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Michael We.

JOHN CAGE: ASLSP (SABINE LIEBNER)

Wie langsam ist langsam?


JOHN CAGE: ASLSP (SABINE LIEBNER)
Kategorie: Spezial
Wörter: 899
Erstellt: 10.05.2011
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Hallo Frau LIEBNER! Wie bemessen Sie persönlich Langsamkeit? Was ist für Sie 'langsame Musik'? Es kann dabei doch eigentlich nur um ein subjektives Gefühl gehen, oder?

Langsamkeit ist selbstverständlich nur subjektiv wahrnehmbar. Langsame Musik erfordert für die gleiche Anzahl an Ton-Ereignissen mehr Zeit, ist für mich verbunden mit genauerer Wahrnehmung und geschärfter Aufmerksamkeit.

Haben Sie Sich entsprechend eingehört? Also zum Beispiel in Musik von anderen Künstlern, denen der Ruf des Langsamen anhaftet? (Da fällt mir sofort der Zeitlupen-Jazz von BOHREN & DER CLUB OF GORE ein …)

Nein, ich versuche, meine eigenen Wege zu finden, da wohl jeder Mensch Langsamkeit anders empfindet.

Wie sind Sie an die Interpretation von "ASLSP" herangegangen? Da die Notation außer den relativen Längen der Noten nichts vorgibt, mussten Sie da selbst noch einmal mit Notenpapier kompositorisch tätig werden? Struktur, Dynamik hineinbringen? Oder haben Sie im Studio einfach improvisiert?

Zuerst versuche ich, eine Zuordnung von Raum und Zeit zu finden, da die Zeitproportionen dem Notentext entsprechen sollen. Dynamik und damit auch die Obertonklänge gestalte ich. Ich habe nicht im Studio improvisiert, sondern mir bei der Einstudierung viel Zeit zum Probieren verschiedenster Möglichkeiten genommen. Dabei kristallisiert sich dann meine eigene Haltung zu den Stücken heraus, eine Mischung aus Analyse, meiner Erfahrung mit Zeitproportionen und Musik von CAGE, meinem Klangsinn und meiner Intuition. Nachdem aber jeder Raum und jedes Instrument anders klingt, möchte ich die Musik sehr gut kennen und zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung haben, um dann auch dem spontanen Reagieren Platz einräumen zu können. Ein wichtiger Punkt ist für mich dabei immer das Empfinden eines Spannungsbogens.

Warum haben Sie Sich für die Wiederholung von Stück Nummer 7 (an Position 2) entschieden?

Dies ist spontan entschieden. Oft habe ich solche Entscheidungen auch mit Hilfe von Zufallsoperationen getroffen.

Zwei Jahre nach der Fassung für Klavier (1985) erschien die Orgelversion von "ASLSP". Die Orgel kann einen Ton viel länger halten als das Klavier, also – absolut gesehen – viel langsamer spielen. Warum ist das Klavier trotzdem ein gutes, das richtige Instrument für "ASLSP"?

Die Klavierfassung unterscheidet sich ganz grundsätzlich von der Orgelfassung durch die Erzeugung des Tones. Die Orgel kann einen Ton in gleicher Lautstärke beliebig lange halten, am Klavier verklingt der Ton, somit bin ich in der Klavierfassung mit dem Thema der Endlichkeit konfrontiert, kann den Vorgang des Verklingens miteinbeziehen, mit diversen Obertonspektren arbeiten und dadurch auch dynamisch und mit Klangfarben ganz anders gestalten.

CAGE hat ja Stücke geschrieben, für die ein Flügel bearbeitet werden musste; Schrauben und Plastikstückchen an bestimmten Stellen zwischen den Saiten zum Beispiel. Haben Sie mit ihrem Flügel irgendwas angestellt? Auf was für einem Flügel haben Sie gespielt, welchen Klang musste er haben?

"ASLSP" ist ein Stück ohne Präparation, ich habe auf dem STEINWAY-Flügel des SR gespielt

CAGE war ein erklärter Gegner von Musikaufnahmen, hatte selbst keine Stereoanlage. Widerspricht damit nicht jede Aufnahme, insbesondere eines so flexibel interpretierbaren Stückes wie "ASLSP", dem Willen des Komponisten?

Es existieren Aufnahmen von CAGE selbst, zum Beispiel sein "Diary", eine Aufzeichnung einer Lesung in Italien, so sehe ich keinen Widerspruch. Auch haben zu seinen Lebzeiten mit ihm befreundete Musiker seine Werke aufgenommen, damit war er ganz offensichtlich einverstanden, da die Aufnahmen oft in Zusammenarbeit mit ihm selbst entstanden sind. Bei flexibel interpretierbaren Stücken existiert auf CD dann eben eine der möglichen Fassungen, ebenso entsteht ja auch im Konzert nur eine einzige mögliche Fassung.

Die vermutlich für alle Zeiten langsamste Aufführung läuft derzeit in Halberstadt. Eine eigens dafür gebaute Orgel wechselt ungefähr einmal pro Jahr den Klang (siehe Video unten!), somit ist das gesamte Werk auf 639 Jahre ausgelegt. Hat das für Sie noch mit Musik zu tun? Ist es Kunst, oder gar Philosophie?

Mit Sicherheit ist es ein Experiment, ob musikalisch, philosophisch oder dies zusammen kann nur jeder für sich entscheiden. Ich würde es frei von Zuordnung und Bewertung für sich stehen lassen.

Waren Sie schon mal dort und haben der Orgel – die ihren Ton ununterbrochen hält – zugehört? Wie ging es Ihnen dabei?

Ich war bisher nicht in Halberstadt.

Sie haben auch andere Werke von CAGE eingespielt, sich mit ihm beschäftigt. Können Sie Sich vorstellen, dass er sich mit "ASLSP", mit dieser unmöglichen Regieanweisung, einfach einen großen Spaß gemacht hat? Er hat "ASLSP" ja auch nicht händisch komponiert, sondern die Noten sind Zufallsergebnis eines Computerprogramms. War er ein Schelm, der vielleicht einfach mal schauen wollte, was die Welt mit ein paar Zufallstönen anfängt?

Das kann ich mir nicht vorstellen. Er hat wie in den anderen späten Werken auch in "ASLSP" Zufallsoperationen verwendet, um die Töne von seinen Vorlieben zu befreien, um Hierarchien auch in der Musik zu beseitigen, den Gegensatz zwischen Kunst und Natur aufzuheben. Die Musik wird damit ebenso unvorhersehbar, wie es das Leben auch ist.
Wenn ich CAGEs Interviews und Statements lese, vermittelt sich mir der Eindruck eines humorvollen, heiteren, großzügigen und experimentierfreudigen, aber sehr ernsthaften Menschen. CHRISTIAN WOLFF, der ihn ja sehr gut kannte, beschrieb ihn mir bei meinem Treffen mit ihm in New York auch ähnlich. Als Schelm erscheint er mir ganz und gar nicht.

Frau LIEBNER, vielen Dank. (Die aktuelle Aufnahme von "ASLSP" gibt es im NEOS-Shop für 18 Euro zu erwerben.)




 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» NEOS (das Label von SABINE LIEBNER)
» ASLSP @ Wiki
» Halberstadt-Projekt in der ZEIT

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