mit Berliner Pathos. Und sogar hier lässt sich die goldene Spur der „übergeschichtlichen“ Sphäre ausmachen, irgendwo im Hintergrund schimmert sie und leuchtet zyklisch auf, wie es bei WERMUT immer der Fall gewesen ist. Was wir insgesamt hier vorliegen haben, das ist ganz banal gesagt eine Platte mit zwei Seiten, die man beide mehrmals im Jahr zirkulieren lassen sollte. Mit sieben verrückten, kernigen Bruchstücken aus Südfrankreich auf der einen und fünf zeitlos schönen Liedern des in Deutschland derzeit spannendsten und hörenswertesten Projektes auf der anderen Seite, wird sicher nicht nur den nervösen Jungs und Mädels unter uns die Langeweile fernbleiben.
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Verweise zum Artikel:
» Wermut
» Fiendish Fib
» T.u.T./R.u.R.
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Zusammenfassung
T.u.T. reiten wieder mal die Minimalelektrowelle. Sieben verrückte, kernige Bruchstücke aus Südfrankreich hier und fünf zeitlos schöne Lieder des in Deutschland derzeit spannendsten und hörenswertesten Projektes dort. Da wird sicher nicht nur den nervösen Jungs und Mädels die Langeweile fernbleiben.
Inhalt
A
Nervous Guy
Jardin
The Traveller
La Jungle
Grandma
Frayeurs
Toy Piano
B
Complainte Du Galgo Noir
Stains
Petals
Deutschland Jahr 0
Nervous Girl
26min
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