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Dominik T.

DRIEU LA ROCHELLE Autorenporträt

Die schöne Geste des Untergangs– ein faschistischer Décadent


DRIEU LA ROCHELLE Autorenporträt
Kategorie: Vorschau
Wörter: 1504
Erstellt: 02.03.2007
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Aus Zinnober # 6:

Dieser Essay von GÜNTER MASCHKE erschien ursprünglich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 12. April 1980; Nachdruck in: Maschke, Günter: Das bewaffnete Wort, Aufsätze aus den Jahren 1973-1993, Wien und Leipzig 1997 (Karolinger), sowie in ZINNOBER # 6. Wir dokumentieren diesen Essay nun auf NONPOP, damit er auch im Internet zugänglich ist. Mehr Informationen zum Autor am Ende des Autorenporträts.

Die schöne Geste des Untergangs – Drieu La Rochelle – ein faschistischer Décadent

Von Günter Maschke



Der faschistische Intellektuelle ist der radikale décadent. Er kann den ihn quälenden Wertnihilismus nur ertragen, weil er glaubt, daß sich das wirkliche Leben erst im Ausnahmezustand enthüllt; im Krieg oder im Augenblick der Gefahr. Diese Abhängigkeit vom Äußersten verrät die Schwäche für den Alltag, der auch seinen Heroismus hat. Die vitalistische Substanz wird gefeiert, weil sie fehlt. Nicht in ihr wurzelt die Gier nach starken Erregungen, sondern sie steigt aus dem Rausch und dem Traum, ist aus flüchtigem Stoff, nach der Anspannung, die ganz von der schönen Geste lebt, kommt die Erschöpfung, die Verzweiflung, der Zynismus. Der Ästhetiker der Gewalt und der Politik mag dann seine wichtigste Überzeugung wiederfinden: daß die einzige Realität im Leben die Illusion ist. Diese Überzeugung kann zu narzißhaften Entblößungen führen, zum Spielen mit erschreckenden Wahrheiten. Die Eitelkeit dessen aber, der elegant formulierend und mit kokettierender Schamlosigkeit auf seine Geschwüre zeigt, auf seine Amoralität und seine erschreckende Niedrigkeit, vermag zu betören. Die Eitelkeit, die Erkenntnis und die große ästhetische Form durchdringen sich und steigern einander.
Der französische Romancier und Essayist Pierre Drieu la Rochelle, einer der prominentesten Kollaborateure, der im März 1945 den Freitod wählte, verkörperte am reinsten diesen faschistischen Stil. In den letzten Jahren hat man in Frankreich nahezu sein gesamtes Werk wieder aufgelegt und ihn, als einen der großen Erzähler der nationalen Literatur, neu entdeckt. Das neue Interesse am Dandytum und die endlich in Frankreich zustande kommende Diskussion über die Jahre zwischen 1940 und 1945 mag dazu beitragen. Schließlich schlägt auch die exhibitionistische Ehrlichkeit in Bann.
Im Juli 1943, als die Niederlage Deutschlands absehbar wird, notiert Drieu in sein Tagebuch: „Ich aber war Faschist und bleibe es. Ich könnte nicht sein ohne diesen Traum von der Wiederkehr des Männlichen und des Asketischen; diesem Traum bleibe ich treu. Nur halb verwirklicht, bedeutet dieser Traum das letzte Sich-Aufbäumen in Europa von alldem, was ich liebe; er bedeutet einen bestimmten körperlichen Gestus, eine bestimmte aristokratische Haltung im Geistigen. Überschattet ist dieser Traum von der Bürokratie, von der Propaganda … Doch dieser Traum, mich seit zehn Jahren erzittern machend, befähigt mich, Gewißheit über meine wirkliche Natur zu erlangen …“
Drieu sah den Untergang des Nationalsozialismus darin begründet, daß Hitler kein europäischer, sondern nur ein nationaler Revolutionär war. Wehrmacht und Waffen-SS wurden nicht zu Institutionen geformt, in denen die europäische Jugend hätte zusammenfinden können im Kampf gegen westliche Dekadenz und kommunistisches Asiatentum; die besetzten Länder wurden nicht zu gleichberechtigten Partnern Deutschlands. Der Traum von einem geeinten, von Dekadenz und Liberalismus befreiten Europa war gescheitert, und damit wurde dem radikalen Träumer, der sein Leben lang die Energie, die Jugend und die Kraft angebetet hatte, bewußt, welch trostloses Alter ihn erwartete. Kurz vor seinem Freitod notierte er: „Ich bin bewundernswert reif für den Tod! Welche Chance, nicht zu einem Greis zu werden!“
1893 in Paris als Sohn eines Anwalts geboren, lernt Drieu es rasch, seine Eltern zu verachten. Das ausschweifende Leben des Vaters, der das Vermögen der Mutter durchbringt – geschildert im Roman „Rêveuse Bourgeoisie“ (Verträumte Bourgeoisie) –, schafft eine unerträgliche Atmosphäre, aus der Drieu in das Glück manischen Lesens flieht. Nietzsche und die Autoren der radikalen französischen Rechten, von den Gegenrevolutionären De Bonald und De Maistre zu Maurras, Bainville und Sorel, sind die Leitsterne des jungen Drieu.
Als Drieu 1914, nach erfolglosem Studium an der „École des Sciences Politiques“, an die Front kommt, ist sein Weltbild bereits geprägt. Bei Stoßtruppunternehmen mehrmals schwer verwundet, ist er zwischen 1914 und 1918 oft im Lazarett, auf Genesungsurlaub, in der Etappe. Das stupide, maschinelle Töten gehörte kaum zu seinen Erfahrungen; das hat Drieu erst in späteren Aufsätzen und in seinem Tagebuch begriffen. Jetzt ist es die plötzliche, die Alltagswelt aufbrechende gewaltsame Aktion, ein von Drieu „mystisch“ genannter Moment, der lebensbestimmend wird. 1914, während der Schlacht von Charleroi, gerät Drieu in den entrückten Zustand einer „Ekstase, die ich mit der der heiligen Theresa vergleichen möchte“. Beim Vorwärtsstürmen im Kugelhagel, bei dem Gefühl, daß das eigene Handeln, Denken und Empfinden mit dem der Kameraden zu einem kollektiven Elan zusammenfließt, während man als zuckendes Leben dem Tod entgegeneilt, in diesem Moment, der dem Gefühl zu leben erst seine Süße gibt; in diesem Augenblick, in dem Furcht und Mut, Schmerz und Freude, Lebens- und Todesgier sich verschmelzen zu einer Einheit, die Drieu „la vie“, das Leben selbst, nennt; in diesem Augenblick glaubt er, den Zugang zum eigenen Sein gefunden zu haben und sich als Führer anderer Männer, als „chef“, dem die Menge folgt, zu entdecken.
Als Drieu im März 1919 entlassen wird, weiß er, daß ihn das Heimweh nach existentiellen Ausnahmesituationen nicht mehr loslassen wird. Das zivile Leben aber bietet diese Situationen nicht. Es bietet dem jungen Dandy nur eine nicht abreißende Kette von Vergnügungen im Stil der „roaring twenties“, von Bordellbesuchen, Ferienreisen, sexuellen Abenteuern.
Drieu hat diese Zeit schalen Lebens, in dem er fieberhaft nach substantielleren Erregungen suchte, in seinem Frühwerk, besonders im Roman „L’homme couvert de femmes“ (Der Frauenmann) mit selbstverliebter Schonungslosigkeit geschildert. Dieses Dahinplätschern im Luxus, aber auch der auslaugende Jahrmarkt der Eitelkeit in den Salons der Surrealisten um Breton und Aragon, denen sich Drieu für kurze Zeit anschließt und die er in seinem bedeutendsten Roman „Die Unzulänglichen“ (im Original „Gilles“) als eine Horde scheinradikaler Pfahlbürger und Schwätzer porträtiert; dieses Leben ist weit von „la vie“ entfernt. Der Titelheld des Romans, in dem Drieu seinen Weg vom Soldaten zum Dandy und Playboy hin zum faschistischen Kämpfer schildert, ist kaum im Fronturlaub, als er, beim Champagner mit einem Kameraden und zwei begehrenswerten Huren, bereits wieder an die Front zurück will. Der rauschgiftsüchtige Alain, der reiche Frauen ausbeutende Held des Romans „Das Irrlicht“, der sich unentwegt die Frage stellt „Wie kann man sein Leben authentisch leben in einer Welt, die es nicht mehr ist?“, betrachtet vor dem Freitod, beinahe mit Glück, seinen Revolver: „Ein Gegenstand! Endlich! Ein Gegenstand!“
Das luxuriöse Leben, in dem die Gefahr und die Realität der Dinge sich auflösen, kann Drieu sich leisten, weil er schon 1917, während eines Fronturlaubs, sich mit der jüdischen Bankierstochter Colette Jeramec verheiratet. 1921 bereits geschieden, lebt er bis 1927 überwiegend von dem ihm zugesprochenen Vermögensteil. 1927 heiratet Drieu die nicht minder reiche Bankierstochter Alexandra Sienkiewic. Diese Ehe dauert bis 1933, und wieder erhält Drieu eine beträchtliche Summe nach der Scheidung.
Die Ehe mit Colette Jeramec, in „Die Unzulänglichen“ Myriam Falkenberg, war das Ergebnis eines Kalküls. Im Roman schildert Drieu seine Überlegungen: „… Die Tür ging auf. Von einem Augenblick zum anderen veränderte sich das Licht des Lebens. Er wurde ergriffen vom Begehren. Dieses leuchtende Wesen war Geist und Geld. Sogleich stellte sich die Gewißheit ein, daß all dies ihm gehören würde … Vor zwei Tagen noch hatte er im Unterstand auf feuchtem Stroh gelegen, jeder Sorge und jeder Anstrengung ledig; jetzt war er an eine andere Welt gefesselt. Nach den Trommelfeuern sah er nun wieder die Welt der Reichen: Frauen, Kinder, Hunde, Pferde, Bäume und das Volk, das von der Welt der Reichen abhängt: Straßenkehrer, Schutzleute … Viele Dinge verbanden sich auf rätselhafte Weise mit dem Reichtum: vor allem die überlegene und milde Weisheit, die sich in goldenen Lettern auf Falkenbergs kostbar gebundenen Büchern niederschlug. Unaufhörlich erschien das Gold der Titel vor seinen Augen. Das war die gleiche Substanz wie der prachtvolle Pelzkragen jener jungen Dame. Elegante junge Damen und gepflegte Luxusbäume. Welch ein Gegensatz zu den Bäumen von Verdun.“
Die Jahre des Luxus sind auch die Jahre der Arbeit. Zwischen 1920 und 1940 legt Drieu ein umfangreiches Werk vor – fast ein Dutzend Romane, Novellenbände, Dramen, Lyrik –, in dem die Dekadenz und der Krieg, das Geld und der Tod, diese beiden Zwangsvorstellungen Drieus, Gestalt gewinnen. Parallel dazu entwickelt er sich zu einem scharfsichtigen Zeitdiagnostiker, der sich erst 1934 für den Faschismus entscheidet.
Drieu sieht, wie der Versailler Vertrag die Chance einer Aussöhnung zerstört. Die europäischen Länder sind seiner Meinung nach der schwer heilbaren Krankheit der Dekadenz verfallen; einer Krankheit, deren Symptome er in Essaybänden wie „Mesure de la France“, „Genève ou Moscou“, „L’Europe contre les patries“ immer neu untersucht. Häßlichkeit der Großstädte, zunehmende geistige und körperliche Schäden, Verfall der Familie, Auflösung von Ehre und Treue, Unfähigkeit der Rechten zur Sozialpolitik, lächerliche Illusion der Linken, daß ausgerechnet das Proletariat, die kulturfernste Klasse, die Menschheit befreien würde; das Fehlen eines europäischen Großmachtinstinktes angesichts Amerikas Aufstieg, Zerbröckeln des Kolonialreiches, Perspektivlosigkeit eines Kapitalismus, der sich in den engen Grenzen fesseln läßt – die allumfassende Krankheit der Epoche scheint Drieu in Frankreich am weitesten fortgeschritten. Mußte Frankreich sich nicht mit fast der ganzen Welt verbünden, um Deutschland niederzuringen?


 
Dominik T. für nonpop.de



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