Keine Frage: Die DRESDEN DOLLS waren weder die ersten noch die einzigen, die sich an angeschwärztem Kabarett versuchten, doch waren sie diejenigen mit einem solchen Konzept, denen in jüngster Vergangenheit die größte Aufmerksamkeit geschenkt wurde, Aufmerksamkeit solchen Umfangs, dass sie anlässlich ihres Zweitlings "Yes, Virginia..." sogar Interviews in Spex und anderen Trendmagazinen geben durften - und selbst die Musikredaktion der GMX-Plattform lud zum Gespräch. Im Falle eines solchen Phänomens zeigt die Erfahrung, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ein industriell geförderter Trend aus dem Boden gestampft wird, an dem jede zweit- und drittklassige Kapelle partizipieren darf, und in der Tat ist es gelinde gesagt irritierend, wie manche Bands und Alben bereits angepriesen werden.
Dass die Idee, Elemente der Kultur der 20er Jahre in die Gegenwart zu übertragen und sie in zeitgenössischer Musik aufgehen zu lassen, auch in Zeiten eines vermeintlichen Hypes keineswegs zum Scheitern verurteilt ist, zeigt das selbstbetitelte Debüt des KATZENJAMMER KABARETT. Anders als das Bostoner Duo geht das französische Quartett dabei bei weitem nicht so puristisch zu Werke, was die Instrumentauswahl betrifft: Keine Beschränkung auf das Wesentliche ist hier zu bemerken, ganz im Gegenteil: Es wird aus dem Vollen geschöpft und sich bei allem bedient, aus dem Töne zu gewinnen sind. Piano, E-Gitarren, Orgel und Elektronik, das alles findet seinen Platz auf dem Album und wird mal mehr, mal weniger in den Vordergrund gestellt. Auch stilistisch ist man nicht unbedingt um Homogenität bemüht, schwanken die einzelnen Lieder doch zwischen (fast) rein akustischem Düsterkabarett im Geiste der DRESDEN DOLLS und treibenden Death und Gothic Rock-Nummern. In beiden Spielarten zeigt sich das KATZENJAMMER KABARETT durchaus versiert und überzeugt mit Zerbrechlichkeit im klavierdominierten "Genuine, A Fantastic Revue" genauso wie mit vorpreschender geballter Energie in "Nevermore Brothel". Doch nicht nur von dieser Dynamik der Stil- und Geschwindigkeitswechsel lebt das Album und bezieht seinen nicht eben geringen Charme, sondern auch von seiner angenehm anachronistischen Ausstrahlung, die bei der Gestaltung beginnt und bis in die Musik hineinreicht: Die Gesangsstimme Mary Komplikateds ist am ehesten mit 'spröde' zu bezeichnen, voller Ecken und Kanten, ohne jedoch jemals zu nerven, während die elektronischen Einlagen mitunter so antiquiert wirken, als seien sie einem Computerspiel der 80er entnommen – so hebt sich der Gesamtklang wohltuend von diversen Neogothic-Bands ab, die seit Jahren durch die Zeitschriftenlandschaft geistern. Aber in ebendieser Vielfalt liegt auch die große Schwäche des Albums: Allzu oft wirkt es zu hektisch, soll zu viel in zu wenig Zeit untergebracht werden. Damit krankt es an den gleichen Symptomen, die schon am Erstlingswerk der DRESDEN DOLLS zu bemängeln waren. Es ist wohl der typische Makel eines Debüts, dass all die für sich allein betrachtet durchaus guten Ideen zusammengenommen das Werk überfrachten, hektisch werden und (unfreiwillig) mitunter ein wenig erdrückend wirken lassen. Doch auch eingedenk dieses Abstriches hat das KATZENJAMMER KABARETT ein vielversprechendes Debüt vorgelegt, das das Potential der Formation deutlich aufzeigt und Freude auf zukünftige Veröffentlichungen weckt. Hat man die Kinderkrankheiten erst einmal überstanden, steht einem spannenden künstlerischen Werdegang nichts mehr im Wege.
Micha W. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » Katzenjammer Kabarett
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Zusammenfassung
Trotz einer nicht zu leugnenden Hektik und Überfrachtung hat das KATZENJAMMER KABARETT ein vielversprechendes Debüt vorgelegt, das das Potential der Formation deutlich aufzeigt und Freude auf zukünftige Veröffentlichungen weckt.
Inhalt
1. Intro
2. Gemini girly song 3. Genuine, a fantastic revue 4. Three sketches 5. Lie sucks not 6. 8 & 9 7. Katzenjammer kids 8. Down the stairs 9. Nevermore brothel 10. Bal manekinow 11. Mr Price 12. The crowd around 13. Eve at the mansion 14. Outro (le procés) |