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NONPOP - Artikel > Interviews > Musiker > "Meine Ehre heißt Reue"



Roy L.

"Meine Ehre heißt Reue"

Im Zwiegespräch mit den T.u.T./R.u.R. Fädenziehern



Kategorie: Spezial
Wörter: 1065
Erstellt: 16.01.2009
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NP: Ihr seid ja beide schon seit längerer Zeit auch als DJs aktiv und Eurem Labelprogramm zufolge müsst Ihr ja einen recht breitgefächerten Musikgeschmack haben. Was rotiert aktuell auf Euren Plattentellern? Gibt es denn Musik, die Ihr privat gut findet, dem (mutmaßlichen) T.u.T. / R.u.R.-Hörerkreis aber nicht zumuten wollt?

LPS/SER: Bis vor einem Jahr legten wir noch regelmäßig auf der Berliner PATIENTENFRONT auf, eine von den IRONFLAME-Machern ins Leben gerufene Urindustrial-Minimal-Italo-Party. Leider hat uns der Club vor die Tür gesetzt und Ersatz in Form einer Future-Pop-EBM-Party gefunden. Es wird jedoch nach einer neuen Location gesucht...

Nun zu dem, was derzeit auf unseren Plattendrehern spielt: In der Winterzeit wird überwiegend Depressive- und Ambient-Black-Metal gehört. MARBLEBOG, XASTHUR, NORTT, HYPOTHERMIA, LIFELOVER, WIGRID, SIEGHETNAR, THE AUSTRASIAN GOAT, PROCER VENEFICUS (von welchem für 2009 ein Album auf RuR geplant ist), ELYSIAN BLAZE, VELVET CACOON, BLUT AUS NORD, DÉFAILLANCE, WHILE SAD SPIRITS AROUND ME STROLL, ISENGARD, LIK, LÖNNDOM... und viele, viele mehr!!! Das mag vielleicht etwas befremdlich klingen, aber von einem gewissen Standpunkt aus betrachtet, gibt es keine andere Musikrichtung, die so christlich ist, wie der aktuelle Black Metal. All der emotionale Schmerz, die Verzweiflung, die Unzufriedenheit mit der Welt und die daraus resultierende Selbstpeinigung sind typisch christliche Merkmale. Es besteht auch eine bemerkenswerte Parallele zwischen den derzeitigen BM-Projekten und den anscheinend von Gott verlassenen Rittern der Tafelrunde, welche sich ohne spirituelle Obhut gegenseitig die Köpfe einschlagen, allein ihre Sehnsucht nicht verstehen und schon gar nicht befriedigen können. Sie sind gleich den in der Finsternis verstreuten Schafen Jesu, welche ihr Leben auf dieser Welt hassen und von der Welt gehasst werden. Hinter all den illusorischen teilweise politischen Ideologien, dem schwarzmagischen Schabernack und den nihilistisch waghalsigen Sprüchen des Black Metals verbirgt sich ein eindeutig christlicher Kern, dessen sich die Protagonisten mehr bewusst wären, würden sie auch nur den Hauch einer Ahnung vom Christentum haben, das sie so energisch bekämpfen. Gott sei Dank gibt es neben dem grotesk diabolischen Tieropfer-Fastnacht-BM (wie man ihn aus den schlimmsten Fernsehersendungen kennt) und dem pubertär schmuddeligen und spießigen Dorfkneipengänger-NSBM, durchaus geistreichen und ehrlichen Black Metal. Leider hat man nur ständig das ungute Gefühl, dass sich auch viele gute BM-Projekte ständig auf der Kippe zur einen oder anderen Sackgasse sbefinden! Aber wäre BM nicht eine Gratwanderung, wäre es vielleicht nicht so interessant... oder?

Ansonsten wird ohne Konzept querbeet durch die gigantische Musiklandschaft alles nur Erdenkliche gehört: Letztens hatten wir eine SIOUXSIE-/CURE- und darauf eine ICEHOUSE/YES-Retrospektive, ein Crash-Kurs in Sachen INTEGRATED CIRCUIT RECORDS inklusive Umfeld wurde unternommen. Wir sind begeistert von STAUROS TO OKEMA, von der längst überfälligen Wiederveröffentlichung der ersten DIE BUNKER-Kassette, HUMOUR MALADE, GESTALT, DZ LECTRIC, RICHARD PINHAS, BERNARD XOLOTL, MICHAEL GARRISON, ILITCH, ZOMBI, NADJA, PELICAN... und... und... Und natürlich wurde im Vorfeld der letzten BACK TO BASICS-Party in Berlin sehr viel 89-92er Techno-House gehört.

Es ist schon bemerkenswert, wie viel gute Musik es in dieser schrecklichen Welt gibt...



NP: ICH WOLLTE, ICH KÖNNTE haben 2006 eine 7" auf dem Label ELITEPOP veröffentlicht. „Musique Au Mètre: A Tribute To The Electronic Library Music Of The Early 80's“ lautet der Titel dieser kleinen aber feinen Scheibe. Uns interessiert, was Euch an so genannter 'Library Music_ so fasziniert. Wann und wie seid Ihr auf diese aufmerksam geworden? Ein Großteil der Leser wird von dieser Musik, die ausschließlich für TV- Produktionen eingespielt wurde, nichts wissen. Welche Platten würdet Ihr ihm also empfehlen?

LPS/SER: Wenn man ein Faible für elektronische Instrumental-Musik der 70er und 80er Jahre hat und einem so manchmal die „Berliner Schule“ den letzten Nerv raubt, ist die „Library Music“ eine unerschöpfliche Goldgrube. Dazu kommt, dass es einen Riesenspaß macht, diese seltenen Schallplatten zu suchen und auch teilweise „taub“ zu kaufen, weil laut dem Cover ein ARP Odyssey oder ein PPG benutzt wurde.

Als SPACE-Komplettisten können wir nicht anders, als alle Produktionen von ROLAND ROMANELLI anzupreisen. Weitere unumgängliche Synthitüftler und -tüftlerinnen der 80er Jahre wären: SAUVEUR MALLIA, PATRICK VASORI, ROLAND BOCQUET und JOHANNA D’ARMAGNAC.


NP: Ihr seid ja große Filmfreunde. In anderen Interviews habt ihr z.B. erzählt, dass es Euch Werke von COCTEAU, HERSCHELL GORDON LEWIS und CLOUZOT angetan haben. Was steht aktuell auf Eurer Filmspeisekarte?

LPS/SER: Da wir uns in der Regel mindestens einen, an manchen Tagen bis zu vier Filmen, anschauen, ist es schwer einen Überblick zu behalten. In letzter Zeit haben wir obendrein sehr viele Kommerzlichtspiele gesehen, die wir uns gar nicht trauen hier wiederzugeben, es sei denn: „Bug“ von WILLIAM FRIEDKIN und „Believers“ von DANIEL MYRICK... besonders der zweite sei allen „Apokalyptikern“ ans Herz gelegt. Weitere Highlights der letzten Monate waren „Gerry“ und „Paranoid Park“ von GUS VAN SANT, „Buffet Froid“ von BERTRAND BLIER, „Sleeper“ von WOODY ALLEN, „Juste avant la Nuit“ und „Les Noces Rouges“ von CLAUDE CHABROL, einige Experimentalfilme von PIERRE CLEMENTI wie „New Old“ und „Visa de Censure n°X“, „Mullholland Drive“ von DAVID LYNCH. Als große Verehrer der Teenie-Filme von JOHN HUGHES, haben wir uns vor kurzen gar eine äußerst unterhaltsame JAMES SPADER-Retrospektive gegönnt: von „The New Kids“ über „Less Than Zero“ (Unserer Meinung nach der beste JOHN HUGHES Film, der nicht von JOHN HUGHES ist!!!), über „Sex, Lies and Videotape“ bis zu „Crash“... ein großartiger Schauspieler!

  
NP: Fast schon ein T.u.T./R.u.R.-Erkennungsmerkmal ist die präzise und liebevolle Präsentation Eurer Veröffentlichungen. Eure Platten erscheinen sämtlich in limitierter Auflage, in sehr durchdachten und oft auch opulenten Gestaltungen. Was bedeutet Euch da persönlich die Schallplatte, a) als materielles (Sammel-)Objekt, b) als – durchaus geistiger – Träger von Ideen? Wie die „Dead in Vienna“-Aktion von HIS DIVINE GRACE beim zweiten HR!-Festival einst zeigte, ist „man“ ja nicht zu jeder Zeit so liebevoll mit der Schallplatte umgegangen...

LPS/SER: Was HIS DIVINE GRACE auf der Bühne macht, ist ihm überlassen. Was uns angeht, war es die wohl extremste Industrial-Darbietung, die wir je gesehen haben, eben weil uns der „Träger von Ideen“ sehr am Herzen liegt. Es war auch äußerst lustig zu beobachten, wie so manche Konzentrationslager-Fetischisten und Subversionsübertrumpfungskünstler zu weinen anfangen, wenn ihre Lieblingsschallplatten vor ihren Augen zerstört werden.


 
Roy L. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Treue um Treue / Reue um Reue

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Kommentare
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Guenon / Politik
Dominik T. (18-01-2009, 21:46)
Zunächst , super Interview!

zu den Aussagen zu Guenon: Es ist nicht notwendigerweise "traditional" alles "Politische" möglichst zu meiden, so scheint es hier aber durch.
Vielleicht erschöpfend zu diesem Thema Martin Lings, auch ein ehemaliger Sekretär Guenons und selbst ein bekannter Autor dieser Strömung (http://www.worldwisdom.com/public/authors/details.aspx?ID=25), in "Die elfte Stunde." (Freiburg/B., 1989) im Kapitel "Das politische Extrem", S. 63-82

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