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Michael We.

ART ABSCONs - Der verborgene Neofolker

Ein Interview mit dem Mann hinter der Maske


ART ABSCONs - Der verborgene Neofolker
Kategorie: Spezial
Wörter: 1997
Erstellt: 06.08.2011
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Wie soll ich Dich denn ansprechen? Du oder Sie? ART oder Mr. ABSCONs? Oder ganz anders? Und was bedeutet der Projektname?

Du und ART sind vollkommen in Ordnung, soweit lediglich der Erfüllungsgehilfe von ABSCON angesprochen wird – also meine Wenigkeit. Der Name ABSCON hat eine sehr vielschichtige Bedeutung, welche die Eigenart hat, ständig zu wachsen. Ich darf im Moment allerdings nur drei Dinge über diesen Namen verraten. Erstens: Er bezieht sich auf eine nordfranzösische Kleinstadt namens Abscon, die unter römischer Belagerung 'Abscondinium' hieß. Zweitens: Er bezieht sich auf das lateinische Wort 'absconditus', welches 'verborgen' oder 'geheim' bedeutet, sowie auf das französische Wort 'abscons', welches so viel wie 'nicht zu verstehen' bedeutet. Drittens: Er bezieht sich auf THOMAS VON AQUINs Lehre vom 'Deus Absconditus', dem verborgenen Gott.

ART, wenn ich die Philosophie Deines Projektes richtig verstehe, dann siehst Du Dich nur als eine Art Medium, welches von der Figur des 'Grandmaster ABSCON' inspiriert und befüllt wird. Wer ist dieser Grandmaster ABSCON, und handelt es sich um eine reale Person oder ist das vielmehr Dein lyrisches Ich? Oder umgekehrt – bist Du das lyrische Ich vom Grandmaster?

Inspirierte Kunst folgt immer genau diesem Prinzip. Allein der Begriff 'Inspiration' deutet bereits darauf hin, dass dem Künstler etwas 'eingehaucht' wird. Ein wahrer Künstler ist niemals für den Ursprung seiner Ideen verantwortlich. Die landläufige Vorstellung, dass Künstler so etwas wie 'Phantasie' besäßen oder gar 'sich selbst verwirklichen' möchten, ist ein grober Irrtum, der mich gewöhnlich sehr peinlich berührt und oft sogar verärgert. Ein Künstler ist lediglich jemand, der von Ideen heimgesucht wird, die von außerhalb auf ihn einströmen. Sie bitten ihn darum, ihnen eine greifbare Form zu verleihen. Sobald er sich auf diese Bitte einlässt, wird ihm eine große Verantwortung aufgebürdet, denn nun liegt es an ihm, der Idee mittels all seines Könnens (und der etymologische Ursprung von 'Kunst' liegt im 'Können') eine Gestalt zu verschaffen, die ihrem übernatürlichen Wesen würdig ist. Genau genommen ist der Künstler also bloß ein Handwerker, der einen Auftrag aus dem Jenseits erhält.

Wer oder was ABSCON genau ist, weiß ich nicht. Alles, was ich weiß ist, dass er sich meiner scheinbar nach Belieben bedient. Er spielt mir seine Musik in Träumen vor, er diktiert mir seine Poesie in plötzlichen Epiphanien, er lässt mich Dinge finden und entdecken, die seinen Zwecken dienen, er fährt in meinen Körper, wenn ich seine Maske trage. Nach unseren Konzerten beispielsweise kann ich mich manchmal nur schwer daran erinnern, was eigentlich auf der Bühne passiert ist, und einige Konzertbesucher haben mir hinterher erzählt, dass sie in manchen Momenten den Eindruck gehabt hätten, die Maske sei lebendig gewesen – was sie erschreckt aber sehr fasziniert habe. 

Viel spannender noch die Frage: Wer bist DU? Wie alt bist Du? Und warum verbirgst Du Dich hinter einer Maske? Hat diese Maske – wie zum Beispiel die Masken der Perchten – eine bestimmte, historische Bedeutung?

Ich glaube nicht, dass die ANTWORT auf diese Frage besonders spannend ist. Der Mensch hinter dieser Maske ist niemand besonderes. Er ist weder besonders hübsch, noch besonders hässlich, weder besonders gebildet noch besonders ungebildet, usw. Er ist Mitte Dreißig und hat ansonsten eigentlich keine interessanten Eigenschaften. Die Maske weist darauf hin, dass ihm als Person kein Verdienst an dem Werk ART ABSCONs zusteht. Jeder Popanz könnte ART ABSCON sein, wenn ABSCON ihn nur für sich auserwählen würde. Das ist das Einzige, worauf ich stolz sein kann: dass ich die Ehre habe, seine Ideen verwirklichen zu dürfen. Darüber hinaus hat die Maske keine weitere Bedeutung. Sie dient lediglich dazu, mich selbst als Person aus dem Kunstwerk ART ABSCON hinweg zu streichen. Die meisten Leute in meinem privaten Umfeld wissen überhaupt nicht, dass ich Musik mache. Es ist nicht wichtig, wer ich bin. Wichtig ist nur, was durch mich vermittelt wird.

Aber die Singstimme bist schon Du, oder? Hast Du eine musikalische Ausbildung? Der Vortrag klingt sehr professionell …

Ja, irgendwie ist es meine Stimme, irgendwie aber auch nicht. Es ist seltsam, aber Leute, die mich und meine 'Alltagsstimme' gut kennen, erkennen sie nicht wieder, wenn sie ART ABSCON sprechen oder singen hören. Ich selbst habe keine wirkliche musikalische Ausbildung und bin lediglich ein sehr fauler Autodidakt. Wenn mir ein Instrument vorgesetzt wird, tue ich einfach, was ich tue. Ich spiele zwar mitunter viele Instrumente, aber keins von ihnen besonders gut.

Gibt es außer Dir (und dem Grandmaster) noch andere Mitglieder von ART ABSCONs?

Bis auf meine Zusammenarbeit mit verschiedenen Künstlern wie GNOMONCLAST habe ich alle Instrumente auf den Alben von ART ABSCONs selbst gespielt; lediglich für Konzerte werde ich unterstützt von einer Freundin an Keyboards und Melodica und einem Freund an der elektrischen Gitarre.

Du spielst wie gesagt alle Instrumente auf den Alben selbst, bist auch bei NORMA LOY schon als Gitarrist aufgetaucht, wie ich im Internet auf einer NORMA LOY-Seite entdeckt habe. Kannst Du uns Deine musikalische Karriere kurz skizzieren?

NORMA LOY? Seltsam! Ich bin ein großer NORMA LOY-Fan und habe sie sogar mal getroffen, glaube aber nicht, dass ART ABSCON bei NORMA LOY Gitarre gespielt hat!! Das müsste ich doch eigentlich wissen! Wie kommst du bloß auf die Idee?
Auch sonst habe ich vor ART ABSCONs musikalisch nichts Besonderes hervorgebracht.

Bist Du ein netter Mensch? Deine Maske sieht zwar gruselig aus, aber zum Beispiel hast Du auf dem DISCOGS-Foto ein Akkordeon in der Hand und Kinder neben Dir. Das wirkt trotz allem freundlich. Mit welcher Einstellung gehst Du durchs Leben?

Hahaha! Natürlich bin ich nett! Das hoffe ich jedenfalls. Mit ABSCON sieht es allerdings etwas anders aus. Er hat mir einmal die folgende Formel als Urgrund all seines Schaffens offenbart: Gut + Böse = Schönheit. Ob ich diese Gleichung jemals ganz verstehen werde, kann ich nicht sagen, aber was ich mit Sicherheit behaupten kann, ist, dass ABSCON genauso freundlich ist wie beispielsweise das Universum oder die Natur ...

Die Maske (mehr) und Deine Musik (weniger) erinnern an DEATH IN JUNE. Was verbindet Euch – wenn überhaupt?

Ich kann kaum verhehlen, dass ich DEATH IN JUNE schon mit 16 oder 17 gehört habe, also bereits Anfang der 90er. Natürlich prägt so etwas ungemein. Allerdings – und auch wenn es scheinbar sehr nahe liegt – denke ich nicht, dass DEATH IN JUNE dafür verantwortlich sind, dass ich bei ART ABSCONs eine Maske trage. Ich glaube, wenn man mich wirklich zwingen würde, zu verraten, wer mich dazu inspiriert hat, für dieses Projekt eine Maske zu benutzen, würde ich weniger DIJ als vielmehr die RESIDENTS nennen. Im Großen und Ganzen war es aber, glaube ich, eher eine interessante Fügung des Schicksals als bloßes Epigonentum, was mich dazu bewogen hat, eine Maske zu benutzen. Jedenfalls hoffe ich das.

Zum ersten Mal getragen habe ich die Maske am Ersten Mai vor drei Jahren. Ich habe sie am Rheinufer gefunden, wo ich mit einer Freundin ein Picknick gemacht habe. Ich hatte damals mein Akkordeon dabei und fand es lustig, die Maske anzuziehen und Akkordeon spielend über die Rheinauen zu hüpfen. Dieses Schauspiel lockte vier Kinder an, die zufällig in der Nähe spielten. Ich bin sehr froh, dass meine Freundin eine Kamera dabei hatte und diesen Moment festgehalten hat. Das war die perfekte Magie zum Ersten Mai und das erste Mal, dass ich erlebt habe, was es bedeutet, ABSCON zu sein. 

Würdest Du Dich als Neofolker bezeichnen? Was macht Neofolk – nach Meinung vieler ein dahinscheidendes Genre – heutzutage aus?

Natürlich habe ich neben vielen sehr unterschiedlichen Sachen auch eine Menge Neofolk-Platten im Schrank und habe besonders DEATH IN JUNE, CURRENT 93 und SOL INVICTUS sehr früh und mit großem Interesse verfolgt, zu einer Zeit, als kaum jemand diese Bands kannte. Es hat mich sehr überrascht, als es vor ein paar Jahren plötzlich dieses große zeitverschobene Interesse an diesem Phänomen gab – fast 20 Jahre (!) nach Alben wie "But, What Ends When The Symbols Shatter?", "Thunder Perfect Mind" und "Against The Modern World"! Der Umstand erschien mir allerdings als ein sehr glücklicher. Ich hatte besonders die 90er Jahre und die ersten Jahre des neuen Jahrtausends als musikalisches Brachland empfunden, was natürlich seinen Ursprung in einer generellen kulturellen Stagnation hatte. Besonders die Jahrtausendwende hatte uns alle mit großen Erwartungen erfüllt, sei es, dass wir darauf hofften, dass plötzlich ein fundamentaler geistiger Paradigmenwechsel eintreten würde oder dass wir mit Spannung den Weltuntergang erwarteten – nichts von alledem trat ein; alles schien beim Alten zu bleiben, nichts schien sich zu verändern, weder in politischer noch in kultureller oder spiritueller Hinsicht. Unsere gesamte westliche Kultur schien ans Ende ihrer Sackgasse geraten zu sein. Doch trotz der totalen Stagnation sowie der allgemeinen Ratlosigkeit und geistigen Desorientierung gibt sich unser Zeitalter einen progressiven Anstrich und behauptet, dass unsere Zivilisation besonders weit entwickelt sei, dass unsere Wertvorstellungen edel und richtig seien, obwohl ein ehrlicher Blick auf den heutigen Stand der Dinge viel eher offenbart, dass unsere Zivilisation nie in einem armseligeren Zustand gewesen ist, als sie es jetzt ist.

Das Neofolk-Phänomen zeichnet sich dadurch aus, dass es sich diesen Zustand der Stagnation und der eklatanten Unehrlichkeit unseres Zeitalters besonders bewusst macht und ihn teils mit drastischen und schockierenden Mitteln entlarven möchte, teils einen geistigen Wandel durch Rückbesinnung auf unsere kulturellen Wurzeln bewirken möchte. Das ist ein sehr guter und wichtiger Ansatz. Das derzeitige Problem des Neofolks ist allerdings, dass dieser Ansatz in vielen Fällen zur bloßen Pose verkommt. Durch den 'Boom' gibt es einen riesengroßen Nachwuchs. Mehr Quantität bedeutet allerdings auch immer weniger Qualität. Was derzeit in dieser Szene passiert, ist bloß ein ständiges pathetisches Wiederkäuen einiger weniger Formeln, Floskeln und Gesten – und dies (natürlich bis auf einige sehr glorreiche Ausnahmen) von einem sehr großen Haufen untalentierter und uninspirierter Stümper. Es ist leicht abzusehen, dass das Interesse an dem, was den Neofolk bisher ausgemacht hat, recht bald verebben wird. Dies bedeutet allerdings nicht, dass es nicht weitergeht. Es liegt an der kleinen Handvoll berufener Künstler, den Weg aus diesem künstlerischen Morast heraus zu weisen. Es geht weiter. Aber es wird anders. Und wenn es hinterher nicht mehr 'Neofolk' heißt, wen kümmert's? Mich jedenfalls nicht.

Du scheinst teilweise mit Neofolk-Sujets zu spielen. Zum Beispiel heißt auf "Der Verborgene Gott" eines Deiner Lieder "Rune". Es entpuppt sich allerdings – in meinen Ohren – als Liebeslied, das mit Runen überhaupt gar nichts zu tun hat. Ist das Ironie, Deine spezielle Art, mit Neofolk-Klischees umzugehen?

Eine Eigenart des bisherigen Schaffens von ART ABSCONs ist, dass ABSCON mir neben seinen mystischen Diktaten noch den Freiraum gelassen hat, dem Ganzen eine persönliche Note zu verleihen oder neben den allgemeingültigen, ewigen und zeitlosen Aussagen, die er trifft, auch hin und wieder das Zeitgeschehen oder meine persönlichen Empfindungen zu reflektieren. Meine Art, mit solchen Reflektionen umzugehen, erlaubt es allerdings niemals, sie eindeutig festzunageln. Wenn du es 'Ironie' nennst, triffst du in der Tat den Nagel auf den Kopf. Allerdings berufe ich mich hier strikt auf FRIEDERICH SCHLEGELs Begriff von Ironie. Demnach ist alles, was ich sage, gleichzeitig tiefer Ernst und reiner Schalk. Alles ist in der Schwebe und dreht sich wie ein Perpetuum Mobile. Natürlich halte ich damit der 'Szene' selbst auch von Zeit zu Zeit einen Spiegel vor. Wenn ich zum Beispiel eingangs nicht schon erwähnt hätte, dass ich die Maske zufällig gefunden habe, könnte ich jetzt behaupten, diese billige Gummimaske wäre nichts weiter als ein lächerliches Abziehbild von DEATH IN JUNE und lediglich dazu angedacht, den hölzernen Ernst mancher Neofolker aufs Korn zu nehmen. Dies wäre aber nur eine winzige Facette der Wahrheit; gleichzeitig bin ich nämlich selbst ein sehr ernsthafter und ehrfürchtiger Mensch.

Ich glaube, besonders die Deutschen haben vollkommen verlernt, zu akzeptieren, dass Kunst im selben Moment todernst UND humorvoll sein kann – und es sogar sein muss. Das finde ich sehr bedauernswert, denn besonders die deutsche Romantik zeigt uns, dass wir auf diesem Gebiet einmal führend waren.

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Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» ART ABSCONs @ facebook
» ART ABSCONs @ myspace
» GNOMONCLAST @ facebook
» LUFTWAFFE @ facebook

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