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Roy L.

AFTER THE SNOW: Fracture

"To the centre of the city in the night..."


AFTER THE SNOW: Fracture
Genre: Post-Punk/ Cold-Wave
Verlag: Enfant Terrible
Medium: Vinyl 12''
Preis: ~14,00 €
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„After The Snow“, das war der Titel des 1982er Albums der 4AD-Band MODERN ENGLISH, auf dem unter anderem mit „I Melt With You“ jener seichte Düster-Postpunk-Hit vertreten ist, der heute immer noch durch so manche Darkwave Disko tingelt. Weniger ohrwurmverdächtig, aber immerhin von einer gravierenden Frühachtzigernostalgie inspiriert, präsentiert der Amerikaner ROBERT ANTHONY (SLEEP MUSEUM) nun die Arbeit an seinem neuen Nebenprojekt, das, wie wir jetzt dreimal raten dürfen, eben jenen vorgeprägten Namen AFTER THE SNOW trägt.
Worin genau der Sinn dieses Zweitprojektes verborgen liegt, mochte sich mir bis heute nicht offenbaren, sind doch die düster wirbelnden Minimalelektro- und Synthiemäander größtenteils dem SLEEP MUSEUM-Repertoire entlehnt. Nun gut, vielleicht könnte man sich darauf einigen, dass in AFTER THE SNOW noch etwas mehr New Wave steckt, eine größere Portion mitternächtiger Depressionen, also insgesamt auch ein wenig Angst-essen-Seele-auf. Das wird dann vor allem über den schleppend tiefen, bitterschwarzen Gesang transportiert, der in einem fiktiven IAN CURTIS-Wettbewerb dem Sänger der französischen Formation FRUSTRATION zwar gnadenlos unterlegen wäre, aber irgendwie doch relativ ähnlich unterkühlte Vibes aussendet.    
Der Opener „Calling“ lässt sich einige Zeit, bis er an die Oberfläche tritt, dann werden zu bedächtig schreitenden Bässen ein paar lateinische Verse gemurmelt, über das analoge Surren wird sakral drübergeorgelt und eine Kathedrale zwischen seichtem 90er Gothic und „Last Farewell“-DEATH IN JUNE errichtet. Danach wird es rhythmischer, minimalistische Beats schleppen sich  gemächlich durch sparsam ausgeleuchtete Landschaften, oft schießen samtene Noisefontänen aus dem Boden und verschwinden so plötzlich wie ihr Erscheinen („Rich In Thought“), altmodische Sequenzen blubbern quer durch die Lüfte, manchmal sägt und brummt der Moog im Untergrund wie psychedelische Acidgitarren („Table“) und meistens reißt der orphische Sprechgesang die ganze Szenerie hinab in die tiefsten Höllenkreise. Man braucht eine Weile, dann findet man den Weg in diese kühle, unerbittliche Nacht und wandert benommen auf betonierten Pfaden den Ausweg suchend, der für kurze Zeit aufflackert in den hell gleißenden Keyboardflächen von „Enough (Open)“, dem insgesamt interessantesten, aussagekräftigsten Stück der Platte. Das ganze Album lebt von einer drückend monotonen, grüblerischen Schwere und mythischen Tiefe, die den langsameren JOY DIVISION-Stücken entnommen zu sein scheint. Mit der amerikanischen Coolness des Cold Waves verhält es sich aber anders als mit der europäischen. Ihr fehlt ein wenig die französische Leichtfüßigkeit, das  britische „I got the spirit but lose the feeling“ oder schlichtweg diese kompromisslose Kälte durch und durch. ROBERT ANTHONY hat den Geist unseres Frühachtziger New Waves gut eingefangen und in sich aufgesogen, aber er gibt ihn auf den ersten Blick etwas oberflächlicher wieder.
Nach mehrmaligem Hören erkennt man jedoch im Gesang eine subtil vergrabene, kranke Besessenheit, die sich in „Slave“ fast schon in COIL-ähnliche Gefilde steigert. Bedächtigeres Lauschen legt gleichermaßen in dem schon erwähnten „Enough (Open)“ einen zu später Stunde hypnotisierenden Trip durch namenlose Städte frei, auf deren regennassem Asphalt eine introspektive Melodie von großer Emotionalität und dichterischem Dunkel glänzt. Vielleicht braucht „Fracture“ diese Zeit, um mit seinem stimmungsvollen Schattenspiel Spuren zu hinterlassen und vielleicht sollte man sie der Platte auch zugestehen, trotz der derzeitigen Flut an retro-wavigen Neuveröffentlichungen.


 
Roy L. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» After The Snow
» Enfant Terrible


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Zusammenfassung
Das SLEEP MUSEUM-Nebenprojekt verbindet kalte, analoge Minimalelektromelodien mit der grüblerischen Dunkelheit früher New Wave-Heroen. Auf den ersten Blick noch etwas unoriginell wirkend entfaltet sich bei intensiverem Hören eine dichte, emotionsgeladene Mitternachtsatmosphäre.

Inhalt
A:
Calling
Betrayed
Table

B:
Enough (Open)
Slave
Rich In Thought

31min

enfant06 | limitiert auf 350 Kopien in schwarzem Vinyl
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