BLEIBURG, das Projekt des Deutsch-Kroaten STEFAN RUKAVINA, der auch das ominöse
THAGLASZ-Label bzw. den Death in June Freundeskreis leitete, gilt vielen als ein etwas sonderbares und vor allem auch dilletantisches “Experimental Neofolk”-Projekt. Der Rezensent sieht das auch so, da BLEIBURG aber auf vorliegender Doppel-CD mit einer Reihe interessanter Künstler kollaborierten, ist eine möglichst vorurteilsbefreite Rezension einen Versuch wert.
Bleiburg ist der Name einer kleinen Stadt in Kärnten, Österreich. Kurz nach Ende des 2. Weltkrieges vollzogen hier jugoslawische (Tito)-Partisanen ein furchtbares Massaker an Ustascha-Soldaten, ihren Frauen und Kindern. Bei dieser Racheaktion an kroatischen (3. Reichs-)Kollaborateuren starben unterschiedlichen Schätzungen zufolge 20.000 bis 500.000 Menschen. Im ehemaligen Jugoslawien war schon allein der Name Bleiburg ein Tabu. Der montenegrinische Dissident
MILOVAN ÐILAS schrieb in seinen Memoiren: „diese Soldaten mussten sterben, damit Jugoslawien leben kann“. Demnach wurde eine mögliche Opposition gegen das kommunistische Regime „liquidiert“. Bekanntlich zerbrach dann „Jugoslawien“ um 1991 auf blutigste Weise an seinen Multikulti-Widersprüchen, spätestens seit dieser Zeit ist Bleiburg eine Art mobilmachender Mythos aller nationalen Kräfte Kroatiens.
Für ein Postindustrialmusikprojekt ist also der Name gut gewählt, ein „Information War“ ist nun mal keine Einbahnstraße. Leider ist die Namenswahl, die sich natürlich durch die Herkunft RUKAVINAs erklärt, so ziemlich das einzige, was man bisher unter künstlerischen Gesichtspunkten als interessant bei BLEIBURG vermelden kann. Ihre halbgaren Klangcollagen standen nie im Verhältnis zum Aufwand, der betrieben wurde, im Gegenteil, die Produktion von BLEIBURG-T-Shirts, -Aufnähern und unzähligen „Sondereditionen“ ließ das ganze Musikunternehmen BLEIBURG, wie auch zu größten Teilen
THAGLASZ, im Szeneverhältnis wie eine gigantische und dazu etwas lächerliche, wenn nicht gar vollkommen irre Geldvernichtungsmaschinerie erscheinen. Keine Frage, der Mann bewies mehrfach schon ein hohes Maß an Idealismus, aber wenn ein derartiger Idealismus so geschmacksunsicher wirkt, wie es bei BLEIBURG in der Vergangenheit zur Genüge der Fall war, dann ist es nur normal, dass viele Szenemitmenschen einfach nur den Kopf schütteln, statt anerkennend BLEIBURG zum „Kult“ zu erheben.
„Pieces Of A Broken Dream“ heißt also das neueste BLEIBURG-Werk, und wieder will es der große Wurf sein. Ebenso ist es wieder ein Album, welches in Kollaboration mit anderen Künstlern entstanden ist. Schaut man sich die BLEIBURG-Diskographie an, wird man feststellen, dass RUKAVINA eigentlich fast immer seine Musik im Kollaborationsverfahren erstellt. Fast immer heißt es „BLEIBURG feat. XY“. Meist klangen diese Stücke dann auch mehr nach XY als nach BLEIBURG, so auch auf vorliegendem Doppelalbum. Interessant sind aber diesmal die Künstler, mit denen er kollaboriert. Die üblichen Verdächtigen, die früher desöfteren bereit standen, also z.B. VON THRONSTAHL oder LEGER DES HEILS fehlen diesmal, stattdessen Namen, die zumindest ich in dem Kontext nicht erwartet habe, vor allem AUBE, TELEPHERIQUE und VIDNA OBMANA. Dazu dann natürlich auch eine Reihe von Projekten, denen ich nichts Anderes zugetraut habe, als genau hier mitzumachen, was nun gar nicht unbedingt negativ gemeint ist.
Zwei Dinge fallen auf, wenn diese Doppel-CD nach geschlagenen 160 (!) Minuten
endlich vorbei ist:
1.) Das Album ist auf eine wirklich schon absurde Weise viel zu lang, muss wohl etwas mit dieser grandiosen Selbstüberschätzung des Künstlers zu tun haben. Wie kann er nur glauben, dass sein Kram über zwei Stunden hinweg veröffentlichungswürdig ist? Das wiederum kann nur etwas mit fehlender Demut und einsickernder Dekadenz zu tun haben, sofern man Dekadenz als einen Kulturzustand begreift, der eine gesunde Selbsteinschätzung zunehmend erschwert (gesund wäre: „Jedem das Seine“).
2.) „Pieces Of A Broken Dream“ versucht mit den altbekannten Mitteln des Neofolkgenres eine „Balkan-Atmosphäre“ zu erzeugen. Geschichtliche Tragik im Sinne des Projektnamens soll vermittelt werden. BLEIBURG bzw. Rukavina gestehe ich mit ganzem Herzen zu, dass ihm alles, was das Thema Kroatien, Balkankrieg, Genozid, Kollaboration usw. betrifft eine absolut ernstes und wichtiges, künstlerisches Anliegen ist. Ebenso lässt sich sagen, dass dieses Anliegen bei manchen Stücken auch genauso ernsthaft beim Hörer ankommt. Vieles erinnert natürlich atmosphärisch an
"DEATH IN JUNE presents KAPO", was ja nicht die schlechteste Referenz ist.
Positiv aufgefallen sind folgende Stücke: Überraschend „Batschka“, die Kollaboration mit
CAWATANA, vielleicht das beste Stück der Ungarn überhaupt (was nicht schwer ist), hätte durchaus auch auf das besagte KAPO-Album gepasst. „Raspandanje“ und „U Hramu Slobode“, die Kollaborationsstücke mit
THORN-AGRAM (ebenfalls ein Deutsch-Kroate), auf gelungene Weise recht nah an NOVY SVET, nur weniger spontihaft. „Bleiburg“, die Kollaboration mit LARRNAKH (Ungarn), strenger-archaischer „Ungarn-Stil“, durchaus SCIVIAS-nah, auch recht gelungen. Wunderbar auch die Kollaboration mit
LONSAI MAIKOV, „Six“, vielleicht der beste Song der Doppel-CD. Balkan-Atmosphäre trifft auf französischen Gesang, echt gut, auch wenn ich vermute, dass mir das kaum jemand glaubt.
Sehr gut noch die Ambient-Kollaborationen mit
AUBE und
VIDNA OBMANA, hypnotischer herzzerreißender Balkan-Ambient, der den ganzen Raum verwandelt. Annehmbar sind die Kollaboration mit
GREGORIO BARDINI „Nuova Europa“ (KAPO-Atmosphäre trifft auf LJDLP), sowie die Stücke, die mit
TELEPHERIQUE und dem deutsch-iranischen Ambient-Künstler
AMIR BAGHIRI entstanden sind. Über den Daumen gepeilt ergibt das eine halbe Stunde guter Musik, immerhin.
BLEIBURG Solo klingt entweder wie ein schlechter THE DAYS OF THE TRUMPET CALL-Remix vom KAPO-Album oder wie MUSLIMGAUZE für (ganz) Arme...Tja, und das "unvergessene" EGOADES-Projekt von Kamerad MARCO THIELE (EUROPAKREUZ) ist zumindest thematisch und so vom "Gesamtauftritt" her auch oft nicht ganz fern.
Negativ erwähnenswert scheinen mir die Bremer bzw. Oldenburger von OBSCURE RESISTANCE zu sein, die hier zweimal ihr Unwesen treiben. Ihr Stil: "martialischer Neofolk" mit Rumgegröhle. Man ist ja als Neofolkhörer hart im nehmen. Man hat das Stahlgewitter von BELBORN und DIES NATALIS wie ein Mann überstanden, aber so eine Scheiße ist mir in der Neofolkwelt noch nie zu Ohren gekommen. Entschuldigung für meine Humorlosigkeit, aber was soll der Mist? Ich kreide das jetzt auch mal
COLD SPRING an, wenn es schon BLEIBURG und OBSCURE RESISTANCE selbst nicht merken, so einen Quatsch darf man nicht veröffentlichen. Manchmal habe ich auch den Verdacht, dass sich gewisse Labelbetreiber gar nicht mehr anhören, was sie eigentlich ins Presswerk schicken. So etwas ist im Stande, die Arbeit von zehn Jahren wegzuwischen (nicht zuletzt die eigene Labelarbeit) und schadet der „Neofolkszene“ insgesamt. Nein, Geschmackssache ist so etwas auch nicht, wer mit „Neofolk“ was reißen will, sollte so Karnevalsbands einfach meiden und totschweigen.
Fazit: Durchwachsen, aber auch auf „Pieces Of A Broken Dream“ finden sich durchaus auch ein paar gute Stücke.
Die Aufmachung ist indes schick in jener „Kroatien-Ästhetik“ gehalten, die auch das KAPO-Album auszeichnete. Im Booklet darf natürlich das
HOS-Wappen (Ustascha) mit dem Spruch bzw. der Begrüßungsformel „Za Dom Spremni“ („Alles für die Heimat“) nicht fehlen. Hier ließe sich darüber sinnieren, dass „DEATH IN JUNE Presents KAPO“
irgendwie „vielschichtiger“ rüberkam, aber der gute Mann wird (wie immer) sowieso noch genug auf den Deckel bekommen, insofern belasse ich es mal dabei...
Dominik, auch wenn es spät kommt, es kommt von Herzen: "ein paar gute Stücke", sag, warst Du besoffen?