Folgender Text wird alles andere als ein umfassender WGT-Bericht sein. Ich war eher als helfende Hand am
EIS & LICHT-Stand in Leipzig, denn als normaler Besucher, dementsprechend konnte ich auch nur elf Künstler bei ihrem Auftritt verfolgen, oft nur wenige Minuten oder nur mit halbem Ohr.
Grundsätzlich hat sich die alljährliche Leipziger Freakshow seit meinem letzten Besuch 2005 äußerlich nicht wesentlich verändert, der Trend zum metrosexuellen Outfit der Grufties hält unvermindert an, er ist aber auch nicht schlimmer geworden, in der Agra-Halle dominieren die Klamotten-, Schmuck-, Piercing-Stände gegenüber den Angeboten von Musik-und Buchverlagen, sogar einen Friseur gibt es. Das Gruftietum ist anno 2007, so mein Eindruck, kaum noch an einen bestimmten Musikstil gekoppelt, das Verbindende scheint sich ganz offensichtlich über reine Äußerlichkeiten zu definieren. Mir ist das nun zu billig darüber herzuziehen, zumal dort, wo man sich eventuell eher heimisch fühlt, in den Stätten der Ambient- und Neofolkauftritte das Prinzip des Sehens und Gesehen-Werdens kaum weniger deutlich ist, aber ein gewisser Grundekel lässt sich dennoch kaum verbergen. Gruftietum bedeutet nunmehr nach außen gekehrte unvermittelt sich austobende Subjektivität, ein Menschenschlag, dem vermutlich nichts peinlich ist, schon gar nicht an sich selbst, und das ist schon ziemlich abstoßend, zumal man sich ein Umschlagen zum Besseren oder auch nur ein Zurück zur Musik kaum noch vorstellen kann.
Der SamstagFür meinen Geschmack war das WGT-Programm in diesem Jahr eher dürftig, glücklicherweise musste samstags noch kein
EIS & LICHT-Stand aufgebaut werden, so dass ich dem Auftritt von DAME MEDIOLANENSI ganz zwanglos im Völkerschlachtdenkmal beiwohnen durfte. Mein eigentlicher WGT-Einstieg am Abend vorher, IN THE NURSERY im Freien vor dem Völkerschlachtsdenkmal, fand zwar statt, ging aber buchstäblich im strömenden Regen und Gewitterdonner unter.
DAME MEDIOLANENSI lässt sich als der feminine Aspekt des allseits beliebten italienischen Neoklassik-Projekts CAMERATA MEDIOLANENSE beschreiben. Im diesmal nicht ganz so kühlen Innenraum des imposanten Denkmals verzauberten folglich vier Frauen die Zuhörer: LUCIA, die Dame, die besonders noch auf dem CAMERATA MEDIOLANENSE-Debüt
„Musica Reservata“ (1994) sang und dann später für eine Zeit aus dem Projekt ausstieg, DANIELA BEDESKI, die weibliche Stimme, die bei CAMERATA meistens zu hören ist, eine mir unbekannte ungarische Cellistin, die ebenfalls sang und auch schon bei
CAMERATA SFORZESCA mit auf der Bühne stand, sowie natürlich ELENA PREVIDI, die eigentliche Leiterin des Projekts, die ein Cembalo bediente und für die elektronischen Effekte sorgte. Ganz unauffällig im Hintergrund halfen noch MANUEL AROLDI (der grimmig ausschauende Bärtige von CM), sowie MARCO COLOMBO aus, der in den 80ern mal ein sehr gutes eigenes Wave-Projekt namens
STURM UND DRANG führte und auch Teil von CAMERATA SFORZESCA ist.
Um es kurz zu machen, DAME MEDIOLANENSI waren musikalisch nicht weit von ihrem CAMERATA-Stamm entfernt, es fehlte lediglich der männliche Gesang, sowie meist auch das charakteristisch-hymnische Trommeln. Jeder weiß, was für hervorragende, klassisch ausgebildete Musiker die Italiener sind und wie grotesk groß die Klassenunterschiede gerade im sogenannten Neoklassik-Genre mitunter sind. CAMERATA sind elitär, und sie sind es zu recht. Ein Konzert, das von der Darbietung, der Akustik und dem Ambiente nahe an der Perfektion war.
Mit etwas Glück wird man dieses Jahr noch CAMERATA MEDIOLANENSE live sehen können und mit noch mehr Glück lassen auch neue Veröffentlichungen nicht mehr lange auf sich warten, zunächst ist jedoch Vinyl von CAMERATA SFORZESCA geplant.
Gegen 0 Uhr betrat ich das UT-Connewitz, wo sich gerade der Abend der
LOKI-FOUNDATION dem Ende zuneigte. Ich traf genau rechtzeitig zum exklusiven
FIR§T LAW-Konzert ein. Das alte Kino war halbgefüllt, nach meinem Empfinden herrschte im Saal eine etwas seltsame Stimmung. Die versammelten Besucher schienen alle vor Müdigkeit und/oder Alkoholgenuss geistig etwas abwesend, so fiel es auch mir schwer, mich davon nicht anstecken zu lassen und dem eigentlich sehr guten FIR§T LAW-Auftritt konzentriert zu folgen. FIR§T LAW in Gestalt von ANDREAS WAHNMANN präsentierte sich erwartungsgemäß recht hippiesk-kosmisch, Herr WAHNMANN schraubte an seinen Gerätschaften rum, bediente aber auch eine E-Gitarre. Ein Leckerbissen für Fans des alten deutschen Krautrocksounds von ASH RA TEMPEL bis TANGERINE DREAM. Ansonsten aber nicht übermäßig spektakulär, so Musik ist eher etwas für die Kopfhörer zu Hause.
Der SonntagAm Sonntag war dann im Anker arbeiten angesagt. Es sollten ALL MY FAITH LOST, LUX INTERNA, ROME und ATARAXIA spielen. Von den „Antifa“-Angriffen während des ersten, nachmittäglichen
COLD MEAT-Programms erfuhr ich erst jetzt durch Schilderungen anwesender Besucher. Einer der dort anwesenden erzählte übrigens, dass der BRIGHTER DEATH NOW-Auftritt (ATRAX MORGUE gewidmet) geradezu historisch gewesen sein soll.
ALL MY FAITH LOST bestehen aus einer Vielzahl sehr junger, sympathischer Italiener beiderlei Geschlechts. Ihre Musik wäre sicherlich passend für so ein Label wie
PROJEKT-RECORDS, da sich jedoch auch
COLD MEAT immer weiter von ihren Wurzeln entfernen und für mich mittlerweile sozusagen der Hort der Belanglosigkeiten sind, passen sie da eigentlich auch ganz gut hin. Entschuldigung, aber das ist einfach nicht meine Musik.
Den Auftritt von
LUX INTERNA verfolgte ich dann, sofern es die Arbeit zuließ, schon konzentrierter. Sie spielten überwiegend neue Lieder ihres frisch erschienenen, großartigen „God is not dead for the birds“-Albums, mit auf der Bühne HENRYK VOGEL von DARKWOOD. LUX INTERNA und Neofolkszene scheint mir immer mehr eine Art Missverständnis zu sein. Das Projekt spielt unprätentiösen, ernsthaften, religiösen Folk mit einem ganz leichten Americana-Touch. Alles in allem zu intellektuell-distanziert, um sich auf neofolkloristische Codes einzulassen. Es ist dem Projekt um JOSHUA und KATHRYN GENTZKE zu wünschen, dass sie mit ihrem neuen Album vereinzelt auch die Aufmerksamkeit von NICK CAVE- oder WOVEN HAND-Liebhabern auf sich ziehen, denn das ist der Bereich, zu dem sie geistig und ästhetisch recht eigentlich gehören.
Für ein Lied („Der Falken Flug“) wandelte sich das LUX INTERNA-Konzert zum Ende hin in ein DARKWOOD-Auftritt, nebst LUX INTERNA-Begleitung. Die versammelten Neofolker im Publikum zeigten ihre Dankbarkeit durch tosenden Applaus und auch ich schrie von hinten „Bravo“!
Es folgten dann
ROME, die Luxemburger sind scheinbar mit ihrem stark an wavige DEATH IN JUNE angelehnten Neofolk so etwas wie der letzte Schrei der Szene, außer, dass auch sie am Rande der Veranstaltung einen sympathischen Eindruck hinterließen, fällt mir zu ihnen rein musikalisch jedoch nicht viel ein. Das Ganze ist ziemlich überraschungslos, und ich weiß jetzt schon, wie z.B. die
Interviews und vermutlich auch die nächsten fünf Studioaufnahmen des Projekts ausfallen werden.
ATARAXIA war dann zweifellos, wie sich das für einen Headliner gehört, der Höhepunkt des Abends. Auch mit ihrer mittelalterlich angehauchten Musik kann ich so rein gar nichts anfangen, doch wäre ich ein Narr, wenn ich ihnen eine eigene Vision und ein hohes musikalisches Können abspräche. Ihr Auftritt war im positiven Sinne routiniert und professionell, eben echte Musiker, wie ihre Freunde von CAMERATA am Abend zuvor, und auch für ATARAXIA war der Abend im Anker bereits der zweite Auftritt im Rahmen des diesjährigen WGT.
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ich hatte bis zum auftritt von golgotha nicht mal annähernd was von denen gehört. ich fand die einfach nur klasse. genauso derniere volonte: mein höhepunkt des WGTs.