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Claudia K.

GOLGATHA: Seven Pillars

Die sieben Säulen der Weisheit


GOLGATHA: Seven Pillars
Genre: Ambient
Verlag: Athanor
Medium: CD
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Wie vertont man die Biographie eines Menschen? Das ist schon an sich kein einfaches Unterfangen, wie es mir scheint, denn schnell gelangt man auf ein Feld, auf dem alles sehr subjektiv ist (wie klingt Akabar?). Kein ganz einfaches Vorhaben also – und :GOLGATHA:, das ambitionierte Projekt um CHRISTOPH D., aus dem… nun, sagen wir Umfeld des :Ikonen:-Magazins von MARCUS STIGLEGGER, setzt dem noch einmal eins drauf, indem er sich keine geringere Biographie als das Leben des halbwegs legendären Thomas Edward Lawrence, besser bekannt als Lawrence von Arabien, zur Vertonung vorgenommen hat.

Man war also fleißig bei :GOLGATHA: und legt, gar nicht allzu lange nach dem Erscheinen der „Kydos“ und der „Icarus e.p.“ im letzten Jahr, ein neues Vollzeitalbum nach, das mit etwas Verspätung dieser Tage auf dem Markt eintrudelt. Der :GOLGATHA:-Personenkreis ist inzwischen kräftig gewachsen, und wie zuvor bei der "Kydos" und der "Icarus" (PATRICK 'O'KILL' LEAGAS und BEINHAUS auf der "Kydos", HERBST 9 auf der "Icarus") ist auch dieses Mal wieder prominente Unterstützung mit am Start: TONY WAKEFORD, der dem Werk seine Stimme leiht und im siebenten Track das Gedicht „Hugh Selwyn Mauberley“ von Ezra Pound rezitiert. Der Name „Seven Pillars“ bezieht sich auf  das gleichnamige Buch von T.E. Lawrence, auf Deutsch „Die sieben Säulen der Weisheit“, in dem dieser von seinen Erlebnissen im arabischen Unabhängigkeitskrieg berichtet.

Wer aber war dieser Thomas Edward Lawrence, dessen Leben hier vor uns ausgebreitet wird? Eine Beschäftigung mit ihm ist unerlässlich für das Verständnis der „Seven Pillars“, daher an dieser Stelle ein kurzer Exkurs: Bekannter als sein bürgerlicher Name ist der Name, unter dem er zu einer Art Legende geworden ist: Lawrence von Arabien. Dieser dürfte nicht zuletzt allgemeine Verbreitung durch den gleichnamigen (und schwer monumentalen) Film mit Peter O´Toole, Omar Sharif, Alec Guiness und Anthony Quin gefunden haben, der 1962 in Anlehnung an den autobiografischen Kriegsbericht „Die sieben Säulen der Weisheit“ erschien, wenn auch mit zahlreichen Abweichungen, so dass eher von einer, sicherlich auch etwas verklärenden, Umsetzung „frei nach“ zu sprechen ist. "From opening [...] to the end, almost every event in this script is either fictitious or fictionalized," kritisierte Lawrences Bruder A.W. Lawrence den Film. Doch das soll unser Thema hier nicht sein. Fakt ist, es gibt diesen Film, er ist in jeder Beziehung großartig, was nicht zuletzt für seinen Soundtrack gilt. Doch dazu später mehr.

Thomas Edward Lawrence kommt am 16. August 1888 in Nordwales als Kind stark religiöser Eltern zur Welt. Auf seiner Geburt lastet der Makel der Unehelichkeit - ein düsteres Familiengeheimnis. Der junge Thomas Edward lässt sich als ein aufgewecktes, eigenwilliges Kind beschreiben, dem es schon früh zuwider ist, lächerlich gemacht zu werden. Im Oktober 1907 beginnt er sein Studium der Geschichte am Jesus-College in Oxford. Er fällt durch sein vielfältiges Interesse an Altertum, Archäologie und Mediävistik auf, ebenso jedoch durch seinen Hang zum Einzelgängertum (und angeblich hat er in dieser Zeit 50.000 Bände der Oxford-Union-Bibliothek gelesen). 1909 bricht Lawrence zu archäologischen Forschungen auf und reist zu Fuß wochenlang durch Syrien und Palästina. Bei Ausbruch des Krieges wird er vom Arabischen Büro des britischen Geheimdienstes in Kairo als Dolmetscher eingestellt und später dem Araberführer Prinz Faisal, einem der Söhne des Scherif Hussein, der den Aufstand gegen den osmanischen Sultan Arabiens 1916 angezettelt hatte, als politischer Berater zugeteilt. Es folgen Angriffe auf die Hedschasbahn, wobei Lawrence, der ein feines Gespür für die arabische Mentalität und Lebensart besitzt und die Achtung der arabischen Führer gewinnt, eine Art Guerillataktik für die Beduinen entwickelt, und 1917 die Einnahme der Hafenstadt Akabar. Im September 1918 fällt Damaskus in die Hand der Araber, und am 3. Oktober 1918 marschieren die verbündeten britischen Streitkräfte in die Stadt ein. Nach diesem Sieg zieht Lawrence sich jedoch von der Bildfläche zurück, geplagt von Schuldgefühlen: Hatte er doch von Anfang an gewusst, dass das Land nicht an die für ihre Unabhängigkeit streitenden Araber fallen, sondern zwischen England und Frankreich aufgeteilt werden sollte. Lawrence lehnt hohe Posten und Auszeichnungen ab, versucht sich auch weiterhin für das Schicksal seiner arabischen Freunde einzusetzen, doch vergeblich.  Zurück in London gilt Lawrence als "die romantischste Gestalt, die der Krieg hervorgebracht hat" (R. Kipling). Hier beginnt er auch mit der Arbeit an den „Sieben Säulen“ – wobei das Manuskript dabei zunächst einmal unter mysteriösen Umständen teilweise verloren geht, und der Rest später gestohlen wird; Lawrence musste seine Memoiren also aus dem Gedächtnis noch einmal zu Papier bringen. Unter falschem Namen dient er später bis zu seiner Verabschiedung 1935 in der Luftwaffe. Er schreibt weiterhin: In dieser Zeit entsteht "The Mint" („Unter dem Prägestock“), in dem er von den Realitäten des soldatischen Lebens berichtet, ein Buch, das jedoch erst nach seinem Tode veröffentlicht wird.
Schließlich stirbt Lawrence, schon zu Lebzeiten zur Legende erklärt oder verklärt, von Geheimnissen umgeben und von der Öffentlichkeit verfolgt, im selben Jahr bei einem Motorradunfall, dessen genaue Umstände nie geklärt werden konnten (mit dieser Szene endet auch der Film). Zu den Geheimnissen, die ihn umwittern, gehören sein schwieriger und komplexer Charakter, seine Nähe zum Größenwahn, die Frage danach, wie heldenhaft seine vorgeblichen Heldentaten des arabischen Krieges wirklich waren (Stichwort Akabar, wo sein aktiver Beitrag vielleicht doch nicht ganz so groß war, nachdem er angeblich seinem Kamel versehentlich eine Kugel durch den Kopf gejagt hatte, stürzte, und eine Weile bewusstlos liegen blieb) – sowie die Frage nach seinem Verhältnis zu Männern und seinen masochistischen Neigungen. Soviel als ein kurzer Abriss.

Als eine Art Hörspiel nach Vorlage dieser Lebensgeschichte versteht sich die „Seven Pillars“, und konsequenterweise sind die einzelnen Titel der CD nach Stationen in Lawrences Leben benannt: uns begegnen Syrien, Akabar, Nadir, jeweils mit Datumsangaben versehen (irritierender Weise ist jedoch die chronologische Reihenfolge dabei nicht strikt eingehalten). Das Artwork des hochwertigen Digipacks illustriert sehr schön das Stationenhafte der einzelnen Tracks, indem es verschiedene Photos abbildet. Auch ein Titel namens „The mint“ taucht auf, möglicherweise ein Bezug auf das gleichnamige Buch, auch wenn die Jahreszahl nicht passt. Aus dem Rahmen der zeitlichen Einordnung fallen die Tracks „Reflection I und II“, die quasi einen überzeitlichen Einschub bilden, ehe mit „One last ride“, Anspielung auf die tödliche Motorradfahrt des 13. Mai 1935, das Album ausklingt.

Ist die „Seven Pillars“ nun eine gute oder eine schlechte Umsetzung dieser Biografie? Kann man bei so etwas überhaupt im Sinne von gut oder schlecht urteilen? Nun, ich möchte mich nicht darauf einlassen, nur soviel: Die Umsetzung ist anders, als ich es im Vorfeld erwartet hätte. Ich muss sagen, dass ich, ehe ich die CD gehört habe, allein von der Idee ihres Themas her eine gänzlich andere Vorstellung davon hatte, wie sie sein würde. Zu allererst hatte ich dabei Bilder des Films vor Augen (T.E Lawrence wird für mich immer ein wenig das Gesicht von Peter O´Toole haben, auch eine Art von Mythenbildung), und dazu den großartigen Soundtrack von Maurice Jarre, den ich unwillkürlich, auch während des Hörens der CD, im Hinterkopf hatte und habe. Ich will nicht anfangen, zwischen der „Seven Pillars“ und dem Soundtrack zu vergleichen, denn es ist nicht die Intention :GOLGATHAs: den Soundtrack zu covern. Ziel ihres Schaffens war eine eigenständige musikalische Interpretation des Lebens von T.E. Lawrence, und meine Frage soll viel mehr sein: Auf welche Weise haben sie es geschafft, nicht wie der Soundtrack zu sein, denn das war es, was mich von Anfang an beschäftigt hat: wie kommt man an so einer Vorlage vorbei? Zunächst: Ganz und gar kommt man vermutlich gar nicht daran vorbei, auch :GOLGATHA: nicht. Allerdings ist der Einfluss des Films dennoch – für mich – erstaunlich gering und beschränkt sich bewusst auf wenige Samples: Die Trommeln der Overtüre, das seltsam anmutende Geschrei von Frauen, etwas, das mutmaßlich die Folterszene aus dem Film ist, sowie einige einzelne Sprachsamples. Auf diese Weise wird ein Zusammenhang hergestellt, ohne allerdings an einer Vorlage zu kleben, vielleicht könnte man es als Hommage an den Film verstehen. Ansonsten hat das Ganze erstaunlich wenig von dem Originalsoundtrack.  Interessant liest sich die Liste der beteiligten Instrumente: Flöte, japanischer Gong, afrikanische Trommeln, Militärtrommeln, Percussion, Violine, sowie weiblicher und männlicher (inklusive TONY WAKEFORD, den man erstaunlicherweise kaum wiedererkennt) Stimmeneinsatz – und ebenso durchdacht und geplant in Szene gesetzt wie der konzeptionelle Hintergrund dieser Veröffentlichung ist das Arrangement der einzelnen Elemente. Eine exotische Mischung zwischen Orient und Okzident – und ein Ergebnis, das dafür eigentlich erstaunlich „ruhig“ ist. Größtenteils dunkle Ambientklänge mit vielfältigem Einsatz an elektronischer und instrumentaler Klangerzeugung, untermalt von Flöten- und Violinenklängen, Trommeln, Zimbeln, Glocken, Samples, Gesang und Geflüster wechseln sich ab mit dynamischen Passagen, denen zum Teil auch ein gewisser Pathos innewohnt. Erfreulich, dass die Samples der „Kydos“ bei der „Seven Pillars“ durch reale Instrumente ersetzt wurden. Über allem liegt ein erfreulich dezentes orientalisches Flair (beim besten Willen keine Bauchtanzmusik), und besonders die Violine ist wunderbar klagend und melancholisch, ganz besonders vielleicht in „Under the desert moon“. Und auch die „Sieben Säulen“ finden ihre Würdigung, indem aus ihrem Prolog rezitiert wird. Interessant ist die bereits erwähnte hörspielartige Aufteilung – ein Hörspiel, das man allerdings nicht versteht, ohne sich mit dem Thema zu beschäftigen, was im Umkehrschluss nicht zuletzt auch eine intensive Beschäftigung mit dem Gegenstand seitens der Künstler voraussetzt. Im Gegensatz gerade zur „Icarus e.p.“ ist die „Seven Pillars“ weniger folkig. Die klassisch klampfigen Klänge werden zugunsten von arabischen Motiven zurückgestellt – aber dennoch nicht gänzlich aufgegeben.

Ach, Golgatha… (die du da hangest… nein, das war etwas anderes…). Einer der „Vorwürfe“, die in der Vergangenheit in Richtung :GOLGATHA: gerichtet wurden, war, dass es dem Projekt an Innovation und Eigenständigkeit mangele, und auch, dass es zu seiner Taktik gehöre, möglichst prominente Künstler zur Unterstützung an Land zu ziehen. So vernichtend möchte ich es nicht ausdrücken, denn was ich dabei sehe, ist, dass :GOLGATHA: von der ersten bis zur aktuellen Veröffentlichung seinen/ihren Weg gegangen ist und sind, und innerhalb dessen eine konsequente, und sicherlich auch durch die Erweiterung des Kreises der beteiligten Akteure bedingte, Entwicklung vollzogen hat. Des Weiteren ist zu beobachten, dass auch dieses Mal wieder ein komplexes und gut durchdachtes Konzept hinter der Sache steht, wie auch beim Themenalbum „Kydos“.  Ein ambitioniertes Projekt, ein ambitioniertes Werk, dem man die Beschäftigung mit dem Gegenstand und den Quellen anmerkt - wenn auch der teilweise Bruch mit der chronologischen Reihenfolge mich nach wie vor irritiert. Insgesamt jedoch, wie gesagt, eine im Gegensatz zum Filmsoundtrack sehr eigenständige Umsetzung des Themas. Gut… die Ambientparts erinnern möglicherweise zuweilen schon ein wenig an HERBST 9. Aber vielleicht erinnert Ambient generell immer an… anderen Ambient. Doch das soll den Genuss des Werkes nicht schmälern. 

 
Claudia K. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» :Golgatha:
» :Golgatha: bei Myspace
» Ikonen Magazin

Themenbezogene Artikel:
» :Golgatha: "Kydos - Reflections on Heroism"

Themenbezogene Newsmeldungen:
» :Golgatha: - CD Cycles erschienen
» :Golgatha: feat. Tony Wakeford

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Zusammenfassung
"you are alone when you live with the myths" - eine hörspielartige Vertonung des Lebens von T.E. Lawrence, besser bekannt als Lawrence von Arabien

Inhalt
1. January 21, 1919: Orient - Occident
2. June 1909: Syria
3. March 1911: Nadir
4. July 6, 1917: Akabar
5. March 1917: Under the desert moon
6. October 1, 1918: Victory
7. September 1919: The Loss
8. November 1917: The Mint
9. August 1922: Royal Air Force
10. Reflection I: Solitude
11. Reflection II: Hordes
12. May 13, 1935: One last ride
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