Bei der Definition des Begriffes NDW wird man nie zu einer alle zufriedenen stellenden Antwort kommen. Alle Kriterien, die man nennen wird, werden nicht passen. Nehmen wir das Attribut "deutschsprachig". Passt nicht, da es auch einige Bands gab, die in Englisch sangen. Der Begriff NDW ist heute eindeutig von Vertretern aus der kommerziellen Ecke belegt. Die Vertreter, die man eher dem Untergrund oder der Subkultur zuordnen würde, haben diese Begrifflichkeit schon damals abgelehnt. Ich denke, diese Schubladenbegriffe sind als grobe Beschreibungen notwendig, um sich überhaupt über Musik unterhalten zu können oder um die Tonträger in den Läden in das 'richtige' Fach zu räumen. Aber darüber hinaus?
Die von Dir angesprochenen NDW-Helden
MARKUS und
NENA im Duett sowie
FRL. MENKE hatten große Hits. Für mich ist dies auch ein Teil der Jugend, aber darüber hinaus haben mich diese Popstars und ihre Hits nicht interessiert. Mir geht es in erster Linie um das Aufdecken von Strukturen. Und die finde ich bei S.Y.P.H. und FEHLFARBEN viel interessanter. Wenn sich die
EDITION BLECHLUFT mit der NDW beschäftigt, dann mit den Bands, für die dieser Begriff 1979 von
BURKHARDT SEILER bzw.
ALFRED HILSBERG geschaffen wurde. Es gibt aber einige Ausflüge der
BLECHLUFT, die gar nichts mit der NDW zu tun haben.
Was hat Dich nach "Verschwende Deine Jugend" von JÜRGEN TEIPEL noch motiviert, über deutschen New Wave (klingt irgendwie besser als NDW) zu schreiben? War da nicht schon vieles bis alles gesagt?Als das Buch von TEIPEL rauskam – ich denke, es war zur Frankfurter Buchmesse im Herbst 2001 –, machte ich seit Februar 2001 das "German New Wave"-Forum, ein Forum bei
YAHOO. Mir passte der Begriff NDW damals auch nicht. Dort ging es nicht nur um die bekannten Bands aus Berlin, Hamburg oder Düsseldorf, sondern auch um ganz unbekannte Kassettenmacher. Das Buch "Verschwende Deine Jugend" war so etwas wie ein Wecker: Danach wurden viele Bands wieder aktiv und einige kleine Labels haben alte Aufnahmen veröffentlicht.
In "Verschwende Deine Jugend" wurde vieles gesagt, gewiss. Es wurde daran angeknüpft, was man in den späten 70ern und frühen 80ern den Schreibern der Musikpresse gesagt hatte. Jetzt halt durch den Erinnerungsfilter. Mich persönlich interessierten aber auch Dinge wie die Kassettenszene, die in TEIPELs Buch nur am Rande vorkommt.
Wenn ich Dich richtig verstehe, sind Dir die meisten NDW-Quellen zu fiktional, also berufen sich zu wenig auf Fakten, verklären die Vergangenheit. Mit welchen Quellen arbeitest Du? Wie kommst Du an Material?Sie sind deshalb fiktional angehaucht, da sich oft auf Interviews bezogen wird, egal ob zeitgenössische oder
Oral History-Gespräche. Sich konkret an Dinge zu erinnern, die Jahrzehnte zurückliegen, ist äußert fehlerbehaftet. Ich arbeite selbstverständlich auch mit Interviews, da es die beste Methode ist, an Fakten heran zu kommen, über die noch nie etwas geschrieben wurde. Gehen wir mal kurz weg von Zeiten, zu denen es noch Zeitzeugen gibt. Da muss der Historiker mit schriftlichen Quellen arbeiten, primäre Quellen im besten Fall. Zurück zur NDW- oder Popgeschichtsforschung: Dort findet solche Quellenarbeit seltener statt. Der Artikel "Sunny Is As Dynamite" in der
EDITION BLECHLUFT 5 scheitert an fehlenden Quellen. Ich konnte weder SUNNY befragen, noch gab es schriftliche Quellen. Ich arbeite wie die Kollegen auch nur mit Interviews und alten Buch- oder Zeitschriftenartikeln. Und die sind eigentlich alle subjektiv gefärbt, vom Interviewpartner oder von demjenigen, der den Artikel geschrieben hat. Wenn man es auf die Spitze treiben wollte, müsste man so etwas wie Geschäftsbriefe auswerten.
Allein die Tatsache, dass wir über die sorgfältige Auswahl von Quellen reden, hat einen sehr akademischen Anstrich. Ist EDITION BLECHLUFT so wissenschaftlich wie TESTCARD, also eher Richtung Magisterarbeit, oder ein zwar akribisches, aber allgemeinverständliches Fanzine?Es gibt zwar eine große Fragestellung: Wie habt ihr das damals gemacht? Aber die
EDITION BLECHLUFT ist absolut unwissenschaftlich. Ich würde die
BLECHLUFT zwar nicht bei den Fanzines einsortieren, weil ich mir rein optisch darunter etwas anderes vorstelle, aber einer grobe Umschreibung des Begriffes Fanzine, also ein Magazin für Fans, würde dann schon gut passen.
FRANK APUNKT SCHNEIDER nannte die
BLECHLUFT mal eine 'reine Fangeste', das fand ich passend.
Macht Dich das Ausgraben und Bewahren nicht manchmal schwermütig? Im Gegensatz zum Beispiel zu TESTCARD liegt Dein Tätigkeitsgebiet ja ausschließlich in der Vergangenheit – oder siehst Du irgendeine Verbindung in die heutige Zeit?Schwermütig? Ich interessiere mich für Geschichte, da ist Ausgraben und Forschen spannende Detektivarbeit. Wenn einem Geschichte gar nicht liegt oder allgemeiner ausgedrückt: Wenn man sich für ein Thema gar nicht interessiert, dann kann die Beschäftigung mit dem Thema schon quälend sein. Ich mache da keinen Unterschied, ob das Thema in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft liegt. Verbindungen zur Gegenwart und auch in die Zukunft gibt es immer. Etwas konkreter: Wenn ich als Beispiel die NDW oder Punk nehme, alles längst vergangen, aber weder vergessen noch bedeutungslos. Nur muss man dabei unterscheiden, ob man dies als Background kennt oder quasi 'Living history' spielt und immer noch "Punks Not Dead" an die Wände schreibt. Mir reicht das als Background. Und ich denke, der ernsthaften Musikpresse auch.