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Roy L.

"Meine Ehre heißt Reue"

Im Zwiegespräch mit den T.u.T./R.u.R. Fädenziehern



Kategorie: Spezial
Wörter: 1908
Erstellt: 16.01.2009
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NP: Ihr seid beide eifrige GUÉNON-Leser und -Adepten. Nun ist der aktuelle Forschungsstand hier in Deutschland dazu leider sehr löchrig und oberflächlich, von den Schriften sind nur wenige übersetzt und Sekundärliteratur sucht man nahezu vergebens. Da Euer Zugriff auf Guénon jedoch ohnehin aus französischer Sicht geschieht, könnt Ihr vielleicht besser beurteilen, wie die Guénon-Rezeption (d.h. Sekundärliteratur, Seminare etc.)  in Frankreich heute ausfällt?

LPS/SER: RENÉ GUÉNONs Schaffen ist im Abendland ein einzigartiges und unübertroffenes Zeugnis eines Autors, der wie kein anderer wusste, die verschiedenen Doktrinen und Religionen mit einer atemberaubenden Klarheit und Überzeugungskraft zu beleuchten. Für viele war und ist der Anteil an diesem Zeugnis das wichtigste Ereignis in ihrem Leben. Viele distanzieren sich mehr als zuvor von den Illusionen des modernen Fortschritts, andere haben zu ihrer Religion zurückgefunden, einige Freimaurer verstehen die tiefere Bedeutung ihrer Symbolik und was unsere Wenigkeit angeht, so können wir uns nicht vorstellen, die Welt in der wir leben zu verstehen und insbesondere zu ertragen, würde uns die Botschaft GUÉNONs nicht jeden Tag begleiten.

Das Werk mag zwar in französischer Sprache verfasst sein, jedoch ist in Frankreich die Lage in Sachen Traditionalismus nicht erheblich besser als in Deutschland. So werden auch die wichtigsten Bücher GUÉNONs immer wieder neu aufgelegt, teilweise von großen Verlagen, aber es gibt eben auch Bücher, die seit geraumer Zeit unauffindbar sind. Erwähnenswert wären da auch einige Schriftsteller, die eindeutig von seinem Werk beeinflusst sind und quasi ununterbrochen eben dieses Werk fortführen, wie zum Beispiel der meist vergessene aber unumgehbare GUÉNON-Jünger JEAN REYOR. Der den Industrial-Szenegängern vermutlich bekannte Bruitist JEAN-MARC VIVENZA hat sich ebenso dem Traditionalismus verschrieben und hat auch zwei beachtenswerte Sekundärliteraturwerke zum Thema GUÉNON abgeliefert. Aber wer liest all das? Wo sind die, die die Neuauflagen der Bücher GUÉNONs kaufen? Wir wissen es beim besten Willen nicht. Wir kennen auch kaum Menschen, mit denen wir über Tradition oder Traditionalismus reden könnten. Wir sind tatsächlich an einem Punkt angelangt, wo die letzte Verdunklung des Eisernen Zeitalters mehr als offensichtlich ist und, um ein biblisches Gleichnis zu gebrauchen, die Schafe restlos verstreut sind. Es gibt sie jedoch, das ist sicher!


NP: Guénon hat vor allem für die Orientalistik ein umfangreiches Werk hinterlassen. Obgleich um universale Geltung bemüht, orientiert sich seine traditionale Doktrin fast ausschließlich an den östlichen Traditionen. Wir leben heute in einer Zeit, in der sich die Unterschiede von östlicher und westlicher Hemisphäre materiell relativiert haben, in der gleichzeitig aber auch die geistige Diskordanz und Differenz von Orient und Okzident stärker denn je zutage tritt. Welche Ängste und Hoffnungen knüpfen sich da mit der Lektüre Guénons an das Erstarken des spirituellen Ostens?

LPS/SER: Zum einen hatte RENÉ GUÉNON nicht viel für Orientalistik übrig, da die meisten Orientalisten mit einem vollkommen abendländischen Verständnis an das Studium der Orientalen Doktrin herangegangen sind (es noch immer tun) und hiermit mehr Schaden angerichtet haben, als sie es vielleicht selbst wollten. Zum anderen ist es nicht „seine“ traditionale Doktrin, um die er sich all die Jahre bemüht hat, sondern um „DIE“ traditionale Doktrin, die eine individuelle Stellungnahme nicht duldet.

Nun aber zu Deiner Frage: Der Unterschied von Orient und Okzident ist in der Tat nicht mehr so eindeutig wie vor 70 Jahren, da der Orient mit beunruhigendem Tempo auf den Pfaden des Abendlands hinterher eilt. Der Orient hat jedoch im Gegensatz zum Okzident und ungeachtet der immer weiter fortschreitenden Profanierung eine intakte Esoterik. Hier muss jedoch dringend bemerkt werden, und das ist etwas, was auch viele der eingefleischten Leser GUÉNONs missverstehen, dass es ihm nicht darum ging, irgendwen zu einer anderen Doktrin oder Religion zu konvertieren, die durch die gegebenen Umstände nicht die seine ist. Vielmehr stützte er sich auf die Lehren des Orients, um dem Abendländer einerseits klar zu machen, dass alle regulären Traditionen ein und denselben Ursprung haben, und andererseits, um dem Abendländer seine eigene traditionelle Form, in unserem Fall das Christentum näher zu bringen. Es geht also nicht darum, zum Islam oder zum Buddhismus überzuwechseln, es sei denn, man ist dazu berufen, wie RENÉ GUÉNON als Bindeglied zwischen den verschiedenen Traditionen zu fungieren.


NP: Traditionalismus / Integrale Tradition gehören inzwischen zu den Standardthemen vor allem der späteren Neofolk-Generationen. Dabei beruft man sich vor allem auf EVOLA und SCHUON, widmet Tonträger oder füllt sie mit entsprechenden Zitaten. Wieso ist der „seriösere“ GUÉNON für den „Durchschnittsneofolker“ (abgesehen von wenigen Ausnahmen, LONSAÏ MAIKOV und A.C.T.U.S. etwa) weniger interessant? Da es hier ohnehin eine Überschneidung gibt: Wie steht Ihr generell zur Traditionalismus-Rezeption in der Neofolk- und Post-Industrial Szene?

LPS/SER: Dass ein Großteil der post-industriellen Szene sich für JULIUS EVOLA interessiert, ist bezeichnend: Jemand der Traditionalismus mit solch zeitlichen Angelegenheiten wie Politik vermengt, kann unmöglich als traditionsbewusst durchgehen. Zumal seine Christenfeindlichkeit und sein Rom-Stolz ebenso suspekt sind. Was FRITHJOF SCHUON betrifft, so mag es sein, dass jener sehr gute Artikel zur Glanzzeit der ETUDES TRADITIONNELLES geschrieben hat, aber seine späteren Aktivitäten waren doch etwas erstaunlich und die wenigen Schriften, die wir von ihm gelesen haben, hinterließen leider mehr Fragen als Antworten.

Wir haben das ungute Gefühl, dass viele selbsternannte Traditionalisten der besagten Szene den Traditionalismus aus rein exklusivistischen Beweggründen gewählt haben. Sie schmücken sich mit tollen Zitaten, provozieren mit unmodernen Stellungnahmen, aber sehr viel mehr steckt da auch nicht hinter... Es ist zwar begrüßenswert, dass der Post-Industrial- und Neofolk-Fan sich der Perversionen der Moderne bewusst ist, es reicht jedoch nicht aus, um sich als Traditionalist zu begreifen. Wie gut auch der Wille ist, der sich dahinter verbirgt, diese Menschen machen sich unbewussterweise zu Vorreitern der Anti-Tradition. Öfters haben wir mit Schrecken feststellen müssen, dass „Tradition“ in einem Zuge mit „Philosophie“ oder „Politik“ erwähnt, und GUÉNON gar in den großen okkultistischen Eintopf samt solcher Scherzfiguren wie CROWLEY und BLAVATSKY geworfen wird. Viele scheinen auch nicht zu begreifen, dass es nicht eine weitere „philosophische Spekulierung“ oder eine weitere „Meinung“ darstellt.

Wieso GUÉNON in manchen Kreisen weniger populär ist, rührt wohl daher, dass er eben nicht aufrührt und mit Hammer und Posaunen daherpaukt, wie es EVOLA so gut kann, sondern in transzendentaler Ruhe, mit mathematischer Genauigkeit, einer Prise Humor und vor allem mit felsenfester Gewissheit, dem Leser die größten Geheimnisse dieser Welt nahe bringt. Ein weiterer Grund ist die Radikalität, mit der RENÉ GUÉNON das gesamte philosophische, psychologische und okkultistische Schaffen der letzten Jahrhunderte verneint, so dass es dem überzeugten Leser nicht mehr möglich ist, Bücher aus dieser Sparte überhaupt noch anzurühren. Hinzu kommt, dass GUÉNON von Dingen schreibt, die nicht für jedermann geeignet sind, da sie im kompletten Gegensatz zu der modernen Mentalität stehen. So gab es damals vonseiten der Theosophen, wie auch von Vertretern der katholischen Kirche sehr heftige Reaktionen, sowie hasserfüllte und verständnislose Leserbriefe an die ETUDES TRADITIONNELLES, über welche sich JEAN REYOR, dessen Herausgeber, immer wieder wundern musste. Wenn also schon damals die Rezeption bedenklich war, wie sieht es dann heute aus?



NP: Auffällig an vielen Eurer Veröffentlichungen erscheint mir die unbedingte Abgeschlossenheit des jeweiligen Werks. Auf den Platten schließt sich entweder musikalisch oder inhaltlich ein Kreis, auch rein äußerlich, über die Anordnung der Titel z.B., eine Intro/Outro-Klammer, die das Album umspannt etc. Zudem greifen Eure Projekte WERMUT und IWIK in letzter Zeit häufiger auf einen Teil des Logos des Berliner Techno-Clubs TRESOR zurück, nämlich den im Zentrum punktierten Kreis. GUÉNON assoziiert dieses für ihn fundamentale Symbol in der „Symbolik des Kreuzes“ und in „Symboles de la science sacrée“ mit dem „cœur du monde“, das gleichzeitig Gefäß und Heiliger Gral ist. Vielleicht könnt Ihr kurz zusammenfassen, was GUÉNON darunter versteht und wie das Symbol Einzug in den WERMUT-Kosmos erhielt.

LPS/SER: Es ist schon eigenartig, dass bei Symbolen zuerst auf den letzten und aktuellsten Gebrauch geschlossen wird. So erkennt man den Swastika zuerst als Symbol der Nationalsozialisten, dann ist es bei den einen auch eine Art Sonnerad, und in den wenigsten Fällen ein traditionales Symbol, für den Zusammenhang von Prinzip und Manifestation. Bei dem „Herz der Welt“ scheint es nicht anders zu sein, auch wurden wir schon öfters gefragt, warum wir das Logo des Berliner TRESORs „geklaut“ hätten. Die New-Age-Fraktion wiederum glaubt vermutlich, wir benutzen das astrologische Zeichen der Sonne. Der eine oder andere denkt wohl, wir wären Sonnenanbeter. Wie dem auch sei, ist das Wissen bezüglich traditionaler Symbolik in der heutigen Welt nicht mehr wirklich an der Tagesordnung und eine gewisse Art des Denkens ist anscheinend den heutigen Menschen vollkommen abhanden gekommen. Auch dies ist ein unverkennbares Zeichen unserer Zeit.

Das „Herz der Welt“ oder „Zentrum der Welt“ ist das älteste aller uns bekannten Symbole. Gleich wie der Swastika symbolisiert es die unbedingte Abhängigkeit der bewegten materiellen Manifestation von dem einen unbewegten und unabänderlichen Motor, dem Prinzip. Das Zentrum ist in diesem Falle der Ursprung, der Anfangspunkt aller Dinge, ohne Form und ohne Dimension. Es ist die unteilbare ursprüngliche Einheit. Den Raum welches es mit seiner Ausstrahlung (dem Fiat Lux der Genesis) füllt und welcher nur wegen dieser Ausstrahlung existiert, ist die Welt, also die Summe allen Daseins. Es wäre also falsch, es als Sonnensymbol zu bezeichnen, denn auch die Sonne ist Teil der materiellen Manifestation. In Wahrheit (und das bestätigen auch sämtliche antike Traditionen) ist die Sonne ein weiteres Symbol für das eigentliche „Herz der Welt“, das göttliche Prinzip.

Der Bezug zwischen dem Prinzip und der Welt wird natürlich symbolisch verstärkt, wenn man vom Zentrum aus vier (oder mehr) Strahlen zum Kreisumfang zieht, wie es in der Figur des Sonnenrades der Fall ist. Die vier Viertel des Kreises können somit die Mondphasen, die Jahreszeiten oder die vier Zeitalter der Menschheit symbolisch darstellen. Am deutlichsten jedoch stellt der Swastika in all seinen erdenklichen Ausführungen die Rotation um die unbewegliche Achse, den unwandelbaren Fixpunkt dar. Das Zentrum ist der Motor aller Bewegung und da Bewegung bekanntlich Leben ist, ist der Swastika (gleich wie das Kreuz) ein Symbol des Lebens, oder besser: der Leben einflößenden Rolle des Prinzips innerhalb der kosmischen Ordnung.

Alle drei Symbole stellen also ein und dasselbe auf verschiedenen Wegen dar.

Diese Überlegungen sind der Kern der traditionalen Metaphysik und nicht (wie es viele glauben) ein von RENÉ GUÉNON entwickelter Gedanke, der nur der Bote dieser von weither überlieferten Wahrheiten ist. Es gäbe auch noch vielmehr hier drüber zu erzählen, aber es würde wohl den Rahmen dieses Interviews sprengen. Diejenigen, die sich für dieses Thema interessieren und der französischen Sprache mächtig sind, sei das von Dir bereits erwähnte Buch GUÉNONs „Les Symboles de la Science Sacrée“ ans Herz gelegt, in welchem alles ausführlichst dargelegt wird.


NP: Noch kurz einen Schritt zurück: wenn ich in meiner Frage das Logo des Berliner TRESORs erwähne, bedeutet das doch keineswegs, dass ich 'zunächst und zumeist' auf den letzten und aktuellsten Gebrauch des Symbols schließe. Mir scheint hier in Wahrheit einer jener ganz prägnanten, ja sogar über-rationalen "Knotenpunkte" verborgen zu liegen, der den bloß-rationalen, szientistischen Zufall ausschließt. Der TRESOR ist ja doch nichts, was Euch oder WERMUT so gänzlich fremd wäre...

LPS/SER: Natürlich ist das TRESOR Label ein wichtiger Meilenstein in unserem Technovernarrtendasein (zum Beispiel das auf TRESOR erschienene Stück "Der Klang der Familie" von 3 PHASE befindet sich eindeutig in unserer Top 10) und da es so etwas wie Zufall nicht gibt, wird es wohl einen Grund haben, dass wir dasselbe Symbol wie das Berliner Konsortium benutzen. Wir wollten auch nur ganz allgemein darauf aufmerksam machen, dass viele Zeitgenossen sich leider herzlich wenig um den Ursprung der Dinge kümmern.


 
Roy L. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Treue um Treue / Reue um Reue

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Guenon / Politik
Dominik T. (18-01-2009, 21:46)
Zunächst , super Interview!

zu den Aussagen zu Guenon: Es ist nicht notwendigerweise "traditional" alles "Politische" möglichst zu meiden, so scheint es hier aber durch.
Vielleicht erschöpfend zu diesem Thema Martin Lings, auch ein ehemaliger Sekretär Guenons und selbst ein bekannter Autor dieser Strömung (http://www.worldwisdom.com/public/authors/details.aspx?ID=25), in "Die elfte Stunde." (Freiburg/B., 1989) im Kapitel "Das politische Extrem", S. 63-82

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