Give praise to the night and darkness that close in around you.
Crowd together and look up at the sky,
and see that the day has already slipped away from you.
Give praise from the bottom of your heart that heaven has a bad memory
and no longer knows either your names or your faces,
and that nobody knows that you are still around
Praise the grass and the beasts that live and die beside you.
See how they, too live and, like you, must also die.
Give praise for the cold, the darkness and corruption.
Look up: you do not matter and you can die without worrying about a thing.
|B. Brecht|
Herbst wird es, die Tage werden kürzer, und passend dazu geht es finster zu auf der „Berlin Requiem“, der neuen Scheibe von AUTOPSIA, die unlängst auf OLD EUROPA CAFE erschienen ist. Ja, das Urgestein AUTOPSIA musiziert wieder und bringt nach einer längeren Weile - unterbrochen von der interaktiven Multi-Media CD-Rom „Song of the night“ (2005) und der Single „Radical Machine/1/" (ebenfalls 2005 mit ein paar netten Gimmicks, äh, Sammlerstücken, als Beigabe) - seit Veröffentlichung der „Colonia“ im Jahr 2002 schließlich wieder eine Langspiel-CD heraus. Unterstützt werden die Herren aus Prag dabei vom DÄMMERUNG ORCHESTRA. Das Album kommt in einem schlichten, weiß-roten Digipack daher und gibt sich geheimnisvoll, indem es auf ein Booklet oder Inlay, das weiterführende Informationen enthalten könnte, verzichtet. Lediglich die Tracklist (man trägt zu Grabe: es gibt dreifach „Funeral music“) wird dem Betrachter offenbart, und im Innenteil das schwarz-weiße Bild einiger Bergsteiger, die sich vor einem schneebedeckten Bergmassiv einen Hang hinabmühen.
„
Everything is on cd! Background for The Berlin Requiem is MODERNA,” sagt Radek von AUTOPSIA nicht weniger kryptisch dazu. Gut. Gehen wir also ausgehend von der CD auf Spurensuche. Erster Anhaltspunkt: Der Name. Der Titel „The Berlin Requiem“ ist dazu geeignet, auf „Das Berliner Requiem“ zu verweisen, eine Kantate von Kurt Weill mit Texten von Bertolt Brecht aus dem Jahr 1928, die zunächst, als eine der ersten Produktionen dieser Art, für den Rundfunk konzipiert war und am 22. Mai 1929 erstmalig im Radio Frankfurt ausgestrahlt wurde. Das Werk, auch untertitelt mit „Kleine Kantate“, ist konzipiert für Tenor, Bariton, einen dreistimmigen Männerchor und Blasorchester – und sorgte mit seiner kritischen und in Brecht´scher Manier ironischen Hinterfragung der Notwendigkeit von Krieg und gegenseitigem Töten für Aufregung. Das Jahr Verzögerung zwischen Komposition und Ausstrahlung kam durch den Einspruch staatlicher Zensurstellen zustande, die Anstoß an den politischen und religiösen Inhalten einiger (fast aller) Textstellen nahmen. Diese Zensur war es auch, die Brecht zwang, seine „Red Rosa“, eine Referenz an die 1919 ermordete Rosa Luxemburg, in „Johanna Beck“ umzubenennen. Ein düsteres Werk über Krieg und Tod, dessen Musik auszudrücken versucht, ''
what the city dweller of our time has to say in the presence of death.'' (Weill). Es besteht, wie auch AUTOPSIAs Requiem - möglicherweise eine beabsichtigte Analogie - aus den sechs Stücken (ja, unter anderem auch aus der großartigen „Ballade vom ertrunkenen Mädchen“, die etwa von der Schauspielerin, Sängerin und Weill-Ehefrau Lotte Lenya interpretiert wurde):
1. Grosser Dankchoral: Lobet die Nacht
2. Ballade vom ertrunkenen Mädchen: Als sie ertrunken war und hinunterschwamm
3. Marterl: Hier ruht die Jungfrau Johanna Beck
4. Erster Bericht über den unbekannten Soldaten: Wir kamen von den Gebirgen
5. Zweiter Bericht über den unbekannten Soldaten: Alles, was ich euch sagte
6. Grosser Dankchoral (da capo)
Den Text des ersten Stückes, des "Großen Dankchorals", das übrigens die umbetitelte Paraphrase einer Luther-Hymne ist, ist auf der AUTOPSIA-Webseite der Ankündigung der „Berlin Requiem“ auf Englisch vorangestellt. Das Bild im Innenteil der CD könnte eine Analogie zum ersten „Bericht über den unbekannten Soldaten: Wir kamen von den Gebirgen“ darstellen. Vielleicht ist der Berg an dieser Stelle aber auch, immerhin haben wir es mit AUTOPSIA zu tun, einmal mehr als ein IKKON zu verstehen. Ein IKKON – hier besteht vielleicht Erläuterungsbedarf - das ist im symbolischen Kosmos AUTOPSIAs eine Art ikonisches Zeichen, in dem in einer Montage von zuweilen trivialen Illustrationen ein Bild entsteht, das Formen verwendet, wie sie in der Massenkommunikation angewandt werden, eine Art Pseudoprogaganda mit einfacher Zeichensprache, die bewusst an der kulturellen Oberfläche bleibt. Diesen Graphiken, die bewusst auf das Niveau der Übertreibung gebracht sind, gemeinsam ist, dass sie alle auf die eine oder andere Weise einen Bezug zum Thema des Todes herstellen und, abgesehen davon, ein großes emblematisches Potential aufweisen.
Lobet die Nacht und die Finsternis,
die euch umfangen!
Kommet zuhauf
Schaut in den Himmel hinauf:
Schon ist der Tag euch vergangen.
(Großer Dankchoral
)
Ob man zwischen der Kantate von Weill/Brecht und der Anleihe, die AUTOPSIA vornimmt, eins zu eins übertragen kann oder sollte, wie eng der Bezug des einen auf das andere wirklich ist, bleibt indes ungewiss, gerade, weil AUTOPSIA es in dieser Hinsicht zu genießen scheinen, sich in Schweigen zu hüllen. Immerhin verrät Radek dann doch noch: „
Brecht text is motto, and first impulse for making The Berlin Requiem cd.” Aber vielleicht kommt es in diesem Fall auch gar nicht darauf an, haarklein die Bezüge auseinanderzusortieren, und das ikkonische, emblematisches Verstehen hilft weiter. Wie bereits gesagt: Finster geht es zu, sowohl im „Berliner Requiem“ von Weill/Brecht, als auch in „The Berlin Requiem“, und nicht zuletzt das Thema des Todes dürfte ein verbindendes Element darstellen. Die Nacht wird gelobt, Begräbnismusik angestimmt – und der Tod (einmal mehr der Tod, der für AUTOPSIA, man erinnere sich an Reflektionen über Tod und Schönheit, Tod und Kunst, elementare Bedeutung hat) erinnert sich. Kunst, so AUTOPSIA, ist die Beziehung zum Tod, und der Tod ist die Mutter der Schönheit – ein Kunstverständnis, das die Prager der entleerten „Massenkunst“ der so genannten modernen Welt und der modernen Medien radikal entgegensetzen.
Es gibt allerdings noch einen weiteren Aspekt, der sich aus der reinen Betrachtung der CD nicht direkt erschließen lässt: AUTOPSIA geben an, neben dem „Berliner Requiem“, zusätzlich von der PHILOSOPHIE DER NEUEN MUSIK des Philosophen, Soziologen und Musiktheoretikers Theodor W. Adorno beeinflusst zu werden, die sie Hintergrund für das gesamte Schaffen AUTOPSIAs im 21. Jahrhundert nennen.
T.W.Adorno and Max Horkheimer 1944. :
Under monopoly all mass culture is identical, and the lines of its artificial framework begin to show through. The people at the top are no longer so interested in concealing monopoly: as its violence becomes more open, so its power grows. Movies and radio need no longer pretend to be art. The truth that they are just business is made into an ideology in order to justify the rubbish they deliberately produce. They call themselves industries; and when their directors? incomes are published, any doubt about the social utility of the finished products is removed.Analog dazu scheint der Titel „Radical Maschine 3.0“ an die Single „Radical Machine/1/“ anzuknüpfen: „
We need to invent virtuous revolutionary radical machines to place them in the nodal points of the network, as well as facing the general intellect that administers the imperial meta-machines. Before starting this we need to be aware of the density of the 'intelligence' that is condensed in each commodity, organization, message and media, in each machine of postmodern society,” heißt es auf der AUTOPSIA-Webseite bei den Informationen zur Single unter anderem. Und auch dort geht es um den Tod: “
Thanatographical machines, machines that describe death in very different regions and under very different social masks; they are ideal machines, but they are neither oneiric, symbolic nor imaginary, they represent the mechanisms by which real consciousness functions, i.e. the consciousness of reality, they "make" reality and it is by them that this very same reality, reduced to its ideal pattern or model is annihilated.“
Tod, Realität, Kritik an Massenmedien- und verflachter Massen“kunst“, am Massensystem und dem (auch virtuellen) Netzwerk, die Hinterfragung des Kunstbegriffs - und die für AUTOPSIA typische Symbolhaftigkeit. So ist „The Berlin Requiem“ ein Album, das sich nahtlos in den Themenkreis AUTOPSIAS einfügt. Kontinuität beweist sich indes auch auf der musikalischen Seite, zum Guten wie zum Schlechten. Das Gute: Nun, ich möchte es freundlich als einen hohen Wiedererkennungswert bezeichnen. Das bedeutet andererseits aber auch folgendes: AUTOPSIA klingt wie… nun, wie AUTOPSIA. Mit anderen Worten, geboten wird der bekannte und solide Sound, kühle Ambientklänge mit teilweise bombast-angehauchter orchestraler Untermalung, Orgelpassagen, elektronische Flächen, schwere, schleppende Klavierklänge, Pauken: AUTOPSIAS Todesreflektionen sind wie immer elegant, ästhetisch unterkühlt und fast ein wenig steril. Aber von einer musikalischen Weiterentwicklung kann man nicht sprechen, und es bleibt ein intensives Gefühl davon, das alles so oder so ähnlich schon einmal gehört zu haben. AUTOPSIA eben. Nun, die eingefleischten Fans wird es möglicherweise freuen, alle anderen tun auch nichts Verkehrtes damit, sich das neuste Machwerk dieser Combo zu Gemüte zu führen. Aber musikalisch innovativ ist es eben nicht.
Wie auch immer, was bleibt, ist der erinnernde Tod, und was das „Berlin Requiem“ betrifft, so kann er sich an ein Album erinnern, dass zwar musikalisch eher auf der Stelle trifft, thematisch in sich jedoch ein ganz eigenes Rätsel aufgibt und dem AUTOPSIA-eigenen Symbolkosmos einen weiteren Baustein hinzufügt, indem es ihn mit dem Bezug auf Adorno und Horkheimer um einen Aspekt erweitert, dessen genaue Bedeutung noch zu enthüllen sein wird. „
Everything will be more clear next year“, … sagt Radek und verweist damit auf kommende Veröffentlichungen. Nun, wir dürfen gespannt sein.