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Michael We.

P16.D4 - Box, Interview, Texte

Gespräch zur "Passagen"-Retrospektive und weitere Artikel


P16.D4 - Box, Interview, Texte
Kategorie: Spezial
Wörter: 873
Erstellt: 29.01.2013
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Der Autor WOLFGANG STERNECK, der sich mit diversen subkulturellen Themen befasst, verweist in seinem Buch "Der Kampf Um Die Träume - Musik Und Gesellschaft" auch auf P16.D4. (Das Buch kann hier erworben werden.) Im Abschnitt "Das Akustische Material - Die Sound Culture" geht es um ZOVIET FRANCE, MERZBOW, MAEROR TRI und eben P16.D4. Diesen Auszug dürfen wir mit freundlicher Genehmigung des Autors abdrucken. Er dient als kompakter Überblick über Arbeitsweise und Themen der Mainzer Gruppe.

P16.D4 UND DIE STRUKTUREN (WOLFGANG STERNECK)

Die Aufnahmen der 1980 erschienen EP "Alltag" der Mainzer Gruppe P.D. bestanden aus verfremdeten Geräuschen, die unter anderem in einer Bahnhofshalle aufgenommen wurden, und mit verzerrten elektronischen Grundrhythmen unterlegt wurden. Die Stücke erinnerten an eine surrealistische Sicht- und Hörweise, sowie teilweise an psychedelisch geprägte Wahrnehmungen. Unabhängig von derartigen Einschätzungen betonte ein Zitat auf dem Cover der EP den theoretischen Ausgangspunkt hinsichtlich der Notwendigkeit der Entwicklung einer neuen zeitgemäßen Musik: "Wenn überhaupt noch eine 'Musik', dann eine, die stärker mit den Verkehrs- und Kommunikationsmitteln, dem technischen Display des modernen Alltags interferiert, die enger mit den Tag-um-Tag-Rhythmen verzahnt ist als alle vorhergehenden Musiken." (8)

Im gleichen Jahr gründeten Mitglieder von P.D. das Kassettenlabel WAHRNEHMUNGEN, welches später zu SELEKTION umbenannt wurde und sich auf die Produktion von Schallplatten und CDs konzentrierte. Die Gruppe und das Label waren in ihrer Anfangszeit ein Teil der zu diesem Zeitpunkt äußerst vielfältigen Untergrundszene in der Bundesrepublik. Vielfach angeregt durch die ursprünglichen Grundaussagen der Punk-Bewegung entstanden gegen Ende der siebziger Jahre verschiedene Musikprojekte, die durch ein Netz kleiner Kassetten- und Plattenlabels strukturell miteinander verbunden waren. Viele Bands suchten nach neuen Wegen und wandten sich, oftmals von der Rockmusik ausgehend, experimentellen und avantgardistischen Ausdrucksformen zu. Nach einer äußerst kreativen Phase kam es jedoch 1982 zu einem entscheidenden Einschnitt. Teile der Szene wurden unter der Bezeichnung Neue Deutsche Welle (NDW) von der Musikindustrie kommerziell ausgeschlachtet, darunter bezeichnenderweise auch die VertreterInnen eines verkaufswirksam aktualisierten Schlagers.

P.D. beziehungsweise nach einer Namensänderung P16.D4 blieben von dieser Entwicklung weitgehend unberührt, da ihre musikalischen Ausdrucksformen zu radikal waren, um bei der Industrie auf Interesse zu stoßen. 1982 begann die Gruppe mit der Arbeit an "Distant Structures", einem international ausgerichteten Projekt, das auf der Idee des Materialaustausches basierte. Insgesamt fünfzehn Gruppen aus verschiedenen Staaten schickten Aufnahmen an P16.D4, die diese weiterverarbeiteten, miteinander verknüpften und letztlich in einer neugestalteten Form veröffentlichten. In ihrer Gesamtheit standen die Arbeiten von P16.D4 in der Tradition der forschenden Auseinandersetzung mit akustischen Materialien durch die Vertreter der Musique Concrète und der Elektronischen Musik in den späten vierziger und fünfziger Jahren. P16.D4 führten deren Versuche mit einem anderen inhaltlichen Hintergrund weiter, ohne sie wie andere vorgeblich experimentelle Gruppen mit verbesserten technischen Mitteln nur zu wiederholen.

1986 griffen P16.D4 in Zusammenarbeit mit dem Projekt SWIMMING BEHAVIOUR OF THE HUMAN INFANT (S.B.O.T.H.I.) das Prinzip des Materialaustausches erneut auf, allerdings in einer auf zwei Beteiligte reduzierten Form. Erneut wurden Töne bearbeitet, in neue Zusammenhänge gestellt und veränderten Bedeutungen zugeführt. Die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit wurden auf der Doppel-LP "Nichts Niemand Nirgends Nie!" veröffentlicht. In einem Beiheft dokumentierten P16.D4 ausführlich die einzelnen Schritte des Entstehungsprozesses: "1. Materialsammlung. 2. Materialübermittlung. 3. Auswahl. 4. Bearbeitung (Bildung von Mikrostrukturen). 5. Komposition (Bildung von Makrostrukturen)." Als Beispiele für den Vorgang der Bearbeitung wurden unter anderem angegeben: "Cut Ups, Richtungsänderung, Geschwindigkeitsänderung, Bandknittern, Harmonisierung, Over-dubbing..." (9) Die Arbeitsvorgänge unterteilten sich in Phasen, deren Ablauf vorher festgelegt wurde, in Phasen, bei denen mit dem Mittel des kontrollierten Zufalls gearbeitet wurde, sowie in Phasen, in denen frei improvisiert wurde.

Wesentlich für das Verständnis der dadurch entstandenen Kompositionen ist die grundsätzlich ablehnende Haltung von P16.D4 und S.B.O.T.H.I. gegenüber der populären Musik in all ihren Ausprägungen beziehungsweise der Bewusstseinsindustrie als strukturelle Basis von Manipulation und Ablenkung. "Pop im Warenhaus, im Kino, im TV, bei der Arbeit. Die Funktion: Werbung. Die Kriterien, mit denen die Qualität von Pop gemessen wird: Pseudokriterien einer Pseudoqualität: Werbung fürs System: Duldung der Verhältnisse." Die Musiker selbst beabsichtigten eine Musik zu schaffen, bei der eine distanzlose Identifikation beziehungsweise eine Flucht in eine Illusionswelt schon strukturell unmöglich ist. "Kein Rhythmus, auf den man tanz-vögeln-marschieren kann / keine Harmonien als Ausgleich für Emotionsdefizite / keine Texte zum Mitsingen und Selbstvergessen / keine Möglichkeit zu beschaulicher Meditation bei Kerzen und Wein." (10)

In einer Überschätzung der eigenen Musik ignorierten die Musiker allerdings die Möglichkeit, dass auch verhältnismäßig konventionelle musikalische Ausdrucksformen durch die Vermittlung entsprechender Inhalte oder Stimmungen in einem konsequenten Sinne genutzt werden können. Gleichzeitig kann auch eine vermeintliche Anti-Musik einen verschleiernden und keineswegs zwangsläufig aufbrechenden Charakter haben. Gerade im Bereich der experimentellen Musik sind zahlreiche Veröffentlichungen, die stilistisch mit dem herkömmlichen Musikverständnis brechen, unabhängig von der ursprünglichen Absicht der MusikerInnen mit einem illusionären Image verbunden. Die Wahrnehmung und die Wirkung einer Veröffentlichung kann nur bis zu einer bestimmten Grenze von den MusikerInnen beeinflußt werden, letztlich entscheidend für die Aufnahme von Musik ist in einem Prozeß vielschichtiger Wechselwirkungen das Bewusstsein der HörerInnen.

(8) Aus dem Covertext zur EP: P.D. / "Alltag". (Eigenproduktion). 1990.
(9) Aus dem Begleitheft zur DLP: S.B.O.T.H.I. & P16.D4 / "Nichts Niemand Nirgends Nie!" (Selektion). 1985
(10) Siehe (9).

=> weiter zum Artikel von DAN WARBURTON
=> Startseite



 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» "Passagen"-Seite mit Shop (66 Euro)
» WEHOWSKY-Diskografie
» SELEKTION (nicht mehr aktualisiert)
» SELEKTION-Diskografie
» weiteres Interview mit RALF (EST Magazine)


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