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Michael We.

Selbstmord auf den Orkney-Inseln

THE MAGNETIC NORTH und ihr außergewöhnliches Albumkonzept


Selbstmord auf den Orkney-Inseln
Kategorie: Spezial
Wörter: 1362
Erstellt: 30.08.2012
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Hallo ERLAND. Hallo SIMON. Hallo HANNAH! Was war denn zuerst da – der Wunsch, dieses Album zu machen, oder die Band?

ERLAND: Zuerst war die Idee für dieses Album da, aber sie führte ganz schnell dazu, dass auch die Idee zur Gründung einer neuen Band aufkam. Das Konzept und die Namen für die einzelnen Tracks waren die anfängliche Inspiration, und alles andere ergab sich daraus.

THE MAGNETIC NORTH ist der Name eines Orkney-Reiseführers aus dem Jahr 1932. War das Pflichtlektüre vor Eurer Abreise?

ERLAND: Ja. Wir haben Texte und Bilder aus dem Buch verwendet und sogar einige der Reisen des Autors nachvollzogen, aber natürlich auch eigene Trips gemacht. Alle Bandmitglieder haben eine Ausgabe, aber mir ist schon vor ein paar Jahren ein Exemplar ins Haus geflattert. Ein Freund von mir hatte es in so einem alten Caritas-Laden entdeckt und mir geschickt. Im Gegenzug bekam er jetzt von mir die fertige Musik zurück. Ich denke, es hat ihm gefallen, dass er seinen Teil dazu beigetragen hat, das Album ins Leben zu rufen.

Musik über einen bestimmten Landstrich, eine bestimmte Region gibt es ja häufiger. Wie kam es dazu, dass Ihr Euch von einem Selbstmord auf Orkney habt inspirieren lassen?

ERLAND: Ich habe verschiedene Volksmärchen rund um BETTY CORRIGALL gehört, während ich auf Orkney groß geworden bin. Sie schlummerten wahrscheinlich irgendwo in meinem Unterbewusstsein. 2011 fing BETTY an, in meinen Träumen aufzutauchen. Sie besuchte mich drei Mal. Beim ersten Mal nannte sie mir die Songtitel und bat mich, ein Album über die Orkney-Inseln zu machen. Beim zweiten Mal verwandelte sie sich in HANNAH PEEL. Beim dritten Mal erklärte sie mir, ich müsse mich beeilen und endlich fertig werden.

Sind vor Ort noch Spuren von BETTY CORRIGALL zu finden?

ERLAND: Ja! Sie ist draußen in der Heidelandschaft der Insel Hoy begraben, gut gekennzeichnet durch einen weißen Grabstein. Er besteht aus Fiberglas und versinkt deshalb nicht in der torfigen Erde. Wie schon gesagt, konnte sie nicht in gesegneter Erde begraben werden, weil sie Selbstmord begangen hatte. Weil sich die moorige Landschaft bewegt, in der sie vergraben ist, hat sich ihr Körper über die Jahre vermutlich um circa sechs Meter bewegt und liegt nicht mehr direkt unter dem Grabstein. Die CORRIGALLS sind eine alteingesessene Familie auf den Inseln, aber ich glaube, die letzten Familienmitglieder zogen im 20sten Jahrhundert weg ...

Wie sehr hat BETTY Eure Musik beeinflusst? Gab es nach und nach vielleicht noch andere Umstände, die in Euer Album mit eingeflossen sind, oder ging es ausschließlich um die Geschichte dieses Selbstmordes?

ERLAND: BETTY war der Katalysator, und ihre Story ist eine der Erzählungen innerhalb des Albums. Aber es geht natürlich auch um die Geografie und Mythologie der Inseln selbst. Diese außerirdische Landschaft und das kontrastreiche Wetter spielten eine große Rolle dabei, Klang und Dynamik der Aufnahmen zu formen.


THE MAGNETIC NORTH: Yesnabi

Zumindest einer von Euch – ERLAND – ist auf den Orkneys groß geworden. Mit 18 hat er die Inseln verlassen. Warum? Für viele Menschen wäre es doch heute ein Traum, so zu leben ...

SIMON: Ich glaube, dass die meisten jungen Menschen instinktiv den Ort verlassen wollen, an dem sie groß geworden sind, und viele kehren nie zurück. Aber wenn Du an einem Ort wie Orkney geboren wurdest, dann weißt Du ihn sicher noch mehr zu schätzen, wenn Du eine Weile weg warst. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass ERLAND wieder dort hin zieht, wenn er ein alter Mann ist, in einer Hütte am Strand lebt, sich von Larven ernährt und Kaninchen jagt!

Könnt Ihr beschreiben, wie es sich angefühlt hat, dort anzukommen? Was waren Eure ersten Eindrücke?

SIMON: HANNAH und ich waren noch nie auf den Inseln, und wir haben uns sofort verliebt in die Landschaft und das Licht. Wenn Du mit dem Flugzeug oder dem Boot ankommst, fühlst Du Dich, als ob Du am Rand der Welt bist. Das ist magisch und hat eine sehr große Anziehungskraft auf einen Künstler. Du spürst, dass Du einer Parallelwelt aus Legenden und Mythen sehr nahe bist, knapp außer Reichweite. Ich war auch noch nie auf Island, aber ich stelle mir die Atmosphäre dort sehr ähnlich vor.

Wie lange wart Ihr für die Aufnahmen dort, und wo habt Ihr gewohnt?

HANNAH: Wir haben in ERLANDs Elternhaus auf Stromness gewohnt. Seine Eltern waren weg, also haben wir das Haus in ein behelfsmäßiges Studio umgebaut. Durch die Fenster konnten wir das Meer sehen, wie es in den Hafen peitscht, und die Fischerboote, die der Wind durcheinander wirbelt.

Wie habt Ihr die Inseln in Eure Aufnahmen mit einbezogen? Wart Ihr nur im Studio, oder auch an speziellen Orten, um Musik zu machen?

HANNAH: Wir wollten sowieso einen Chor auf dem Album haben, und wir hatten von einem kleinen Gemeindechor auf Hoy gehört, von dem wir dachten, er könnte vielleicht Spaß daran haben, uns zu helfen. Wir sind früh am Morgen mit dem Boot von Stromness nach Hoy aufgebrochen und bauten unsere Ausrüstung in einer kleinen Kirche unterhalb von Ward Hill auf, dem größten Berg auf Orkney. Wir bestachen die Chormitglieder mit Wein und haben sie dazu gebracht, bei unseren Aufnahmen mitzumachen. Es war uns sehr wichtig, die Einwohner auch körperlich auf unserem Album zu haben, und die Musik haben wir eh dort aufgenommen – ich glaube, man spürt das beim Hören!

Wie sind Euch die Einwohner begegnet – habt Ihr sie vorher informiert, was Ihr vorhabt?

ERLAND: Meine Eltern leben ja immer noch dort. Wenn wir was brauchten oder einen Kontakt herstellen mussten, hat es genügt, ein bisschen rumzutelefonieren. Jeder kennt dort jeden, also war es sehr einfach, die Leute kennenzulernen, von denen wir was wollten. Und das war immer verbunden mit viel Enthusiasmus. Wir haben dem Chor zum Beispiel vorher die Musik geschickt, damit er proben konnte. Die waren sehr positiv eingestellt und waren sofort in unsere Idee verliebt. Am Anfang waren sie vielleicht ein bisschen unsicher, aber als sie erst mal die Musik gehört und die Texte gelesen hatten, haben sie auch verstanden, dass es uns sehr ernst war damit, etwas Respektvolles und Umsichtiges zu machen.

Nachdem Ihr dort selbst eine Weile gelebt habt: Was würdet Ihr als charakteristisch für das Leben auf Orkney bezeichnen?

SIMON: Du bist sehr häufig der Gnade des Wetters ausgeliefert. Heute kannst Du im Meer schwimmen gehen, morgen traust Du Dich nicht vor die Tür, weil Dich der Wind sonst in die Nordsee bläst. Die Landschaft ist auch sehr eindrucksvoll. Wenn Du dort lebst, prägt dich diese Landschaft; Du wirst ein Teil von ihr.

"Orkney: Symphony Of The Magnetic North" ist ein einmaliges Projekt und so nicht zu wiederholen. Was geschieht mit THE MAGNETIC NORTH nun als Band?

HANNAH: Wir haben schon ein paar Ideen für ein weiteres Album, aber momentan haben wir noch Spaß an der Tour zum aktuellen. Liebend gerne würden wir einen Filmsoundtrack machen, wenn uns der richtige Film begegnet.

Bleibt Ihr den Inseln verbunden, also spielt Ihr zum Beispiel auf dem dortigen jährlichen Folkfestival?

ERLAND: Die Orkadier haben uns herzlich aufgenommen und waren überhaupt sehr enthusiastisch. So schien es uns nur passend, unser erstes Konzert als THE MAGNETIC NORTH auf Orkney zu spielen. Also sind wir erst abgereist nach einer Liveshow in der St.-Magnus-Kathedrale auf Kirkwall, mit Fotos, die wir selbst aufgenommen hatten, örtlichen Streichern und Blechbläsern und einem 30 Mann starken Amateurchor! Wir haben alle zusammengearbeitet, und es hat prima geklappt. Wir wussten, dass dies ein besonderer Moment war. Wir haben davon Filmaufnahmen gemacht, die gerade fertiggestellt werden. Ich würde mir wünschen, dass Menschen, die unser Album hören, inspiriert werden und nach Schottland reisen, um die Inseln selbst zu entdecken. Generell glaube ich, dass wir ein Album für unterwegs produziert haben, egal ob auf den Orkney-Inseln oder eingequetscht in die Londoner U-Bahn ...

ERLAND, SIMON, HANNAH, vielen Dank für Eure Eindrücke!

Ausschnitt aus den Vorbereitungen für das Konzert in der Kathedrale...



 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Bandseite
» TMN @ Facebook
» TMN @ Twitter
» Orkney @ Wiki
» offizielle Orkney-Webseite

Themenbezogene Newsmeldungen:
» THE MAGNETIC NORTH präsentieren Orkney-Film

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