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Roy L.
V/A :: Thalamus II
ex oriente lux
Genre: Ambient/Noise
Verlag: KultFront
Erscheinungsdatum:
Dezember 2005
Medium: CD
Preis: ~12,00 €
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Mechanoise-L...
Kategorie: Rezension
Erstellt: 01.09.2006
Wörter: 1573
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Weil das Faszinationspotential in Osteuropa immer größer wird, hier mal wieder etwas über die russische Post-Industrial Szene: im vorigen Jahr ging das Thalamus - Festival in Pskov (Pleskau) in die zweite Runde. Wie schon nach dem ersten Treffen veröffentlichten Mitveranstalter KultFront einen Tonträger mit exklusivem Material der beteiligten Künstler. Damals war es noch eine handgefertigte, originell verpackte 3"-CDR, limitiert auf 150 Stück mit drei mehr oder minder derben elektroakustischen Ausschweifungen. Der Maßstab der Thalamus-Veranstaltung hat sich inzwischen vergrößert, die Qualität hat darunter freilich nicht gelitten, das zweite Festivaldokument kommt als ebenso schick mit Kordel und Beilagen verpackter, diesmal einstündiger CD-Sampler und präsentiert jeweils zwei Stücke von etablierteren russischen Projekten. Pskov im Nordwesten Russlands ist außerdem nicht allzu weit von St. Petersburg entfernt. Dort und in Moskau formt sich nach und nach eine immer stärker anwachsende "Community" experimentierfreudiger Klangkünstler heraus, die u.a. mit Alexander Lebedev-Frontov (LINIJA MASS) und Nick Soudnik (ZGA) zwar geistige Väter und Vorgänger kennt, aber dennoch sehr frisch und unverbraucht an ihrer Noiserevolution arbeitet. Großen Anteil an dieser Entwicklung haben vor allem NOISES OF RUSSIA, ein Künstlerkollektiv, das seit 2000 neben rein improvisierten Krachauftritten auch Videoinstallationen, Untergrundlyrik, Theaterengagements, Filmsoundtracks, diverse Performances und Happenings hervorbringt und dabei als Schnittstelle einer unbegrenzten Anzahl an Enthusiasten dient. Ebenso ist DJ 1g0g, der atonale Kopf von NOISES OF RUSSIA, Hauptinitiator und Organisator des alljährlichen unkommerziellen Noise vs. Glamour Festivals, das auf fünf Städte verteilt (Moskau, St. Petersburg, Ryazan, Yaroslavl und sogar im finnischen Helsinki) Independent Acts aus Ost und West zusammenführt und auf diese Weise für die noch junge russische Szene essentielle Brücken baut. Im vergangenen Jahr sind neben einigen russischen Industrial/Noise-Projekten auch ALLERSEELEN und CHANGES dort aufgetreten, dies nur um die Bandbreite zu verdeutlichen, die sich bei solchen Festivals etabliert. Die beiden Stücke, die sich auf "Thalamus II" von NOISES OF RUSSIA finden lassen, orientieren sich natürlich sehr am Namen des Projektes. Der erste Part besteht aus unverfälschtem, weißem Rauschen, hinterlegt mit einer obskuren, filmischen Geräuschkulisse, die nach Folter, Vertreibung, menschlichem Elend klingt und sich in etwa der LUSTMORD-Klangbibliotheksatmosphäre bedient. Ab einem gewissen Punkt in diesen acht Minuten ist das Ganze sogar sehr meditativ und angenehm, man sucht strukturierte Angriffspunkte und findet sie, unerwartet. Der zweite Teil von "Voices Of The Dead" fällt deutlich vielschichtiger aus, knisternder, prickelnder, mit einem pseudorhythmischen Loop versehen. Im Hintergrund wieder ähnliche Samples, dazu Stimmengewirr, ein verhaltener Basslauf und eine kathartische Stringenz, die das Stück zu einem bedrohlichen Requiem für postmoderne Nekropole, Zentren knochig-archaischer Technokratien werden lassen. Weiter geht es mit einem nicht ganz 30 Sekunden währenden seicht verzerrten Electro-Loop von EKRAN. So also knabbert sich der "Tinnitus" durch den Gehörgang bis zum "Thalamus"? Na, wenn's weiter nichts ist. Danach aber folgt noch ein längerer Ambientnoise-Track mit dem Titel "Cassiopea". EKRAN ist eines der ganz seltenen Kollaborationsprojekte, bei denen man wirklich den Schnitt- bzw. Mittelpunkt der beteiligten Musiker überdeutlichst heraushört. In diesen elf Minuten treffen sich die brummend-sirrenden Radionoiseschallwellen von KRYPTOGEN RUNDFUNK, die sich kortexstimulierend, voll "magischer Dimension" ins Hirn hineinsägen mit den melancholisch-durchtränkten, höchstemotionalen düsteren Synthieflächen von ANTHESTERIA, die immer ein wenig von RAISON D'ÊTRE und anderen Skandinaviern inspiriert scheinen. Dass sich ein Überblenden dieser beiden Elemente so effektiv auswirken kann und dabei sogar an REUTOFF zu erinnern vermag, hätte ich eingangs niemals vermutet. Der vergleichsweise blutjunge MM von KRYPTOGEN RUNDFUNK ist übrigens auch der Verantwortliche hinter dem Label und extensiven Konzertveranstalter Zhelezobeton und damit auch "Erfinder" der Thalamus - Festivals, ein richtiger Fädenzieher der Petrograder Noiseszene, der mit vielen anderen schrägen Köpfen konspiriert und auf nahezu jedem Russland-Sampler zu finden ist. Mit ANTHESTERIA arbeitete er schon zusammen, als das Projekt noch RUPOR UDARA hieß und mehr auf rhythmischen Krach fixiert war. Damals erschien bei dem französischen Label Mechanoise-Labs eine auf 100 Stück limitierte Split CD-R. Weniger Noise, dafür wiederum eine interessante Stilvermischung erwartet uns bei MAJDANEK WALTZ. Das Neofolk-Quartett ist außerhalb Russlands noch gänzlich unbekannt, hat aber erst kürzlich über Strely Peruna das Debütalbum "Black Sun" vorgelegt. Sowohl Band als auch Label wirken nach außen hin sehr verschlossen, wenn man nicht zufällig des Russischen mächtig ist, erfährt man rein gar nichts über die Unternehmungen aus dieser Richtung. Der erste der beiden Beiträge, "Your Cilia Are So Long…", entwickelt sich aus einer dunklen Nachkriegsatmosphäre mit schrägen und traurigen Streichern wie bei AGNIVOLOK zu einer sehr elegischen Folkkomposition bei einem immer wieder durchscheinenden Ambienthintergrund. DARKWOOD hatten diesen Spagat auch schon mal versucht, was dann auf "Herbstgewölk" irgendwo in einem verkappt experimentellen Neo-Folk-Militarismus stecken geblieben ist. MAJADANEK WALTZ sind musikalisch dagegen überhaupt nicht Militaria infiziert, auch wenn sie vom "Reich", von schwarzen Sonnen und Swastikas singen und in ihren Texten vermutlich die Weltkriege thematisieren. Die Übergänge zwischen Folk und Ambient sind fließend und mit solemnen Rezitationen überdeckt. Die Gitarre wirkt ein wenig stumpf und alibimäßig, wie bei vielen Neofolkdebütanten, was aber von der restlichen akustischen Instrumentierung wieder wettgemacht wird. Irgendwo in der Mitte versickert das Stück dann in nüchternen Ambientcollagen, gerade wegen des interessanten Einstiegs ist das ein wenig bedauerlich. Der zweite Titel, "Even Yesterday The Carousels Were Noisy", macht als reines Akkordeonschunkellied einen noch viel mehr "völkischen" Eindruck, russisch-rustikal, kurz und knackig, trotzdem auch bitterernst, eine groteske Karussellfahrt an der Neige des Weltenbrands, aber ganz ohne Getöse, not with a bang but a whimper. Nach diesem ländlichen Abendrot folgen wieder Klänge für stillgelegte Fabrikanlagen. CISFINITUM ist eines der Projekte, die man ohne Gewissensbisse mit dem Label "a class of its own" bekleistern darf. Evgeny Voronovsky gilt als klassisch ausgebildeter Violinist, angeblich hat er das Moskauer Konservatorium mit durchaus qualifizierenden Noten abgeschlossen. Das hört man zumindest bei seinen Arrangements für die Neofolkband NEUTRAL (in Kürze erscheint ein neues Album bei Eis & Licht), die nicht mit Höhenflügen und Finessen geizen. Er ist aber auch ein richtiger Untergrundmusiker, der gern an elektronischen Instrumenten herumbastelt und mit Old-School-Attitüde auf der Bühne steht. Für seine Alben bemüht er eine Vielzahl sowjetischer Analogsynthesizer, woraus sich ein markanter, organischer Klang ergibt. Die beiden relativ kurzen Stücke, die er für "Thalamus II" bereitgestellt hat, sind ungewohnt ruhig, von pulsierenden, anschwellenden Drones und mechanisch schneidenden Mäandern durchzogen. Einmal mehr könnte diese in sich abstrakte Klanglandschaft mit den visuellen Landschaften eines Andreij Tarkowskij vermischt und vermengt werden. Auch wird deutlich, wie sehr Voronovsky von den russischen Elektro-Avantgardisten beeinflusst ist, allen voran Edward Artemiew, der auch für die ungemütlich brodelnden Industrialsequenzen in den Tarkowskij Filmen verantwortlich war. Ein unbewusstes Hineingleiten in Traum- und Spiegelwelten findet hier statt, ein sich Ergeben in das Ungreifbare. Wie bei keiner anderen Musik erlebt man bei CISFINITUM die Sekundenexistenz von Klangereignissen, die Minimalexistenz, die nur für den Augenblick wahrnehmbar ist, als wäre sie eine scheinbar unbewegliche Kette, die mit beiden Enden in den leeren Raum hineinreicht und nur einen kleinen Teil von sich preisgibt. Es braucht vermutlich mehrere Höranläufe bis das verstanden und akzeptiert ist und sich nicht mehr über die vermeintliche Ausdruckslosigkeit echauffiert wird. Als letztes bietet "Thalamus II" dann noch zwei Beiträge, die den Rahmen aller vorangegangenen Erwartungen sprengen. LUNAR ABYSS DEUS ORGANUM ist eine Art Nachfolgeprojekt von LUNAR ABYSS QUARTET, das bisher nur über eine 7" bei Drone Records Zugang zur europäischen Szene gefunden hat, gleichwohl einige streng limitierte russische CD-Rs existieren. Wenn in letzter Zeit irgendwo ein Samplerbeitrag oder anderes Stückwerk aus dem LUNAR ABYSS-Dunstkreis aufgetaucht ist, erfuhr man dabei zumeist, dass die Aufnahmen von 2001 bis 2003, allerhöchstens 2004 stammen. Ob das Projekt und das damit verbundene BioSonar-Label überhaupt noch lebendig und aktiv ist, weiß vermutlich nur eine Handvoll Initiierter. Wie sehr man gleichsam als Banause oder als Experte die gesamte Dark Ambient und Drone - Subkultur über einen Kamm scheren mag, an den LUNAR ABYSS-Projekten wird man sich dabei immer stoßen. Es ist das faszinierende Einfangen von urwüchsigen Naturatmosphären, das die Arbeit von Evgeny Savenko und seinen Kollegen so derartig aus dem Genre hervorhebt. Allerdings handelt es sich dabei nicht um minimalistische Field Recordings, wie sie zuhauf existieren, sondern um bioakustische Ausschnitte komplexer Beschwörungen. Wilde Tiergeräusche, klirrende Winde, Blätterrascheln, Meereswogen, summendes Waldleben gehören ebenso in dieses Konglomerat wie schamanistische Trommeln und Flöten, rituelle Rezitationen, apokalyptische Schlachtfelder und archaische Krachfluten. "Hunting For The Sun Perch" beginnt mit den sakralen Gesängen von Katerina Baryatinskaya, verzerrte Ambientfetzen schleichen sich ein, wie der eisige Atem eines Gottes, hypnotische Noiseschleifen, dann setzen die hölzern-dumpfen Perkussionen ein, Rhythmen der Baumgrenze, hyperboräisch, ein geschwinder, heiliger Lauf durch die Tundra verlorener Seelen, Wege im Schnee, immer drängender in das Enigma des geistigen Nordens, Lufthauch der Steppe, duftende Erde. Evokativer kann ein Tondokument nicht sein! Dies aber ist "rituell" in einem völlig anderen Kontext als wir ihn aus der Rezensentensprache kennen. "Rituell" meint hier nicht die künstliche Inszenierung des pseudo-sakralen "Rituals". Es ist vielmehr, als würden bei LUNAR ABYSS "zufällige" Mitschnitte tatsächlicher, eigendynamischer Zeremonien die Gestalt von "Aufnahmen" annehmen, einzelne Segmente, die einem größeren Zusammenhang entrissen sind. "Constellation Of The Polar Owl", der letzte Titel dieser CD, ist wie ein fünfminütiges Schweben in einem brachialen, dreidimensionalen Äther, ein Gasgemisch aus kratzend-drückendem Noise und einer kristallinfrostigen, anmutigen Essenz, statisch, hypnotisierend. Immer auf einen Nullpunkt zu, Zeichen am Horizont. Hinter "Thalamus II" verbirgt sich ein Sampler von ungeheurer Anziehungskraft und Impulsivität, zubereitet von fünf Projekten, die des näheren Kennenlernens wert sind. Selten versetzt einen eine Compilation durchweg in derartiges Staunen. Für Russland-Einsteiger wie für erfahrene Wanderer durch Bewusstseinsströme sehr geeignet.
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Verweise zum Artikel:
» Noises Of Russia
» EKRAN
» Majdanek Waltz
» Cisfinitum
» Lunar Abyss Deus Organum
» KultFront
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Zusammenfassung
Ein Sampler von ungeheurer Anziehungskraft und Impulsivität, zubereitet von fünf Projekten, die des näheren Kennenlernens wert sind. Selten versetzt einen eine Compilation durchweg in derartiges Staunen. Für Russland-Einsteiger wie für erfahrene Wanderer durch Bewusstseinsströme sehr geeignet.
Inhalt
Noises Of Russia
Voices Of The Dead Part I
Voices Of The Dead Part II
EKRAN
Tinnitus
Cassiopea
Majdanek Waltz
Your Cilia Are So Long...
Even Yesterday The Carousels Were Noisy
Cisfinitum
Slowly Towards North
Invisible Wings
Lunar Abyss Deus Organum
Hunting For The Sun Perch
Constellation Of The Polar Owl
59min
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