TRIBE OF CIRCLE aus Frankreich fragen, laut ihrem Label HAU RUCK!, auf ihrem lange erwarteten dritten Vollzeitalbum nach Gott und seiner Stellung in der Welt von heute. Direkt inhaltlich, soviel sei vorweg-genommen, gibt es, wenn man vom Albumtitel "Children Of A Weakened God" absieht, keine Antwort darauf. Die ist aber auch nicht nötig, das aggressiv rote, apokalyptische Cover und die einen brutal treffende Military-Orchestralmusik, verraten zur Genüge, in was für einer kriegerisch-chaotischen Zeit wir leben und wie es um den Gottesbezug, die Entfernung von Gott, bestellt ist. Ob diese konservative Auslegung oder gar das glatte Gegenteil, die letztlichen Ursachen der bedrohlichen Krisen der Gegenwart im "Opium des Volkes" zu suchen, eher im Sinne von JEAN PAUL ANTELMI bzw. TRIBE OF CIRCLE ist, scheint für den Genuss des Album egal zu sein, wichtig ist allein, dass hier jemand versucht, die Bestandsaufnahme einer aus den Fugen geratenen Welt in eine musikalische Form zu transferieren, wieder einmal könnte man sagen, ist ja nicht gerade so, dass die Auswahl an apokalyptischen Klängen gering wäre. TRIBE OF CIRCLE stehen nun schon seit ihrem 2000er ATHANOR-Debüt "Rien Ne Disparait Jamais Vraiment" für kompromisslosen Orchestral-Postindustrial mit Military-Elementen, den sie genealogisch wohl zu gleichen Teilen Projekten wie TEST DEPT. und dann ganz besonders IN SLAUGHTER NATIVES, DEUTSCH NEPAL und ihren engen Freunden von DER BLUTHARSCH zu verdanken haben. Da TRIBE OF CIRCLE durchaus nicht verdecken, dass sie Franzosen sind und häufig ihre Landessprache verwenden, scheint auch immer etwas von der Industrialtradition ihres Landes klanglich durch, man denke etwa an LA NOMENKLATUR, die schon Mitte der 80er ein ähnliches Klanggewitter aus perkussivem Industrial zelebrierten. Wer TRIBE OF CIRCLE bisher nicht hören konnte, kann sich also zusammengefasst einen dichten Sound vorstellen, bestehend aus flirrenden Orchestersamples, düsterem Ambient, rhythmischen Elementen, ab und an einer martialischen Stimme oder je nach Thema auch mal Samples, etwa aus der Krisenregion Nahost und - das Wichtigste - vor allem sehr viel Drama und Percussions. Das schon fast Witzige (Verzeihung) und manchmal Nervende bei TRIBE OF CIRCLE ist außerdem, dass es eigentlich ständig was "auf die Glocke" gibt, Bombast über Bombast, ein Ausruhen von all dem Trara, wird einem nicht gegönnt. Diese Art von "Bombast bis zum Umfallen"-Musik erfreut sich ja nun seit mind. vier Jahren einer durchaus eindrucksvollen Beliebtheit in der "Neofolkszene" - WAPPENBUND, PREDELLA AVANT, KARJALAN SISSIT, TRIARII, die Namen sind Legion, manchmal kann man all das gar nicht so recht ausseinanderhalten, und ich als Nichtfan dieser Fanfaren, dem schon RICHARD WAGNER etwas suspekt ist, fühle mich dann auch nach spätestens 20 Minuten Konsum dieser "großen Gefühle" etwas peinlich berührt. Nun, immerhin haben ja DER BLUTHARSCH, DERNIERE VOLONTE und auch WAPPENBUND mit "Kinder des Lichts" ihre persönlichen Auswege gefunden, und TRIBE OF CIRCLE? Ja, TRIBE OF CIRCLE noch nicht so recht...Soll heißen sie machen auch auf diesem Werk rund 50 Minuten "keine Gefangenen"... Im Vergleich zum Vorgänger wurden die perkussiven Elemente sogar noch verstärkt. Das führt dann dazu, dass ich auch TRIBE OF CIRCLE schlecht 50 Minuten am Stück hören kann, dem hartgesottenen TRIARII-Hörer werden diese Probleme aber sicher fremd sein. Davon abgesehen, sehe ich TRIBE OF CIRCLE gegenüber dem Großteil der unmittelbaren Bombast-Konkurrenz klar im Vorteil. Warum? Man ist einfach ideenreicher und durch die Gesamtpräsentation bleibt auch das beständige Gefühl, hinter dem Bumbum könnte tatsächlich auch "konzeptionell" etwas vorhanden sein, das J.P. ANTELMI bei Gelegenheit (Interviews etc.) hervorholen kann, ohne ein Offenbarungseid in punkto gähnender Langeweile ableisten zu müssen. Besonders deutlich wird dieser Ideenreichtum durch zumindest eine echt eingespielte Violine, gespielt von einem VOLKSWEERBARHEID-Musiker, und vor allem durch die echten Percussions, die aber auch oft ungewohnte Rhythmen trommeln, so dass ich fast versucht bin, das Ganze "Orchestral-Tribal-Postindustrial" (oder so) zu nennen. Dieses Klanggewitter sorgt jedenfalls dafür, dass ihre Musik niemals poppig wirkt, was in diesem Bombast-Gefilden, wenn man mal von DERNIERE VOLONTE absieht, bisher immer den endgültigen Übertritt zum Stumpfsinn bedeutete, weil dann tatsächlich immer nur hirnausschaltende Marschmusik bei rauskam (ARDITI). Weiter, im Vergleich zur Konkurrenz ungewöhnlich, ist das oftmalige Auftauchen eines choralen Zirpsens, welches klingt wie der "Carmina Burana"-Choral in bandsalatigen Schwierigkeiten oder wie ein zum Militärdienst gezwungener KLAUS NOMI, und das hat was! Bei all dem erweisen sich TRIBE OF CIRCLE als wissbegierige Schüler ihrer hauptsächlichen Vorbilder, von DER BLUTHARSCH hat man die Art der (druckvollen) Produktion und die etwas barocke Klangfarbe, von DEUTSCH NEPAL die perkussiven Ideen und von frühen IN SLAUGHTER NATIVES und LA NOMENKLATUR die orchestrale Durchschlagskraft und Brutalität. Antelmis Hauptantriebsfeder zur Erzeugung dieser martialischen Klänge scheint auch eher nicht schickes Military-Posing zu sein, sondern ein "Leiden an der Menschheit" und ihrer kriegerischen Natur. So umweht TRIBE OF CIRCLE meines Erachtens auch unausgesprochen ein gewisser christlicher Touch, der in all der Wut und all dem Schmerz ihrer Musik spürbar bleibt. Aus irgendeinem Grund muss ich jedenfalls immer beim Hören an eine blutende Wunde oder an Gemälde von DELACROIX denken, sowieso ist die Atmosphäre eher bedrückend wie vor einem Inquisitionsgericht, als weltkriegsbewegt. Eine besondere Hervorhebung verdient das letzte Stück "In Dulci Lubilo", auf dem (vermutlich verängstigte) Menschen dicht gedrängt in einer Kirche das Vater Unser auf Französisch herunterbeten, während gleichzeitig ein arabisch-klingender Klagegesang zu vernehmen ist...am Ende dann Samples von BENNY GOODMAN (?!)... Ansonsten ist als Gastsänger einmal übrigens SIMONE von SPIRITUAL FRONT dabei, fällt aber kaum auf. Das siebente Stück "Freres Humains...Freres Ennemis" ist eine Adaption des großen Chansonniers, Dichters und Anarchisten LEO FERRE, die ihrerseits wieder auf einem Gedicht des Priestermörders FRANCOIS VILLON basiert. Fazit: TRIBE OF CIRCLE sind nicht sonderlich originell und ihre Musik kann ich mir nachwievor nicht am Stück anhören, ohne spätestens ab Minute 20 etwas lachen zu müssen, dennoch ist dies, portionsweise zugeführt, ein wirklich gutes Album, das "Innere Bilder" entstehen lässt, und einen, wenn man sich drauf einlässt, wirklich berühren und erschüttern kann. Eine Vorahnung zukünftiger großer Religionskriege begleitet einen unweigerlich beim Hören. TRIBE OF CIRCLE sind damit sicher das führende Projekt im postindustriellen Bombast-Genre. Für Fans des Genres ein Pflichtkauf.
Dominik T. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » HAURUCK Homepage » Interview mit TOC
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Zusammenfassung
TRIBE OF CIRCLE sind nicht sonderlich originell , dennoch ist dies ein wirklich gutes Album, das "Innere Bilder" entstehen lässt, und einen, wenn man sich drauf einlässt, wirklich berühren und erschüttern kann. TOC sind damit sicher das führende Projekt im postindustriellen Bombast-Genre.
Inhalt
1. The Land Of Fallen Suns
2. Si Vis Pacem Para Bellum 3. Children Of A Weakened God (Dii Minores) 4. Algolagnia...Spaltung...Delight 5. Alea Iacta Es 6. Coranic Submission Part 2 (Sourat XLVII - Verses - 1 21) 7. Freres Humains...Freres Ennemis 8. Tabula Rasa 9. L'Une Ou L'Autre De Nos Failles 10.In Dulci Iubilo Schönes Digipack, 8 Seiten Booklet, kräftige Farben. |