Vor einigen Tagen (am 23. April) wurde in Deutschland der 'Tag des Bieres' begangen, zur Erinnerung an den bayerischen Herzog WILHELM IV. Er erließ an diesem Tag vor 491 Jahren (1516) in Ingolstadt das deutsche Reinheitsgebot, eines der ältesten Lebensmittelgesetze der Welt. Es legte fest, dass im Bier nur drei Zutaten enthalten sein dürfen: Gerste, Hopfen und Wasser (Hefe war damals noch nicht als solche bekannt und wurde erst später eingefügt). Ein schöner Anlass, um ein paar Zeilen über einen Sampler zu schreiben, der - schon ein Weilchen auf dem Markt - sich ausschließlich diesem Thema, dem Bier und seiner Herstellung, widmet. Die kleine Stadt Piotrków Trybunalski (südlich von Lodz, 80.000 Einwohner) hat sich das polnische Label
BEAST OF PREY für die Titelgebung ausgesucht, weil dort Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts einige erfolgreiche Brauereien angesiedelt waren. Generell war die Braukunst in Polen immer ein florierendes Geschäft, vor allem zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert. Wie bei fast allen Veröffentlichungen von
BEAST OF PREY ist die Verpackung des Samplers herausragend: Eine auf 100 Stück limitierte Version ist mit Holzbox, kleinen Extras und einem A5-Buch ausgestattet (25 Euro, nach offiziellen Angaben leider ausverkauft). Die 'Standard'-Version (13 Euro), limitiert auf 444 Stück, kommt ohne Box, aber mit Buch. BEAST OF PREY ist allerdings dafür bekannt, dass der Inhalt, also die Musik, nicht immer die Qualität der Verpackung erreicht. Aber in diesem Fall passt beides ganz gut zusammen. Musikalisch bewegt sich 'Brewery...' zwischen Neofolk, Neoklassik, Military Pop und Dark Ambient. Einige 'große' Namen der Szene sind dabei, ansonsten haben auch viele (in Deutschland) unbekanntere Bands und Musiker einen Song beigesteuert. Alle teilnehmenden Projekte - überwiegend polnische -
versuchen natürlich, einen Bezug zu Bier herzustellen, also Teile des Produktionsprozesses zu vertonen oder auch den Geisteszustand nach dem Genuss mehrerer Flaschen zu umschreiben.
Die ersten sechs Stücke auf CD1 geben einen ordentlichen Überblick, was den Hörer auf dem kompletten Sampler ungefähr erwartet. Die Italiener von
DIVISION S führen gleich perfekt in das Thema ein: Ein altes Piano klimpert einen schiefen, torkelnden 'Bierjazz', der Rhythmus wird durch das Klopfen auf Bierflaschen gehalten (auf jeden Fall hört es sich so an), und die Stimme des Sängers klingt leicht sumpfig. Erinnert unweigerlich an TOM WAITS. Passenderweise haben DIVISION S ihre bisherigen Werke unter den Titeln 'Something to drink' in den Versionen 1 bis 4 veröffentlicht.
BARBAROSSA UMTRUNK aus Frankreich vertonen mit ihrem Military Pop-Stil offenbar einen Marktplatz, auf dem Bier getrunken und verkauft wird. Militärs marschieren vorbei, das Volk schreit, grölt und lacht, die typischen martialischen Trommeln kommen irgendwo aus dem Hintergrund. Beim dritten Track stelle ich mir zum ersten Mal die Frage, ob eine Doppel-CD über Bier wirklich eine so gute Idee war: Zwei betrunkene Polen (
NIEGRZECZNA PENSJONARKA) mit Mundharmonika, Akkordeon und ein paar Töpfen pfeifen und klappern mir was. Na ja. Ein erstes Highlight ist das französische Dark Ambient-Projekt
ASMOROD, das sich auf seinen Veröffentlichungen oft mit Buddhismus und asiatischen Religionen beschäftigt. Logischerweise setzen ASMOROD deshalb die spirituelle Wirkung um, die Bier nachgesagt wird (besonders brauende Mönche haben ja eine innige Beziehung zu Bier und eine religiöse Erklärung für dessen Existenz). Warme, sanfte Keyboardteppiche wabern, im Hintergrund ein Flüstern und Atmen - vielleicht ist das die leicht berauschte, aber sehr empfängliche Stimmung, die einen, also ganz konkret mich, nach ein paar Bier überkommt, lange bevor das Betrunkensein anfängt. Die Polen von
KREPULEC klingen ähnlich wie ihre Vorgänger von Track 3: schiefes Gepfeife und Flaschengeklapper, begleitet von einem Akkordeon und einer Kirchenorgel.
DANCE HOSPITAL aus Deutschland steuern ein schräges, dunkles Schunkel- und Schlummerliedchen bei, so wie eine Kellerkneipe für denjenigen tönt, der oben an der Treppe steht. Soweit ein kurzer Überblick über die Bandbreite von 'Brewery...'.
Namedropping findet vor allem auf der zweiten CD statt: Das chilenische Military Pop-Projekt
DER ARBEITER liefert eine große Ballade ab, 'Hijo Del Sol', ein melancholisches Stück Gitarrenfolk/-pop mit Ambienthintergrund und einem einschmeichelnden Rhythmus; ein Treiben durch die Nacht in den Sonnenaufgang, Der Song ist so stimmig in seiner Traurigkeit, dass nicht einmal die Kastagnetten peinlich sind. Die Franzosen von
STORM OF CAPRICORN bieten einen klassischen Neofolk-Song mit verstärkter Akustikgitarre und 'Douglas P.-Gesang', ganz ohne die für CAPRICORN sonst üblichen Trommeln. Mit den Geräuschen des Hamburger Duos
WERMUT kann ich wenig anfangen, dafür zaubern die römischen Neofolker von
ROSE ROVINE E AMANTI kurz vor Schluss noch einmal mit Gitarre, Glöckchen und einer sakralen Stimme eine Ode an das Bier, bei der ich sofort an die Gesänge von bierbrauenden Mönchen, (Bier-)Gelage und Tänze bei Hofe denken muss. Mein ganz persönlicher Favorit ist 'The Legend Of The Arrival Club', das Stück der polnischen Formation OUTOFSIGHT: eine einfache Melodie, ein humta-Rhythmus, Akustikgitarre, Entenpfeife, polnische Sprachfetzen und Samples. So mitreißend wie die oft leicht derbe, osteuropäische Folklore eben sein kann. Sicher nicht die musikalisch hochwertigste Nummer, aber sie passt am besten zu Bier: deftig und fröhlich. Oder wie es angeblich schon die alten Ägypter ausdrückten: 'Lasst niemals davon ab, Bier zu trinken, zu essen, Euch zu berauschen, zu lieben und die schönen Tage zu feiern.'
An diesem Sampler stimmt eigentlich fast alles. Er ist toll verpackt und es steckt eine außergewöhnliche Idee dahinter (mir ist noch kein anderer Biersampler untergekommen). Die schiefe, melancholische und leicht angetrunkene Atmosphäre, die beide CDs durchzieht, passt wunderbar zum Thema. Und meistens stimmt auch die musikalische Qualität. Unter den insgesamt 23 Track sind auf jeden Fall mehr Hochs als Tiefs. Am schwächsten sind leider oft die polnischen Bands, die sich häufig ähneln. Etwas unpassend sind die ein, zwei harten Elektrostücke, da kann ich beim besten Willen keinen Bezug zum Thema finden. Und mindestens eines der Dark Ambient-Stücke hätten sich
BEAST OF PREY auch schenken können (SATOR ABSENTIA klingen schon sehr nach ASMOROD, was daran liegt, dass erstere früher zu zweiteren gehörten). Für diese kleinen Unstimmigkeiten entschädigen aber die zahlreichen Highlights, außerdem ist der Preis von 13 Euro für eine Doppel-CD extrem fair. 'Brewery...' ist definitiv kein Sampler, der im Schrank verstauben wird, und das ist bei Millionen von Samplern auf dem Markt doch ein großes Kompliment. Ob ein potentieller Käufer unbedingt gerne Bier trinken sollte, damit er 'Brewery...' mag? Ich glaube nicht. Das Konzept lässt sich auch mit einem Glas Wein entsprechend würdigen.