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SARBAN: Hörnerschall

Das Grauen ist es, das unsäglich ist …


SARBAN: Hörnerschall
Kategorie: Vorschau
Verlag: Festa Verlag
Vertrieb: Festa Verlag
Erscheinungsdatum:
2003
Medium: Buch
Preis: ~14,00 €
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Ein geheimnisvoller britischer Autor mit dem Pseudonym SARBAN (Aufgrund seiner Arbeit als Diplomat war sein richtiger Name WILLIAM WALLS unmöglich zu nutzen.) wurde 1952 durch Mundpropaganda zum Underground-Bestseller-Autor mit dem Kurzroman „The sound of his horn“, und es dauerte 50 Jahre, bis sich ein deutscher Verlag der Übersetzung annahm und das Buch 2003 in Deutschland veröffentlichte. Nicht, weil man an den Fähigkeiten des Autos zweifelte und auch nicht, weil er nur ein geringes Maß (quantitativ) an literarischen Ergüssen veröffentlicht hatte. Ursache ist schlichtweg der Inhalt des Buches, der grob in die Richtung von „Vaterland“ geht, nämlich den Sieg des Nationalsozialismus thematisiert. Allerdings auf einer anderen Ebene mit einem schwer abweichenden Blickwinkel. Während „Vaterland“ inhaltlich auf das Entdecken und Beweisen dt. Verbrechen abzielt (Euthanasie, Massenvernichtung der Juden usw.), um diplomatische Beziehungen zu verhindern zwischen „der freien Welt“ und dem Großdeutschen Reich, thematisiert SARBAN die neue Ordnung in Germanien.


Kurz zum Inhalt:

Im Jahre 1942 gerät ein englischer Soldat in deutsche Kriegsgefangenschaft und landet in einem Arbeitslager. Aus diesem gelingt ihm allerdings die Flucht. Aufgrund der Strapazen während des langen Weges bricht er zusammen und wacht in einem Waldstück wieder auf. Orientierungslos setzt er seinen Weg fort und landet irgendwann verletzt in einem Krankenhaus. Dieses vermeintliche Krankenhaus entpuppt sich schon bald als Privatanwesen des Reichsforstmeisters Graf Johann von Hackelnberg. Geschichtskenner wissen sehr wohl, dass im Jahre 1942 niemand geringeres als Hermann Göring diesen Posten innehatte. Daher auch die Verwunderung des englischen Soldaten. Nachdem er von einem jungen Leutnant für sein Nachfragen ausgelacht und auf Geschichtsbücher verwiesen wird, offenbart ihm der Arzt: „…so sollten Sie sich doch an die Tatsache gewöhnen, dass wir im einhundertundzweiten Jahr des Ersten Deutschen Jahrtausends leben, wie es unser Erster Führer und Unsterblicher Geist Deutschtums, Adolf Hitler, festgelegt hat…“ Nicht nur der Arzt und der junge Leutnant zweifeln am Verstand des Engländers, dieser zweifelt selbst an seiner Wahrnehmung. Mit dieser Aussage begeht Sarban einen anachronistischen Zeitsprung und wirft den Protagonisten aus dem logischen Raum–Zeit–Geflecht. Glücklicherweise stellt dem Soldaten niemand unbequeme Fragen, und aufgrund seiner englischen Abstammung genießt er Respekt und Freundlichkeit bei seinen deutschen Post-Nationalsozialisten. Beinahe unauffällig erscheinen die Bediensteten und Sklaven in dieser neuen Welt, bis er eines Tages Zeuge nächtlicher Exzesse wird – Sklavinnen und Sklaven müssen sich verkleiden und in die Rolle von Tieren schlüpfen. Graf von Hackelnberg gibt durch das Blasen in sein Horn die Jagd frei, und für die „Untermenschen“ beginnt ein Kampf um Leben und Tod, vogelfrei und dem Willen und Schießfähigkeiten der „Jäger“ ausgesetzt. Dieses Treiben wiederholt sich Tag für Tag. Als der englische Soldat versucht, einigen Sklaven zu helfen, wird er als Verräter und somit Freiwild eingestuft und findet sich selbst als Beutetier wieder…

Was nach dieser groben Zusammenfassung utopisch und vielleicht sogar komisch wirkt, entpuppt sich letztendlich als konsequentes Weiterdenken und Vervollkommnen der nationalsozialistischen Ideologie und Ästhetik auf literarischen Wege, verpackt zwischen Phantasie- und Science Fiction-Roman, Märchen und Alptraum. Im Gegensatz zu Zeigefingerschwingern und sonstigen auf Korrektheit achtenden Figuren verzichtet SARBAN auf jegliche moralische Instanz in dem Buch, Er lässt die Bilder sprechen, welche sich dem Leser unweigerlich auftun, wenn er als Zeuge dem Geschehen beitritt. Der Protagonist gerät in eine neue Welt, die zwar bereits in Hitlers „Mein Kampf“ und der Praxis der zwölf Jahre Nationalsozialismus absehbar ist, jedoch nie zu Ende gedachte wurde oder gedacht werden konnte, da das tausendjährige Reich bekanntlich nach zwölf Jahren endete und es nie zum Aufbau einer neuen Ordnung nach nationalsozialistischen Vorstellungen kam. SARBAN urteilt nicht über den Krieg, nicht über die Kriegsverbrechen, nicht über die Gräueltaten – sämtliche Fakten der zwölf Herrschaftsjahre sind irrelevant. Er reduziert alles auf einen Sieg der Deutschen und lässt den Leser in eine Welt eintauchen, deren Praxis seit über 100 Jahren absoluter Selbstverständlichkeit unterliegt. So auch die Dialoge, Unterhaltungen und allgemeinen Darstellungen in dem Buch, subtil, hintergründig. Die sportliche Jagd auf Menschen wird nicht als Irrwitz oder Verbrechen dargestellt, sondern als Normalität, Ästhetizismus und Alltagsbeschäftigung. Sämtliche moralische und instinktive Grenzen und Schranken scheinen außer Kraft gesetzt zu sein. Bestenfalls erinnert das Ganze an dekadente Ausuferungen im Einzelfall am Hofe dieses Reichsforstmeisters. Doch dem englischen Soldaten wie auch dem Leser wird klar, dass es sich hier um einen Auszug des gesamten Gefüges der nationalsozialistischen Ideologie/Praktik handelt. Und ist er zu Beginn noch reiner Zuschauer, ändert sich seine Perspektive im Verlauf der Erzählung hin zu jener der Opfer und Gejagten.

Ein Buch, das eine Alternativwelt ohne historische Reminiszenzen und moralischen Zeigefinger, aber voller aussagekräftiger Bilder und Einblicke darstellt. Ein Muss für Freunde bizarrer und außergewöhnlicher Literatur.




 
für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Festa-Verlag
» Sarban
» DieBizarreBibliothek


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