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Dominik T.

ALLERSEELEN: Rauhe Schale

Reich der Träumer


ALLERSEELEN: Rauhe Schale
Genre: Kraut-Pop
Verlag: Ahnstern
Vertrieb: Steinklang
Medium: CD
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Wenn ein neues ALLERSEELEN-Album erscheint, breitet sich in mir schon seit einigen Jahren das Gefühl einer durchaus wohligen Hör- und Genieß-Routine aus. Einen abrupten musikalischen Kurswechsel erwartet man eigentlich nicht mehr, seitdem Gerhard nun schon seit etwa „Neuschwabenland“ (2000) seinen Stil gefunden zu haben scheint. Und Recht hat er, denn nichts klingt wie ALLERSEELEN. Das Ganze darf man in den Bereich wahrer Outsider-Musik einordnen, sofern man diesen Begriff nicht verengt auf „Patienten-Kunst“, sondern ihn allgemeiner fasst als Musik, deren autodidaktischer Bastel-Charakter so stark eigenbrötlerisch und verschroben wirkt, dass eben schon dies Teil des Reizes ist. Anders ausgedrückt: Weil alles so fernab von allem klingt, glaubt man sich mit einer besonderen Offenheit des Künstlers konfrontiert zu sehen und so beginnen selbst Stilelemente, die in einem konventionelleren Rahmen längst nerven würden, etwa die vielen Wiederholungen, wundersam sympathiegewinnend zu wirken. Man denkt, so ist er, der Gerhard, und ertappt sich beim Anfeuern: Go, Gerhard, Go!, wollt ihr die totale ALLERSEELEN-Freak Show?  Für Menschen mit beschlagener Brille, Menschen, die stottern, kleinwüchsig sind, drei Arme oder zwei Schwänze haben etc. pp. erschaffen ALLERSEELEN ungeahnte Identifikationspotenziale, es ist ihre Musik, wenn sie in den Ring, der das Leben ist, steigen. So jedenfalls wirkt ALLERSEELEN immer auf mich und ich finde es hervorragend so! 

Nun, nachdem diese einleitenden Sätze geschrieben sind, überkommt mich direkt die Sorge, sie seien missverständlich, denn es ist nicht so, als ob ALLERSEELEN schwer zu konsumieren wäre, nicht umsonst nennt Gerhard seine „technosophische Tonkunst“ (so sein früherer Begriff) heute schlicht und vor allem passend bisweilen „Kraut-Pop“.
Das Outsidertum von ALLERSEELEN besteht auch ferner nicht in einem genialen Erfindungsreichtum, wie es bei HARRY PARTCH der Fall war, eher schon in einem nicht minder mitreißenden Sammelsurium geklauter Ideen. Auch wäre es missverständlich, zu meinen, die ALLERSEELEN-Musik sei per se skurril und habe sich darauf spezialisiert, bisher unvertraute Gefühlslagen zu erzeugen. Es tendiert eher zum Gegenteil: ALLERSEELEN erschaffen mit zutiefst eigenen Mitteln eine Atmosphäre, die meist heimelig und volkstümlich wirkt, selbst wenn das nicht explizit Thema der begleitenden Lyrik ist. 
Hätte die „Neue Deutsche Welle“ einen alpineren Charakter gehabt und wäre sie weniger auf „Aufbruch“ getrimmt gewesen, sondern stattdessen mehr von restaurativen Tagträumen gesegnet gewesen, es wäre vielleicht etwas wie ALLERSEELEN entstanden.

So eingestimmt widme ich mich nun „Rauhe Schale“, dem neuen Album. Spürbar ist einmal mehr eine gewisse D.A.F.-Inspiration, eine Brise DNA (in Watte gepackt) und eine gehörige Portion Heimatfilm. Irgendwo zwischen Santa Sangre und Auf der Alm da gibt's koa sünd. Dazu der österreichische Sprechgesang von Gerhard. Ich muss beim Hören immer an LUIS TRENKER denken. Mehr noch als andere ALLERSEELEN-Alben lebt auf „Rauhe Schale“ etwas Herbstliches, irgendetwas, das mit Untergangsstimmung oder harmloser mit Abendstimmung oder schicksalsergebenem Abschiednehmen zu tun hat. 
Im Speziellen ist „Rauhe Schale“ ein sehr romantisch-liebevolles Album geworden, einschmeichelnde, klagende Geigenklänge zeugen davon. Auffallend ist zudem, dass den altbekannten, verschrobenen, abgehackten Rhythmen auf „Rauhe Schale“ viele Stücke bei Seite gestellt wurden, deren Elektronik in einem konstant-monotonen Fließen besteht (besonders bei „Das Feuer fragt). Auch dies erzeugt heimelige Wärme. Sehr passend werden solche Stücke "ausgefaded".
Manchmal entsteht das Gefühl der Verschrobenheit auch durch ein simples Hörmissverständnis meinerseits: In „Diese Nähe ist Gefahr“ rappt Gerhard: „Ein Traum wird wahr, wir sind ein Ja“, ich hatte verstanden „ein Traum wird wahr, wir sind ein Paar“ und ich finde diese einnehmend ungelenke naive Poesie hätte noch besser zur Musik gepasst.
 
Dem ALLERSEELEN-Kenner wird schlussendlich nicht verborgen bleiben, dass „Rauhe Schale“ reich an Selbstzitaten ist, ob Gerhard die Ideen ausgehen? Ich glaube und hoffe das nicht. Außerdem gehen diese Selbstzitate bisweilen weit in die eigene Vergangenheit zurück: Ja, es gibt, wenn auch nur für kurze Momente, richtiggehend Noise-Elemente auf diesem Album, die „Sturmlieder“ (1996) nochmal ins Gedächtnis zurückrufen. Seltsamerweise wirken selbst solche Momente nicht aggressiv, das Idyllische bleibt gewahrt.
Ferner gibt es tatsächlich auch noch eine musikalische Neuerung: Mitunter fette RAMMSTEIN-Gitarren, und ich muss sagen, es passt, so wie es auch schon zu den Geistesverwandten WALDTEUFEL passte. Darin dürfte sich auch zeigen, dass Gerhards Mitstreiter DIMO DIMOV (SVARROGH) und MARCEL P. nun richtig bei ALLERSEELEN involviert sind, haben doch beide eher einen Metalhintergrund. Vielleicht wächst ALLERSEELEN ähnlich zu einer Band zusammen, wie das schon bei DER BLUTHARSCH der Fall war.
Ein besonderer Anspieltipp ist „Rauhnachtkamerad“, eine Ode an die Kameradschaft, mit Text von HERYBERT MENZEL, dem „Homer der SA“, den Kitsch mag man sich nun vorstellen (BLOOD AXIS benutzen den gleichen Text auf „Song Of The Comrade“), besonders hübsch und passend ist, dass gerade dies eine Luftgitarrennummer von echter „Eye Of The Tiger“-Qualität ist, die auch noch ausgefaded wird („are you close to or far from your conscience? as their reason for life fades away ...“), weil ja auch das Füreinandereinstehen echter Kameraden ewig ist (während bei „Eye Of The Tiger“ eher der Aspekt des Einzelkämpfers im Vordergrund steht).


 
Dominik T. für nonpop.de


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