Halleluja! Kirchenlieder im Pop-Kontext?

Hallo MICHAELA. Du hast nach Veröffentlichung Deines Albums immer wieder erklärt, dass Du der katholischen Kirche sehr kritisch gegenüber stehst, zeitweise aus der Kirche ausgetreten warst. Ist es vor diesem Hintergrund nicht eine seltsame Art der Auseinandersetzung, Lieder aus dem Katholischen Gesangbuch originalgetreu zu vertonen?

Ja, das ist schon widersprüchlich. Was soll ich sagen. Das Katholische Gesangbuch ist natürlich mit der Institution verbunden, denn alle Lieder, die darin stehen, sind durch einen Redaktionsprozess gegangen, bei dem übrigens auch die theologische Haltung und Biografie des Dichters eine Rolle spielt. Aber die Lieder gehen meiner Meinung nach nicht komplett in diesem Kontext auf. Sie sind für mich erst einmal schöne Musik. Dann sind sie Dokumente einer weit zurückliegenden Zeit, in der es die Idee des Atheismus noch nicht gab.

Birgt das Projekt vielleicht auch ein wenig Spott, Ironie? Worin besteht die? Spätestens, wenn DIRK VON LOTZOW "Hallelujah, Jesus lebt ..." anstimmt – das kann doch keiner mehr ernst nehmen. Oder doch?

Die Lieder enthalten teilweise große Übertreibungen, bei denen ich nicht sicher bin, ob nicht auch im 17. Jahrhundert schon einige darüber gelacht haben. Gerade in autoritären Systemen ist Kritik oder Subversion oftmals in den Kulturprodukten selbst ausgedrückt als unterschwellige oder widersprüchliche Stimme. Ich vermute, dass DIRK die Mehrschichtigkeit und Pathetik der Lieder auch angesprochen hat. Außerdem ist man im Moment des Singens ein bisschen wie ein Schauspieler. Das Lied "Preis Dem Todesüberwinder" war aber auch so eine gute Mischung aus etwas, das DIRK überhaupt nicht repräsentiert, und aber dieser schönen "Buffy the Vampire Slayer"-Textzeile: "… wenn ich aus dem Grabe gehe".

Hast Du zum Thema 'Kirche' vielleicht auch über die gegenteilige Art der Auseinandersetzung nachgedacht, sozusagen über 'Anti-Kirchenlieder'? MICHAELA MEISE sings Black Metal-Classics?

Nein.

Hast Du schon mal Black Metal gehört? Oder was anderes Fieses, was bei Massenmörders daheim im CD-Schrank steht?

Hören die nicht immer THE CARPENTERS oder BEACH BOYS? Zu Metal hatte ich leider bislang keinen erwähnenswerten Zugang, auch sonst keine musikalischen Abgründe, außer vom Niveau her.

Warum wurden die deutschen Liedtexte ins Englische übersetzt und abgedruckt?

Ich wollte gerne, dass Leute, die kein Deutsch verstehen, bei den Liedern nicht nur ein dumpfes Raunen vernehmen (oder was passiert, wenn man 'Weltmusik' hört und die Sprache nicht kennt), sondern einen Zugang zu den Texten haben können, wenn sie wollen. Der Übersetzer CHRISTOPHER JENKIN-JONES beschäftigt sich außerdem mit Lyrik und hat die Lieder nicht nach dem Gesichtspunkt des Reimes übersetzt, sondern inhaltlich.

Die Texte repräsentieren natürlich die Lyrik der damaligen Zeit, aber historisch auch eine Ära, in der sich die Kirche ganz besonders schlimm aufgeführt hat, womit wir wieder am Anfang wären. Kann man Outfit und Inhalt trennen?

Kann man nicht. Aber neben der politischen Einordnung der Texte ist ebenfalls interessant, wie sich das Innenleben der Menschen in Sprache kleidet, die, wie ANGELUS SILESIUS, Vertreter der Gegenreformation waren. Oder jemand wie FRIEDRICH SPEE, der kritische Schriften zu den Hexenprozessen veröffentlicht hat. Auch ist das Sterben als Thema sehr präsent. Ich muss mich selbst nicht mit den Texten identifizieren, bloß weil ich sie zusammentrage und singe. Bei vielen Liedzeilen ist das natürlich schon der Fall. Aber ansonsten sind das für mich historische Dokumente. Das macht sie dadurch nicht neutral, aber man kann sie jetzt diskutieren. Oder verachten, oder lieben, oder ignorieren.

Viele Musikmagazine freuen sich, dass (Zitat aus dem Gedächtnis) "Kirchenlieder im Pop-Kontext" präsentiert werden. Bist Du Pop? Oder was meinen die wohl mit 'Pop-Kontext'?

Ich bin da nicht so streng mit den Begriffen. Pop wäre so etwas wie Mainstream, oder? Auf eine gewisse Art stimmt das natürlich, denn ich hätte das Album limitiert, heimlich oder nur im Kunst-Kontext ausstellen können. Nun kann man es aber über AMAZON bestellen. Und ich mache die Pressearbeit mit. Aber für mich ist meine Musik nicht Pop, vielleicht Indie-Folk?

Du bezeichnest Dich selbst als 'Hobbymusikerin', hast bisher ein Vollzeitalbum gemacht, und zwar mit Songs von NICO. Besteht irgendeine Verbindung zwischen den beiden Projekten, NICO / Kirchenlieder, oder sind das einfach zwei unterschiedliche Leidenschaften von Dir?

Das Album "Songs of Nico" habe ich zusammen mit SERGEJ JENSEN 2005 veröffentlicht und wir haben darin unsere unterschiedlichen Zugänge zu NICO miteinander vermengen können. Mein Zugang war damals schon, wie jetzt auch bei den Kirchenliedern, der vom Chanson, beziehungsweise vom 'Volkslied'. NICOs Kompositionen weisen oft Strukturen auf, die barock klingen oder wie ein romantisches Kunstlied. Man kann ihre musikalische Prägung gut heraushören. Ich habe grundsätzlich Interesse daran, wie ein kollektives Gedächtnis seine Spuren durch Generationen und einzelne Personen zieht. Bei NICO kommt noch hinzu, dass sie eine Generation vertritt, der das Nachkriegsdeutschland zu repressiv, trist und regional war, so dass sie sehr jung ausgewandert ist.

"Preis Dem Todesüberwinder" hat einen hohen Gesprächswert, viele Musikzeitschriften haben darüber berichtet. Hast Du nicht Bedenken, dass Dich dieses Thema künstlerisch vereinnahmt? Dass Du in eine Schublade gesteckt wirst? Immerhin verweisen katholische Internetseiten schon auf Dich, das KONRADSBLATT hat Dir einen Artikel gewidmet ...

Die katholische Schublade lässt sich kaum vermeiden. Mich hat das am Anfang etwas gegruselt, aber es ist auch kaum vermeidbar, wenn man nun mal Kirchenlieder singt. Für mich gab es eher noch die Frage, ob ich dazu Stellung nehme oder nicht. Dass religiöse Zeitungen etwas zum Album schreiben, finde ich aber legitim. Dem KONRADSBLATT ist aufgefallen, dass ich bei "Wer nur den lieben Gott lässt walten" mehr Strophen gesungen habe, als im Gesangbuch stehen. Das Katholische Gesangbuch lässt nämlich vier der Originalstrophen weg. Das gehörte für mich auch zu einem Teil der Arbeit an dem Album, dass ich bei manchen Liedern die älteste Version, oder den Ausgangstext versucht habe zu finden. Und das KONRADSBLATT bemerkt dann eben solche Details, weil das deren Spezialgebiet ist.

Eine Frage, die genau in die gegensätzliche Richtung zielt: Das Katholische Gesangsbuch enthält ja viele Lieder. Denkst Du allein aufgrund des Erfolges an eine Fortsetzung?

Nein.

Im September kommt der Papst nach Deutschland (Berlin - Erfurt - Freiburg). Was würdest Du sagen, wenn Dir ein Kurzauftritt rund um irgendeine Papstveranstaltung angeboten würde?

Nein, vielen Dank.

Wie hat sich Dein Verhältnis zur katholischen Kirche durch die Arbeit an diesem Album geändert?

Ich glaube, das Verhältnis ist freier, lustiger und freundlicher geworden. Im Moment allerdings fühle ich mich etwas entfremdet, da das vorher nicht öffentlich war und ich mich jetzt im vollen Bewusstsein geoutet habe. Dazu gehört auch, dass ich ständig das Bedürfnis habe, meine kritische Meinung zu äußern, KIRCHE VON UNTEN-mäßig. Ich bin relativ genervt davon.

Hast Du – neben der medialen Aufmerksamkeit – schon Reaktionen bekommen? Fanpost? Sind Leute wegen Dir wieder in die Kirche eingetreten?

Nicht das ich wüsste.

Gehst Du nächsten Sonntag in die Kirche?

Wahrscheinlich nicht.

MICHAELA, danke für das Interview!