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Roy L.

Autunna & Sa Rose : L'Art Et La Mort

media vita in morte sumus


Autunna & Sa Rose : L'Art Et La Mort
Genre: Neo - Klassik
Verlag: ARK Records
Vertrieb: Masterpiece...
Erscheinungsdatum:
Juli 2006
Medium: CD
Preis: ~15,00 €
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Über die nahezu gesamte Kulturgeschichte hinweg ist die okzidentale Kunst eine dem Tod zugewandte und artverwandte Kunst gewesen. Das europäische Wesen, geht es in die Kunst, ist besessen von Grenzziehung und Grenzüberschreitung, von Ekstase und Leidenwollen, gleichsam rationaler Todesfurcht. Schmerzgeboren, untergangstrunken, überschüttet von Vanitas, fixiert auf das Finite und wankend voller Verlangen nach Unendlichem. Zeigen sich Krieg und Pestilenz am Horizont, ein schauriges Präludium zur Apokalypse, dann bebt unsere Kunst vor Erregung, dann spuckt sie aus: Epochen, Hirngespinste, neue Menschengeschlechter. Die "Belle Epoque" wird ins "Fin de Siècle" hineingeschleudert, das "goldene Zeitalter" ist die Kehrseite des "Triumph des Todes". Europas bestialisch blutiger Existenzdrang steuert die ästhetische Motorik einer Kunst, die "mitten im Leben von Tod umfangen" ist. Alles fließt aus dem Fleische der diesseitigen Angst, die überwunden und besiegt wird von der Metaphysik der Tragödie.
"L'art et la mort", so heißt das neuerliche Konzeptwerk des italienischen Künstlerkollektivs AUTUNNA ET SA ROSE, das im vergangenen Jahr durch ein geteiltes Live-Doppelalbum mit ATARAXIA auf sich aufmerksam machte. Und natürlich ist die hier vorliegende Arbeit zu größten Teilen fokussiert auf den eingangs geschilderten, traumwandlerischen Kampf, auf das kreative Moment der Sterblichkeit, die dazu anregt und wilde peitscht, Schöpferisches zu hinterlassen und auf eine gewisse Art unsterblich zu werden. So wie der französische Dichter, Zeichner, Dramaturg und Schauspieler Antonin Artaud (1896 - 1948), der wie ein Fixstern und geistiger Pate über dem Album schwebt. Artaud zählt neben André Breton und Guillaume Apollinaire zu den Begründern und unermüdlichen Förderern des Surrealismus, das hat ihm freilich auch in unserer Musikkultur eine nicht unwesentliche Stellung als Inspirationsquelle eingebracht. Zusammen mit Robert Aron und Roger Vitrac gründete er 1927 das kurzlebige, experimentelle "Alfred-Jarry-Théâtre", benannt nach dem frühverstorbenen Verfasser eines der ersten surrealistischen Werke "Ubu Roi" ("König Ubu"). Artaud, der ein glänzender Theoretiker und Kritiker des Theaters war, brachte interaktionsprovozierende "Grausamkeiten" auf die Bühne. Seine Stücke waren verstummtes Aufschreien, waren reine Gestik und expressive Inszenierung, die Verdopplung einer Welt in Schmerzen. Als Künstler war Artaud genial, als Mensch nur schwer zugänglich, verborgen hinter dem Schleier seines exzessiven Drogenkonsums. Von einer Irlandreise kehrte der Prophet, der den Weltbrand vorausbeschworen hatte, geistesgestört zurück und geriet in psychiatrische Behandlung. Das farbinvertierte Porträt auf dem Cover der CD zeigt einen vom Alter gezeichneten Artaud, der Elektroschocks und andere antiquierte "Therapiemaßnahmen" erfahren hatte, der den inneren Konflikt zwischen "l'art" und "la mort" für sich bereits ausgefochten hatte. Neben Texten von Baudelaire, Pasolini, von Hofmannsthal und Hundertwasser beleben AUTUNNA ET SA ROSE ihre musikalischen Rekonstruktionen auch mit Zitaten von Antonin Artaud. Es ist der surrealistische, todgeweihte Artaud, der kryptisch über seine Person reflektiert: "vous verrez mon corps / actuel / voler en éclats / et se ramasser / sous dix milles aspects / notoires" ("ihr seht meinen gegenwärtigen Körper / in Stücke zerfallen / und sich wieder sammeln / unter zehntausend offenkundigen Aspekten").
Eine verblüffend identische Herangehensweise ist den italienischen Musikern bei der Gestaltung und Komposition ihrer Stücke zu eigen. Für "L'art et la mort" gerieten eine Reihe alter Lieder von wohlbekannten, renommierten Wave/Gothic Bands, darunter VIRGIN PRUNES, ATARAXIA, COIL, LAIBACH, DEAD CAN DANCE, BAUHAUS, EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN und TUXEDOMOON (mit Steven Brown haben die Italiener übrigens bereits für ihr Album "Sturm" zusammengearbeitet) auf einen wunderlichen Seziertisch, auf welchem die herangezogenen Arrangements zunächst vollständig in ihre Fragmente zerlegt werden, um dann, nahezu bis zur Unkenntlichkeit wieder zusammengefügt, neue Formen anzunehmen. Es wird also nicht im herkömmlichen Sinne "gecovert", sondern vielmehr mit kubistischer Attitüde "rekombiniert". Vom Original bleibt daher meistens nur sehr wenig übrig. Gerade bei COILs "Ostia" taucht die charakteristische Klaviermelodie nur für Sekundenbruchteile auf, um nachher wieder in den wellenartig einströmenden Cello- und Soprankoloraturen zu versickern. Diese eher neoklassische Besetzung, die mit dem opernhaft ausdrucksstarken Gesang und den komplexen Streicherarrangements bei dem durchschnittlichen Szenehörer sicher nur schwer Zugang finden wird, macht etwa die Hälfte des Albums aus. Daneben zeigen sich AUTUNNA ET SA ROSE auch von einer atmosphärisch-avantgardistischen Seite, die wie in "Kyfi", dem von TUXEDOMOONs "Egypt" inspirierten Titel, Kammermusikpiano und psychedelische E-Gitarrenstrudel auf atemberaubende Weise ineinander zu blenden vermag. Unerwartet elektronisch-rockig, modern und ja sogar tanzbar geben sich dagegen "Neue Wirklichkeit" und "Ewig-Dunkel".
Eine weitere Rekombination geschieht beim Verbinden dieser gepuzzelten Klangmontagen mit Texten der bereits oben genannten Autoren. Manche dieser Verquickungen liegen natürlich auf der Hand, andere erweisen sich als alchemistische Geniestreiche. So wird zu "Ostia" natürlich eines der letzten schriftlichen Zeugnisse des (glücklicherweise) kontroversen Regisseurs Pier Paolo Pasolini mit klassischer Dramatik gesungen und zu LAIBACHs "Leben-Tod" (hier: "Neue Wirklichkeit") darf der Utopist Hundertwasser zitiert werden. Das hört sich dann sogar ähnlich martialisch wie bei den Slowenen an, ist aber gleichzeitig und dank der Streicher von einem sehr filigranen Unterton gezeichnet. Darüber hinaus kommt selbstverständlich auch Artaud zu Wort, dessen Textstellen besonders impulsiv, ja mit schauspielerischer Qualität rezitiert werden. Generell bildet der Gesang den überzeugendsten, wirkungsvollsten Part der Kompositionen. Augenfällig wird das vor allem bei dem letzten Stück "Et je me souviens aussi de...", das auf einem dadaistischen Gedicht Artaud's mit künstlichen Wortkonstruktionen basiert und allein durch die Stimme und Stimmeffekte intoniert wird.
Eine große Schwierigkeit dieser Veröffentlichung ist jedoch gerade dieser hochgradig intellektuelle Überbau, der zuweilen etwas künstlich ausstaffiert wirkt. Natürlich kann sich die Idee dieser dreidimensionalen Rekombination sehen lassen. Aber die ohnehin schon fragmentarischen, labyrinthartigen Klanggebilde werden durch die konzeptgebunden Analysen nur noch weiter zerstückelt. Selbst wenn durch das frischgeknüpfte Band von Ton und Text neue Harmonien in den künstlerischen Raum treten, so schwingt alles ohne Mitte und ist stets Sklave der thematischen Kunst~Tod-Dialektik. Von der Musik an sich bleibt daher nur schemenhaftes Hüllendasein, ein fragiles Vehikel für ein Übermaß an Ideen. Dies soll auch als leidliche Erklärung für den verwunderten Leser dienen, der sicher bereits feststellen durfte, dass die Ausführungen zum Klanglichen im Gegensatz zu den Artaud gewidmeten Worten durchaus gering ausfallen.
Nichtsdestotrotz darf "L'art et la mort" als anspruchsvolles, schwer zugängliches und auf gewissen Ebenen auch gelungenes Werk bezeichnet werden. Die handwerklich subtile Genauigkeit und Perfektion scheint typisch italienischen Charakters zu sein und erinnert nicht wenig an die so wohlpointierte, professionelle Arbeit von CAMERATA MEDIOLANENSE, ARGINE und ATARAXIA. Dass man es hier mit erfahrenen, hochambitionierten Musikern zu tun hat, deren Horizont die kleine abgeschlossene Szenewelt weit übersteigt, dürfte offensichtlich sein. Noch deutlicher wird dies auf thematischer Seite, bei Betrachtung der vorliegenden komplex strukturierten Herangehensweise. Ein Gesamtkunstwerk von intellektueller Brüchigkeit.


 
Roy L. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Autunna Et Sa Rose
» ARK Records
» Projekt der FU Berlin über Antonin Artaud (N: artaud P: antonin)


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Zusammenfassung
Artaud-inspirierte, komplexe Vertonung des Kunst/Tod-Konfliktes durch Neukombination unkonventionell "gecoverter" Lieder mit literarischen Texten. Die fragile Musik wird durch die Thematik zu sehr zerstückelt und zum bloßen Vehikel degradiert. Ein Gesamtkunstwerk von intellektueller Brüchigkeit.

Inhalt
Qui, Au Sein...
(Artaud)
Quand Nous Reverrons-Nous?
(Virgin Prunes/Artaud)
Kyfi
(Tuxedomoon)
Lune Et Arcades
(Ataraxia)
Ostia
(Coil/Pasolini)
N'Importe Où Hors Du Monde
(Dead Can Dance/Baudelaire)
Neue Wirklichkeit
(Laibach/Hundertwasser)
Ewig-Dunkel
(Einstürzende Neubauten/von Hofmannsthal)
Et Je Me Souviens Aussi De…
(Bauhaus/Artaud)

53min

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