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Markus B.
FAD GADGET by FRANK TOVEY
A Retrospective In Sound And Vision
Kategorie: Rezension
Erstellt: 11.01.2007
Wörter: 1061
Artikelbewertung:
positiv:100% negativ:0%
FRANK TOVEY alias FAD GADGET war die Kultfigur des englischen Elektro-Pop der frühen 80er Jahre, die Hitgruppen wie DEPECHE MODE, HEAVEN 17 u.a. hervorbrachten. Jedoch produzierte TOVEY Musik, die gängige Hörgewohnheiten aufbrach und sich von allen Bands ähnlicher Couleur deutlich abhob – durch seine scharfzüngigen Texte, seine Experimente mit Sounds und Noise, Percussions und herkömmlichen Instrumenten, die den kühlen Klangwelten von Synthesizern und Drumcomputern Seele verlieh. FRANK TOVEY wurde nur 45 Jahre alt und starb im Jahre 2001 nach seinem Comeback und einer ausgedehnten Tournee mit DEPECHE MODE völlig überraschend in seinem Londoner Haus. Die CD/DVD-Box "FAD GADGET by FRANK TOVEY" wurde gemeinsam mit seiner Familie zusammengestellt und enthält erstmals rare Fernseh- und Videodokumentationen nebst unveröffentlichten Demoaufnahmen. Daher ist sie Fans und jedem, der elektronischer Musik etwas abgewinnen kann, uneingeschränkt zu empfehlen. Und sogar die Folkfreunde unter uns dürften auf ihre Kosten kommen, denn wenn es etwas gab, das man TOVEY in seiner mehr als zwanzigjährigen Laufbahn nicht nachsagen konnte, dann war es Berechenbarkeit.
1978 steckte DANIEL MILLERs mittlerweile renommiertes Label MUTE noch in den Kinderschuhen, und MILLERs erste Single "Warm Leatherette/TVOD", veröffentlicht unter dem Pseudonym THE NORMAL, wurde in einer Kleinstauflage von gerade einmal 500 Pressungen unter die Leute gebracht. Niemand konnte ahnen (am wenigsten wohl MILLER selbst), dass sich sein Londoner Label innerhalb von drei Jahren dank einer vierköpfigen Synthie-Teenie-Poppyband (wie ANTON CORBIJN einmal treffend formulierte) zum Wegweiser für musikalisch vielfältige Post-Punk-Projekte entwickeln würde. Denn die schnelle Mode aus Basildon schuf ohne Frage den finanziellen Boden für die Verwirklichung seiner Vision, mit MUTE eine Plattform für Künstler, die abseits vom Mainstream sonst wohl kaum eine Chance gehabt hätten und zu denen u.a. auch BOYD RICE (NON) und eben der aus Leeds stammende Performancekünstler FRANK TOVEY gehörten, zu schaffen. Enttäuscht von den herkömmlichen Möglichkeiten der Gitarrenmusik entwickelte TOVEY, der sich fortan selbst nur FAD GADGET nannte, ein Interesse für elektronische Soundspielereien und schrieb in seinem Londoner Appartement an ersten eigenen Songs.
Die Bekanntschaft mit MILLER führte im September 1979 zur Veröffentlichung der ersten Single "Back To Nature", welche sich recht zügig in der alternativen Londoner Clubszene etablieren konnte. Die tanzbar-schräge Nachfolgesingle "Ricky’s Hand" (1980) behandelt die Geschichte eines bei einem Autounfall zu Tode gekommenen Alkoholikers und bewies einmal mehr, dass sich insbesondere die schwarzhumorigen Texte TOVEYs deutlich von denen artverwandter Künstler wie THE HUMAN LEAGUE oder ORCHESTRAL MANOEUVRES IN THE DARK unterschieden.
Erste kleinere Konzerte in Londoner Clubs festigten TOVEYs Ruf als Kultfigur der englischen Techno-Pop-Bewegung. Für das Vorprogramm eines Konzertes im Bridgehouse verpflichtete TOVEY die bereits erwähnten (jedoch bis dato unbekannten) DEPECHE MODE, die durch diesen Auftritt das Interesse von DANIEL MILLER weckten und per vertraglichen Handschlag fortan den stetigen Erfolg des kleinen MUTE-Labels begründeten.
Im Gegensatz zu DEPECHE MODE gelang FAD GADGET jedoch nie der große kommerzielle Wurf. Seine Platten waren zu abstrakt, zu avantgardistisch für die Hörgewohnheiten der breiten Masse. Seine Texte vielleicht zu intelligent und zynisch um neben SOFT CELL und ABC im Radio zu bestehen. Am ehesten gelang ihm dies vielleicht 1984 mit "Collapsing New People" in Zusammenarbeit mit den Berliner Industrialisten EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN. Der legendäre Auftritt im geteerten Federkostüm in der ARD-Sendung "Formel 1" ist auf der vorliegenden DVD 1 zu sehen.
Eine Auswahl von Stücken der vier regulären FAD GADGET-Alben, die zwischen 1980 und 1984 veröffentlicht wurden, ist auf CD 1 dokumentiert, welche darüber hinaus einen Song der "Easy Listening For The Hard Of Hearing"-Zusammenarbeit mit BOYD RICE und dem Künstlerkollektiv MKULTRA enthält. Zwei bisher unveröffentlichte Stücke runden die gelungene Zusammenstellung ab. Die fünf bisher unveröffentlichten Demoversionen ermöglichen einen direkten Vergleich mit den fertig abgemischten Studioversionen, welche auf CD 2 zu finden sind.
Von den zwei bisher erschienenen Best Of und Singles-Zusammenstellungen unterscheidet sich diese Veröffentlichung insofern, dass sie die Zeit nach 1984 – in der TOVEY unter seinem eigenen Namen veröffentlichte – nicht außer Acht lässt. Nachdem ihm der Synthesizer in Anlehnung an seinen bisherigen Namen als Spielzeug zu "FAD" wurde, wählte TOVEY einen musikalischen Weg der zunächst viele Fans und Kritiker gleichermaßen verunsicherte. Sein 1989er Werk "Tyranny & The Hired Hand" ist klassischer Countryfolk und enthält Interpretationen bekannter Volkslieder und Songs von z.B. BOB DYLAN und LOU REED. Hier zu hören ist die Singleauskopplung "Sam Hall", das einigen vielleicht auch als Version von JOHNNY CASH ein Begriff ist. TOVEYs Zusammenarbeit mit der irischen Folkband THE PYROS ist in "The Liberty Tree", "Cities Of The Plain", "Chasing The Blues Away" und "All That Is Mine" zu hören.
Für die digitalen Bildscheiben wurde tief in den Archiven gewühlt. Neben raren Fernsehauftritten und sämtlichen Promotion Clips gibt es u.a. ein komplettes Konzert von 1984 im traditionellen Manchester Club "Hacienda" zu bestaunen, welches mit doch erstaunlich guter Bild- und Tonqualität daherkommt. Sehr amüsant auch die Konzertausschnitte aus dem holländischen Fernsehen, bei dem TOVEY sich schicke New Romantics (klassisch mit Tolle und Mickey Mouse-T-Shirt) zum gemeinsamen Hüftschwung auf die Bühne holt. Die berühmte Ode an die naturgegebene Körperbehaarung der Frau ("Lady Shave") greift dem Schönheitswahn der heutigen Zeit vor und zeigt TOVEY von Kopf bis Fuß in Rasierschaum gehüllt beim Schamhaarzupfen. Ein Klassiker! An seine extravaganten Bühnenshows, die ihm selbst teilweise arg zusetzten (gebrochene Beine in Amsterdam, Platzwunden am Kopf durch exzessives Schlagzeugspiel), erinnern sich langjährige Freunde und Kollegen (u.a. MARTIN GORE, BOYD RICE) in einer vorzüglichen Dokumentation. In dem Kurzfilm "The Grand Union", der im Zuge des gleichnamigen Albums von 1991 gedreht wurde, erzählt TOVEY über seine Kindheit in London und den Grand Union Kanal, welcher mit einer Länge von mehr als 200 km die Städte London und Birmingham verbindet und ihm als Inspirationsquelle für die Songs der Platte diente. Komplettiert werden die DVDs von einem weiteren vollständigen Konzert von 2002 in Bootleg-Qualität (eine professionelle Aufnahme existiert nicht) und von drei Songs, die TOVEY mit seiner Band TEMPLE-X im Vorprogramm der DEPECHE MODE-Exciter Tour 2001 spielte. Wenn man bedenkt, dass sowohl MUTE als auch DM stets in Ehrfurcht von TOVEY sprechen, ist es allerdings unverständlich, dass offensichtlich lediglich drei Songs mitgeschnitten wurden, wobei umfangreiche Aufnahmen von DM für DVD-Veröffentlichungen existieren.
In einem der Text-Beiträge (u.a. von MARC ALMOND) aus dem reich bebilderten Booklet hat BOYD RICE jedenfalls den Nagel auf den Kopf getroffen, indem er feststellt: "Sadly I don’t think that Frank’s influence (on other musicians) was that great. I think that electronic music would have been more interesting had it been…"
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Verweise zum Artikel:
» Offizielle Webseite
» Umfangreiche Fanseite
» Mute Records
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Zusammenfassung
Umfangreiche Werkschau eines wegweisenden Künstlers, die sämtliche Facetten seiner Musik beleuchtet. Neben raren TV- und Konzertaufnahmen gibt es interessante Demoaufnahmen zu hören. Herzstück dieser Zusammenstellung ist eine rund einstündige Dokumentation mit Stationen aus dem Leben des FT.
Inhalt
DVD DISC 1
Fad Gadget by Frank Tovey Dokumentation
TV performances
01. Ricky's Hand, a short film by Alex Proyas
02. Life On The Line (Karrussel TV performance)
03. Collapsing New People (Formel Eins TV performance)
04. Luxury (Karrussel TV performance)
Videoclips
05. Luddite Joe
06. Bridge Street Shuffle
07. Sam Hall
08. The Liberty Tree
09. All That Is Mine
Grand Union, ein Kurzfilm
(3 "Easter Eggs")
DVD DISC 2
Live performances
New York City, Mud Club
01. Coitus Interruptus
Manchester, Hacienda - 28th February 1984
01. State Of The Nation
02. Coitus Interruptus
03. King Of The Flies
04. I Discover Love
05. Ideal World
06. Collapsing New People
07. One Man's Meat
08. The Ring
09. Jump
10. Ad Nauseam
11. Lemmings On Lover's Rock
12. Love Parasite
13. For Whom The Bells Toll
14. Ricky's Hand
15. Back To Nature
Brixton, The Ace, January 1983 - "Whatever You Want"
01. Intro
02. Coitus Interruptus
03. Sheep Look Up
04. For Whom The Bells Toll
Amsterdam, Hotel Suburbia, 29th January 1983
01. Life On The Line
02. For Whom The Bells Toll / Interview
03. Ladyshave
04. Back To Nature
Depeche Mode Exciter Tour 2001
01. State Of The Nation
02. Ricky's Hand
03. Love Parasite
London, The Garage, 18th January 2002
01. Worried Man
02. Ricky's Hand
03. Collapsing New People
04. Chasing The Blues Away
05. Luxury
06. The Box
07. Ladyshave
08. Love Parasite
09. Fireside Favourite
10. Coitus Interruptus
11. Ad Nauseam
12. Back To Nature
CD DISC 1
01. Swallow It
02. Jump
03. Ideal World
04. Luddite Joe
05. Under the Flag II
06. Bridge St Shuffle
07. Sam Hall
08. The Liberty Tree
09. Cities Of The Plain
10. Chasing The Blues Away
11. All That Is Mine
Collaborations
12. Easy Listening - Ex 2 (Frank Tovey and Boyd Rice)
13. Immobilise (Mkultra)
Unreleased tracks
14. A Place With The Pigs (theatre music)
15. Sleeper
CD DISC 2
Unreleased Demo Tracks
01. State Of The Nation
02. The Box
03. Salt Lake City Sunday
04. Coitus Interruptus
05. Back To Nature
Released Versions
06. State Of The Nation
07. The Box
08. Salt Lake City Sunday
09. Coitus Interruptus
Fans' Top Five
10. Back To Nature
11. Ricky's Hand
12. Ladyshave
13. Collapsing New People
14. Love Parasite
Temple X Tribute
15. Sorogui
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Fad Gadget
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Viel kann man dem Artikel nicht mehr hinzufügen. Das ist die umfassendste und beste Rezension über "Fad Gadget by Frank Tovey" die ich bisher lesen konnte. Danke für die Mühe, die Du Dir gemacht hast!
Jeder Fad Gadget Fan wird mir zustimmen wenn ich behaupte, dass Mute ein sehr fan-freundliches Album veröffentlicht hat. Es wurde nicht penibel darauf geachtet, daß alles perfekt ist. Es fanden keine Nachbearbeitungen statt, die die Authentizität der Aufnahmen beeinträchtigt hätten. Es wurden keine Konzertpannen editiert oder Szenen zensiert.
Man kann natürlich behaupten, dass hierbei eher auf Quantität statt auf Qualität gesetzt wurde, aber es gibt leider nur wenig gutes Bildmaterial und jeder Fan ist froh über jeden noch so kleinen Video-Schnipsel. Deshalb war das genau der richtige Weg.
Ein paar B-Seiten oder andere "vinyl-only" Aufnahmen wären noch schön gewesen, aber man kann ja nicht alles haben. ;-)
Für mich auf jeden Fall das Album-Highlight des letzten Jahres!
Ronny