Was Phantasie und Innovationskraft betrifft haben im härteren Metalbereich unsere kleinen Nachbarn aus Österreich uns Deutschen schon mindestens seit Beginn der neunziger Jahre Einiges voraus. Zunächst galt man dank solcher Pioniere wie DISHARMONIC ORCHESTRA und PUNGENT STENCH vielleicht zusammen mit Finnland als das Land des makabren und bunten Death Metals; später, als überall die Black Metal-Welle den uninteressant gewordenen Death Metal überrollte, entwickelte die Alpenrepublik ebenfalls einen landeseigenen, typischen Stil mit einem beträchtlichen Wiedererkennungswert. Wollte man dazu etwas schreiben, müsste das wohl unter der Überschrift: "ABIGOR und die Folgen“ laufen. Ein weiterer Grund, warum gerade die österreichische härtere Metalszene besonders interessant für uns ist, besteht darin, dass nirgends sonst der Brückenschlag zu "Neofolk“ und "Industrial“ so sehr vollzogen wurde wie eben dort. Los ging das etwa 1998 mit FETISH 69, die ihren "Industrial-Metal“-Stil in personeller Verwobenheit mit dem waschechten Industrialprojekt SCHLAUCH entwickelten. Weitere prominente Beispiele dieses österreichischen Brückenschlags sind natürlich die personellen Verbindungen zwischen den ABIGOR-Verwandten AMESTIGON und GRAUMAHD, DER BLUTHARSCH und ALLERSEELEN, sowie zwischen den ebenfalls ABIGOR-Verwandten SUMMONING und dem "Cold Spring Industrial“-Projekt KREUZWEG OST. Hier soll es aber nun um CADAVEROUS CONDITION gehen, ein weiteres, gewichtigens Beispiel für einen solchen „Brückenschlag“, diesmal vom Death Metal ausgehend.
CADAVEROUS CONDITION gibt es als Band seit 1990. Sie gehören damit zum Quartett der originellsten und gleichzeitig dienstältesten Death Metal-Combos ihres Landes. Die anderen sind natürlich die bereits erwähnten Klagenfurter DISHARMONIC ORCHESTRA und die Wiener Grindcore-Pioniere PUNGENT STENCH, sowie DISASTROUS MURMUR, ebenfalls aus Klagenfurt. Speziell PUNGENT STENCH und DISHARMONIC ORCHESTA, letztere spielen allerdings heute keinen Death Metal mehr, wurden weltweit hochgeachtet und haben zweifellos durch ihre sperrige, oft ironisch-humorvolle, klischeebefreite Art ihre Spuren in der Geschichte des Death Metals hinterlassen. CADAVEROUS CONDITION spielen "eigentlich“ meist lupenreinen Death Metal, da aber "Shouter“ WOLFGANG WEISS privat u.a. dem Neofolk zugeneigt ist und hier Freundschaften entstanden sind, taucht sein Name sehr oft als "Exot“ in "Neofolk-Zusammenhängen" auf, und zwar so häufig, dass diese Band gewissermaßen schon eine von "uns“ ist. CADAVEROUS CONDITION finden sich z.B. auf einigen der obskuren THAGLASZ-Samplern, außerdem – und das dürfte ja bekannt sein – kollaborierte man 2001 und ausführlich nochmals 2004 mit CHANGES. Weniger bekannt sind da sicher schon der Gastbeitrag WOLFGANG WEISS’ auf OSTARAs "Secret Homeland“-Album (2000, die H. Hesse-Zitate) oder die Zusammenarbeit mit MATT HOWDEN und TODD DILLINGHAM, einem Folker aus dem Umfeld von NICK SALOMAN bzw. BEVIS FROND (Gast auf C93 "Thunder Perfect Mind"). Jetzt, im Sommer 2006, erschien mit "To The Night Sky“ wieder ein neues Album dieser obskuren Neofolker im Death Metal-Gewand. Für die meisten, die die Karriere von CADAVEROUS CONDITION oberflächlich verfolgen, dürfte das das erste Album seit dem 2001er Werk "The Lesser Travelled Seas“ sein. Es erschien aber noch 2003 mit "What The Waves Were Always Saying“ in sehr limitierter Form eine höchst interessante Zusammenarbeit mit PRODUCT 8, dem Projekt zweier früherer Mitglieder der isländischen WSD- Experimentalisten REPTILICUS. Der CD lag zusätzlich noch eine Art Begleitschreiben/Kurzgeschichte von BILL DRUMMOND bei - wer erinnert sich nicht an THE KLF und ihren Charthit "What Time Is Love?"? Ihre Art des Death Metal quasi Neofolks haben CADAVEROUS CONDITION aber auch auf "To The Night Sky“ nicht verändert. Ihr Death Metal-Sound ist extrem simpel gestrickt, puristisch und mit einer modernen, druckvollen Produktion versehen. Alles in Allem erinnert er an den "Power-Stil“ solch alter us-amerikanischer Bands wie MASSACRE, MASTER (PAUL SPECKMANN) und ACHERON. Dennoch wirkt ihre Musik, anders als typischer Death Metal, jedoch nur wenn man genauer hinhört und vor allem genauer hinsieht. Denn natürlich befolgen CADAVEROUS CONDITION nicht im geringsten die normalen Gesetze des Genres, wonach sich die Texte bzw. das Cover um allerlei Gemetzel oder um den Teufel drehen - oder die Bandphotos langhaarige wilde Kerle zeigen sollten. Bei CADAVEROUS CONDITION sind immer alle kurzhaarig und schauen intelligent-verträumt wie Brit-Popper durch die Gegend. Auch diesmal ist das Cover keineswegs klischeehaft, es zeigt ein künstlerisches Photo, ästhetisch erinnernd an die Bilder des expressionistischen Schauerfilms und aufgenommen von CYRIL HELNWEIN, dem Sohn von GOTTFRIED HELNWEIN. Dazu dann die Texte, auch hier weit und breit kein Gemetzel, sondern angenehme Reflexionen über das Leben, die Liebe und den Tod. Diese Art des Stilbruchs hat eine gewisse Tradition in ihrer Heimat, auch DISHARMONIC ORCHESTRA ließen sich schon 1992 auf ihrem Klassiker "Not To Be Undimensional Conscious“ mit Holzspielzeug und Teddybären spielend im Kinderzimmer abbilden. CADAVEROUS CONDITION führen diese Art der Genreklischees auf die Schippe nehmenden Präsentation gelungen fort, leisten aber diesen Stilbruch-Wagnissen auch musikalisch Folge: Im Hause CADAVEROUS CONDITION ist es nämlich mittlerweile Brauch, auch neofolkloristische Stücke, sozusagen als Auflockerung zum Death Metal-Gepolter, aufzunehmen. Da aber auch hier, wohl aus Gewohnheit oder aus der Einsicht heraus, dass zum "echten“ Gesang das Talent fehlt (diese Einsicht vermisse ich manchmal bei den echten Neofolkprojekten), das typische Death Metal-"growlen“ eingesetzt wird, sind diese Stücke nicht "Neofolk-rein“, vielmehr entsteht der Eindruck des "Sitzens zwischen Stühlen"; ein Stil, der bereits als "Death-Folk" bezeichnet wurde und für den, sollte es Nachahmer geben, CADAVEROUS CONDITION beanspruchen dürften "Pionier“ zu sein. Für "To The Night Sky“ heißt das im Einzelnen: Elf der insgesamt vierzehn Songs sind typische, leicht groovende CADAVEROUS CONDITION-Nackenbrecher, die vor allem live wohl sicher zu einer verrückt aufgeheizten Pogo- und Stagediving-Stimmung führen werden. Zwei dieser Songs fanden sich bereits auf "What The Waves Were Always Saying“, das Album hatte, wie gesagt, nur eine geringe Verbreitung. Song Nr. 3 "Destroy Your Life“ ist dann das erste Folkstück, ein treibender, aber auch im Sinne JOHNNY CASHs "isolationistisch“ und misanthrophisch wirkender Song, Klasse! Genauso gelungen endet die CD mit "I Woke From A Sleep That Lasted All My Life", wieder ein Neofolksong. Eine weitere CADAVEROUS CONDITION-Tradition wird mit dem neunten Song, "Black“, aufgegriffen. Es ist nämlich wieder einmal eine Coverversion, diesmal im ursprünglichen Gewand folkig belassen. Das Original stammt von WILL OLDHAM, der unter seinem zweiten Namen BONNIE "PRINCE“ BILLY ja auch einer der Gäste auf dem letzten CURRENT 93-Album war. "PRINCE“ BILLY äußerte sich bereits zur Death Folk-Version des Songs und war voll des Lobes. Bisher gab es übrigens auf jeder CADAVEROUS CONDITION-Veröffentlichung einen Coversong, dran glauben mussten bereits die SISTERS OF MERCY ("Marian“), GRAUZONE ("Eisbär“), REPTILICUS ("Snaketime") und mehrmals DEATH IN JUNE ("Heavenstreet“, sowie ein Medley aus "Fall Apart“ und CURRENT 93s "In The Heart Of The Woods“). Wer also Death Metal-Versionen dieser Lieder hören will, muss sich diese Tonträger kaufen. Für den Neofolker gibt es somit nur noch zwei weitere Informationen mitzuteilen, die das Album eventuell interessant machen könnten: 1.) Im neunten Lied, "Sleep On The Wind“, gibt es einen besonderen Gastauftritt von PATRICK LEAGAS (O’KILL), Gründungsmitglied von DEATH IN JUNE und später bei SIXTH COMM. "Sleep On The Wind“ ist vielleicht das stärkste Stück des Albums, weil zumindest die Leagas-Passagen durch einen leicht nahöstlichen Touch, der etwas an TRIBE AFER TRIBE erinnert, faszinieren. 2.) Die Gestaltung des Booklets besorgte STEPHAN POCKRANDT (EIS UND LICHT). Der Effekt davon ist, dass die CD äußerlich so wirkt, als sei sie ein Produkt seines Labels, was sie aber nicht ist, auch wenn EIS UND LICHT ja schon einmal CADAVEROUS CONDITION im Rahmen der Split 10“ mit CHANGES veröffentlichten. Fazit: Wenn man gestandener Death Metal-Fan ist, bieten CADAVEROUS CONDITION sicher innerhalb dieses Stils nichts extrem Ungewöhnliches, durch die geschilderten Besonderheiten entsteht aber ganz sicher, spätestens durch die Folkstücke, eine besondere, eigene Identität. Live werden sie sowieso Spaß machen. Deathbanger, die auf so Kultbands wie (akustische) MACABRE, DISHARMONIC ORCHESTRA oder THE COFFINSHAKERS abfahren, werden sicher verwandschaftliche Vibes spüren. Für "Neofolker“ gilt selbstredend allein durch die geschilderten Fakten folgendes: Wenn man eine Death Metal-Band wirklich in der Sammlung haben sollte, dann sind das CADAVEROUS CONDITION.
Dominik T. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » CADAVEROUS CONDITION » CADAVEROUS CONDITION Myspace Themenbezogene Artikel: » CADAVEROUS CONDITION: Songs Themenbezogene Newsmeldungen: » CADAVEROUS CONDITION-Kopf: SISTERS OF MERCY-Cover » CADAVEROUS CONDITION: neues Album » CADAVEROUS CONDITION remixed NURSE WITH WOUND etc.
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Zusammenfassung
Gast des Albums: PATRICK LEAGAS (SIXTH COMM, ex-DEATH IN JUNE), Artwork von EIS UND LICHT, WILL OLDHAM-Cover im Death Folk-Stil.
Stil: Death Folk, sprich Neofolk im Death Metal-Gewand... und purer Death Metal. Inhalt
Format: CD
Released: 2006 Label: Oak Knoll Productions / Starry Cat.No.: OKP 015 Songs: 1. Fireship 2. The Loneliest Grave 3. Destroy Your Life 4. There Is No Death And There Are No Dead 5. At The Crossroads 6. North Isles Motel 7. Repent 8. Black 9. Sleep On The Wind 10. The Once And Future King 11. To The Distant Grey 12. Now We Make The Past Undone 13. My Ocean Is Shipless 14. I Woke From A Sleep That Lasted All My Life |