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Michael We.

Noise aus Afrika (Interview)

Neue Musik aus Angola, Südafrika, Tunesien und anderswo


Noise aus Afrika (Interview)
Kategorie: Spezial
Wörter: 1671
Erstellt: 19.02.2013
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Hallo CEDRIK! In Deinem Essay verweist Du auf erste Spuren von elektronischer experimenteller Musik aus Afrika in den 1940er-Jahren (1944, Kairo, HALIM EL-DABH: "Wire Recorder Piece" - siehe Clip). Dieses Stück wurde schon auf einigen Anthologien verewigt. Woran liegt es, dass wir nach rund 70 Jahren immer noch kaum etwas von 'Noise-Musik' aus Afrika kennen?


Hallo! Ich denke, dass es verschiedene Gründe gibt. Es gibt echt wenige experimentelle Musik in Afrika, und in Ägypten gab es 1944, ja, EL-DABH. Aber er ist schnell in die USA geflogen zum Studieren und lebt noch da. Er war zwar Lehrer in verschiedenen afrikanischen Ländern, aber da hat er nie elektronische Musik komponiert oder gespielt. Er hat nur ein Mal, 2005, experimentelle Musik in Südafrika gespielt.
Zwischen 1944 und den 2000er-Jahren gab es beinahe nichts, denke ich. Ich hab' schon viele Leute gefragt, und es scheint so, dass es wenig war... Aber die absolute Sicherheit habe ich natürlich nicht. Durch Krautrock, Disco, Cosmic Music oder Psychedelische Musik gab es vielleicht einige Komponisten wie RACHID BABA AHMED in Algerien (in den 70ern und 80ern), der überhaupt Raï gespielt hat, aber auch Krautrock mit Einflüssen der arabischen und elektronischen Musik. Es gab eine Funk- und Discoszene in Nigeria, und Psychedelische Musik in Zambia oder Tsonga Disco in Mosambik und viel mehr. Diese MusikerInnen benutzten oft Synthesizer, einige haben vielleicht mehr experimentiert.
FRANCIS BEBEY aus Kamerun hat in den 1970ern elektronischen Afropop aufgenommen. Außerdem gibt es natürlich Südafrika, dort war elektroakustische Musik schon in den 70ern präsent, wie durch ULRICH SÜSSE oder DIMITRI VOUDOURIS zum Beispiel. Und früher, im Jahr 1957, hat auch der niederländische Komponist HENK BADINGS eine experimentelle Komposition in Johannesburg aufgenommen und, in den 1960ern, dann auch KENHARDT im SENTRUM VIR EKSPERIMENTELE MUSIEK. Aber Südafrika ist sehr weit entfernt von allem anderen, und damals gab es auch die Apartheid.
Kommunikation mit Südafrika war nicht einfach; ich erinnere mich, dass in den 80ern und 90ern die einzige Methode, um eine Musikkassette aus diesem Land zu bestellen, war, verstecktes Geld in einem Briefumschlag zu schicken und dann auf die Lieferung zwei Monate lang zu warten. Viele Länder boykottierten Südafrika, es gab natürlich kein Internet, also war Kommunikation langsam und schwierig.
Es gab vielleicht ein bisschen experimentelle Musik in Nordafrika, aber ich hab' noch nichts gefunden, außer 1967 von einem Komposition namens BRION GYSIN (der nicht Afrikaner war) in Tanger und eben EL-DABH.
Was Kunst angeht, war Afrika aber sowieso immer unterschätzt, für viele gibt es dort nur traditionelle Musik und Hip Hop, Zouk usw. Viele denken auch, dass es zum Beispiel keine Moderne Kunst in Afrika gibt. Was siehst du in den Medien über Afrika? Krieg, Armut, Hungersnot... Und die Medien präsentieren Afrika oft wie ein einziges Land, so ist es natürlich nicht, wie auch Europa kein Land ist. Aber die Realität ist auch: Viele afrikanische Länder und Regionen sind instabil und arm. Auf jeden Fall werden einige Städten viel moderner (Luanda, Maputo, Gaborone, Nairobi...), es gibt eine Internet-Infrastruktur und mehr Leute studieren zum Beispiel in Europa. Ich bin mir sicher, dass die Situation dadurch anders werden wird.

Ist Noise-Musik vielleicht ein Phänomen westlicher Kulturen und wird deshalb experimentelle Musik aus nicht-westlichen Ländern ignoriert, bewusst oder unbewusst?

Ich würde nicht sagen, dass sie westlich ist, aber sie gehört zur Modernen Kultur. Was wir Experimentelle Musik nennen, ist immer an neue Technologien gekoppelt, selbst wenn inzwischen einige KomponistInnen ohne moderne Geräte spielen und komponieren. Von LUIGI und ANTONIO RUSSOLO zu ATAU TANAKA sind a priori die meisten Formen experimenteller Musik mit moderner Technologie und dem Stadtleben verbunden. (Ich sage echt die meisten, nicht alle!)
Genauer gesagt ist die letzte Welle an moderner Technologie eben im Westen entstanden (elektrische und elektronische Technologie, Großindustrie...), aber wir können sehen, dass es in anderen Ländern, die schnell moderner geworden sind, auch schon sehr früh experimentelle, elektroakustische Musik und Noise gab. Japan und Südkorea zum Beispiel sind nach dem Zweiten Weltkrieg schnell ultramodern geworden, und dort können wir experimentelle Musikkomponisten schon in den 50ern finden. In meinem Essay spreche ich über die Wiederaneignung der experimentellen und Noise-Musik in Asien und Afrika, wie man dort eine persönliche Version der modernen Musik machen kann.
Der Westen ignoriert oft andere moderne Kulturen, ich weiß nicht ob absichtlich oder nicht. Aber auch in den Westen hinein wurde viele traditionelle und 'moderne' traditionelle Musik importiert: Quechua-, Gamelan-, Pygmäen- oder Tuva-Musik zum Beispiel, oder 'World Musik' wie Raï oder diese schreckliche Mischung, die PETER GABRIEL und leider auch zu oft HECTOR ZAZOU brachte. (ZAZOU war ab und zu ein Musikgenie, siehe seine Zusammenarbeit mit CY1 und dem kongolesischen Sänger BONY BIKAYE).
Also für viele 'normale' Journalisten und das große Publikum machen die Leute in Südamerika, Afrika, Asien und Ozeanien 'World Musik' (oder Pop oder Rap). So ist es nicht! Leider ignoriert auch die akademische Szene, was in Asien oder Afrika und Südamerika passiert ist. In Büchern und im Konservatorium habe ich nie gelesen oder gehört, dass HALIM EL-DABH existiert oder SLAMET ABDUR SJUKUR (aus Indonesien), der schon 1963 Tape Music komponiert hatte, oder DARIUSH DOLAT-SHAHI (aus dem Iran) , der von 1966 an auch elektronische Musik aufgenommen hat. Was ist das Problem mit dem Westen? Ein Ego-Problem? Ich versuche es zu verstehen, aber hab' noch keine Antwort gefunden.
ALESSANDRO BOSETTI, der das Buch "African Feedback" schrieb, ging mit einigen CDs aus experimenteller und Avantgarde-Musik in Dörfer des 'primitiven' Westafrika. Die BewohnerInnen hatten diese Musik noch nie gehört und ich finde, dass die meisten Reaktionen, die er beschreibt, interessant und nicht negativ waren. Einige verstehen es nicht, andere akzeptieren es als Musik, einige erzählen eine ganze Geschichte, die ihnen dazu einfällt, aber nur wenige lehnen die Musik ab.
Im 'modernen' Belgien, habe ich in einer Mediathek gearbeitet, da spielten wir oft Free Jazz, Noise, Avantgarde... Und oft waren die Reaktionen der Kunden sehr schlecht, manchmal aggressiv. Diese Musik können viele nicht verstehen, oder manche sagten auch, dass es gar keine Musik sei. In diesem Sinne finde ich nicht, dass Noise-Musik westlich ist. Die ist ein Teil der modernen Kultur, ein Teil unserer globalisierten Welt, eine Ausdehnung der industriellen und post-industriellen Zivilisation und normalerweise antikonservativ (tatsächlich manchmal nicht mehr).

Würdest Du denn von einer 'Noise-Szene' in Afrika sprechen, also einer vernetzten Struktur, die sich über diesen riesigen Kontinent erstreckt?

Leider nein, und nein. Oder noch nicht. Es gibt einige vernetzte Strukturen für die Metal- und Punk-Szenen, zum Beispiel in Kenia, Uganda, Mosambik oder Botswana. Für Kwaito und vielleicht auch Shangaan Electro zum Beispiel in Südafrika oder Tansania. Natürlich ist auch Hip Hop echt verbreitet. Aber es gibt so wenig Noise-Musik oder experimentelle Musik in Afrika, dass es schwierig ist, ein Netzwerk zu bauen.
Es gibt einige Anknüpfungspunkte in Nordafrika, vielleicht weil dort diese 'arabische' Identität herrscht. Es gibt Musiker wie MAHMOUD REFAT (Ägypten), REHDA MOULA (alias NEPA IOS, Algerien), die innerhalb verschiedener arabischer Länder vernetzt sind. Es gibt auch ein Electronica-Netzwerk zwischen Tunesien, Ägypten und ein bisschen Algerien, und es gibt einige Brücken zwischen diesen Länder und Libanon, Türkei, Frankreich, Schweiz, Deutschland und Belgien.
Aber in Schwarzafrika existieren die Strukturen nicht, oder nur in Südafrika zwischen Städten wie Durban, Johannesburg und Kapstadt. Auf jeden Fall bin ich aber sicher, dass es bald so kommen wird. Ich habe schon einige Compilations produziert und die letzte, "30.2", präsentiert Electronica, Experimental und Noise aus Afrika. Jetzt hoffe ich, dass die verschiedenen Musiker dieser Compilation von anderen afrikanischen OrganisatorInnen und einem Publikum wahrgenommen werden und so ein Netzwerkprojekt möglich ist.
Ein großes Problem in Afrika sind die Kosten und die beschränkten Reisemöglichkeiten. Die Strukturen sind anders, die Kosten auch, und es gibt nur externe Kunstzentren und Institutionen oder Eigeninitiativen, die experimentelle oder andere alternative Musik produzieren. Die Staaten selbst tun nichts dafür, die Prioritäten sind leider anders.

Lassen sich Länder ausmachen, in denen sich zumindest in bestimmten Städten eine 'Szene' konzentriert?

Tunis, Kairo, Johannesburg, Kapstadt, vielleicht Durban, Casablanca, vielleicht Rabat? Ich denke nicht, dass es im Moment mehr gibt, in anderen Ländern gibt es nur ein paar wenige alternative, elektronische, experimentelle oder Noise-Künstler hier und da. Kairo ist sehr aktiv, und es gibt Konzerte und Workshops mehr als ein Mal pro Monat.

Kannst Du uns ein paar der wichtigen Künstler vorstellen?

Ich kann eine Liste anbieten, aber sie ist sehr persönlich, ich probiere, sie kurz zu halten, tut mir leid für viele andere gute MusikerInnen.
  • AHMED JANKA NABAY, der während des Kriegs in Sierra Leone eine Sorte elektronischer Bubu-Musik aufgenommen hat.
  • HALIM EL-DABH, natürlich.
  • MAHMOUD REFAT (100 COPIES), der Konzerte, Festivals, Workshops und Musik in Kairo macht.
  • REHDA MOULA (alias NEPA IOS), der schon lange Noise Musik in Algerien (und allgemein in Nordafrika) bewirbt und macht.
  • JAY SCOTT (SPHINX), der in den 80ern und 90ern Südafrikanische Ambient-Musik und Elektropop produziert hat.
  • ULRICH SÜSSE, Komponist, Lehrer und ein menschliches Lexikon der experimentellen Musikgeschichte in Südafrika.
  • JAMES WEBB und DIMITRI VOUDOURIS, die elektroakustische Musik komponieren und das Festival UNYAZI organisieren, das erste afrikanische Festival für experimentelle, improvisierte und elektronische Musik.
  • YARA MEKAWEI, eine audiovisuelle Komponistin aus Kairo.
  • JAAFAR MESTARI (HALF A MOMENT), einer der ersten Industrial-Musiker in Marokko.
  • OLA SAAD, eine andere Komponistin aus Kairo, die experimentelle Musik programmiert.
  • VICTOR GAMA, der erste experimentelle Komponist in Angola, der seine eigenen Instrumente baut (auf dem Album "Pangeia Instrumentos") und die internationalen ODANTALAN- und TSIKAYA- Projekte durchführt.
=> weiter

Interview mit MAHMOUD REFAT vor einem Festival-Auftritt (2009)



 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» SYRPHE (Label)
» CEDRIKs Datenbank (Afrika & Asien)
» SYRPHE @ Bandcamp


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Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln ausschließlich die Meinung des jeweiligen Verfassers bzw. Interviewpartners wieder. Nachdruck (auch auszugsweise) nur mit schriftlicher Genehmigung durch den Betreiber dieser Seite.
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