NP: Euer Label wurde Anfang 2005 mit der Veröffentlichung der WERMUT-10-Zoll mit dem schönen und nicht unwesentlichen Titel „Hoffnung“ ins Leben gerufen. War es von Anfang an geplant, das Label zweigleisig, also mit der strikten Trennung von T.u.T. und R.u.R. zu entfalten? Der Name des Labels besteht in einer traditionellen Andachtsformel. Wem oder was wird mit der ertragreichen Arbeit Eures Tonträgerverlags gedacht?
LPS/SER: Das Wortspiel im Labelnamen kommt noch aus GIGABROTHER-Zeiten: Damals hatte Alois von Grünenwörth-Mömpelgard ein T-Shirt für das O.N.H. entworfen mit dem Spruch „Meine Ehre heißt Reue“ (Mal wieder eines dieser T-Shirts, die man nicht öffentlich in den Straßen tragen konnte, ohne von sämtlichen Seiten beschossen zu werden.). Beide Labelnamen stellen eine Dualität dar: Die Treue bedeutet uns der Drang zum Geistigen, die Reue die Anziehungskraft des allzu Menschlichen. Es gleicht sozusagen einem Yin und Yang oder einem Davidstern: Der eine Teil symbolisiert den Himmel, der andere die Erde. Und die Trennung beider Lager war tatsächlich von Anfang an geplant. NP: Während sich die Veröffentlichungen bei T.u.T. noch relativ problemlos unter der Rubrik rhythmisch & elektronisch subsumieren lassen, herrscht auf der anderen Seite schon viel eher Uneinigkeit, obschon experimentelle Geniestreiche wie „The Skin I'm In“, „Cosmic Insight, Baby“ und die erst kürzlich erschienene „Niedowierzanie“ vielleicht am ehesten unter der Bezeichnung 'difficult music' konform gehen. Hattet Ihr in Euren bisherigen Veröffentlichungsplänen schon einmal einen diesbezüglichen Grenzfall, der Euch Kopfzerbrechen bereitete? LPS/SER: Gerade die UNIDAD SASAO-LP hat uns extrem viel Kopfzerbrechen bereitet. „The Skin I’m In“ ist ja quasi ein Electronica-Album, sprich sehr „rhythmisch“ und „elektronisch“. Aber da Tristans Projekt eher in der Post-Industrial-Szene anzusiedeln ist, haben wir uns entschlossen, es doch auf RuR zu veröffentlichen... und ein bisschen „difficult“ ist es ja auch! Die „Todas Las Últimas Cosas“ ist jedoch eindeutig ein TuT-Album. So sehr, dass der eine oder andere NOVÝ SVĚT-Fan wohl vom Glauben abfallen wird... NP: 2006 erschien das wunderschöne Album „Echo Trip“ von Dr. C. STEIN. Im folgenden Jahr wurde eine weitere 10-Zoll veröffentlicht. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit HANJO ERKAMP? Dürfen wir auf weitere, romantische Veröffentlichungen gespannt sein? LPS/SER: Seitdem wir das TRUMPETT-Label entdeckt haben, sind wir beide große Dr. C. STEIN-Verehrer. Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir uns getraut haben, bei Frank von TRUMPETT anzuklopfen. Der uns bekannte Back-Katalog des Dr. C. STEIN liegt nun, mit Ausnahme einiger ganz alten Krautrock-Stücke, vollständig auf Vinyl vor... aber wer weiß, ob nicht doch noch etwas in irgendwelchen Kartons auf irgendeinem Dachboden schlummert. NP: Zu den prominentesten Platten Eures Backkatalogs zählen zwei besondere Konzept-Sampler, die jeweils einem speziellen subkulturellen Phänomen Tribut zollen. Gemeint sind hier natürlich „Retours d'Acide“ und „Todesblei salonfähig gemacht“. Ich vermute hierzu, Ihr habt beide sowohl die New Beat-Evolution als auch die Heraufkunft von Black- und Death-Metal selbst miterlebt!? Wird es weitere Compilation-LPs dieser Art geben? LPS/SER: Als 1987-88 Acid-House und New-Beat boomte, waren wir gerade mal elf bzw. zwölf Jahre alt, jedoch können wir uns noch genau daran erinnern, dass wir von der damaligen Welle wie so viele mitgerissen wurden. Der Einschlag dieses aus dem Nirgendwo geschossenen Musikgenres ist schon bemerkenswert. Bis heute suchen wir noch immer nach Stücken jener Zeit, die uns seit 20 Jahren als Ohrwürmer begleiten. Ab und zu findet man sogar wieder eins, dass einen eine nostalgische Gänsehaut überkommt... wie letztens „Get On The Dance Floor“ von ROB BASE & DJ EZ ROCK und „A Day In The Life“ von BLACK RIOT... oder der einstige Hitparadenstürmer „The Party“ von KRAZE! Kurz nach dem Ausbrennen der House Music, sattelte Laszlo um zum Heavy Metal und landete kurz darauf in der Grindcore-Sackgasse bei CARCASS und NAPALM DEATH. Als dann OBITUARY ihr Meisterwerk „Slowly We Rot“ veröffentlichten, verschrieb sich Laszlo mit Haut und Haaren dem so genannten Todesblei. Sofia wiederum kam über den entgegen gesetzten Weg des Alternative Rocks und des Punks zum Death bzw. Trash Metal und wurde binnen kürzester Zeit der größte SEPULTURA-Fan vor dem Herrn. Als dann aus dem kühlen Norden ein eigenartiges Gesäge und Gekreische namens Black Metal aufkam, entschied man sich jedoch für das Todesblei-Morrisound-Lager. Damals ist ja ein regelrechter Krieg zwischen den Parteien DM und BM ausgebrochen. Entweder man hörte das eine, oder das andere! Erst als wir viel später einen Bericht über den Mord an Euronymous gelesen hatten, schien es uns, als ob doch mehr hinter dem Gepose und dem Corpsepaint steckte, als wir ursprünglich gedacht haben. Die Entdeckung BURZUMs stellt für uns beide einen wesentlichen Meilenstein dar und bis zum heutigen Tage sind „Hvis Lyset Tar Oss“ und „Filosofem“ die zwei besten BM-Alben aller Zeiten! Konzept-Compilations dieser Art wird es ganz bestimmt noch mehr geben. Wir haben auch schon mit einigen Künstlern, über ein noch geheimes Projekt dieser Art gesprochen... NP: Ich glaube, es ist nicht ganz falsch, T.u.T./R.u.R. als unmittelbaren Spross der einstigen GIGABROTHER-Kommune zu verstehen, jener großen rhizomatischen Verflechtung von Information und Desinformation, ein lebendiger, vielfach satirisch gebrochener Kosmos, der sich seine eigene (Musik-)Historizität und Mythen schuf. Die Überreste und Ruinen sind heute noch als schier endloses Seitenlabyrinth virtuell abrufbar, und sie lassen vage erahnen, wie dicht das Netz einst gesponnen war. Inwieweit stehen Methode und Inhalt des GIGABROTHER-Konzepts in der Tradition neoistischer Strategien? Bestand innerhalb des „harten Kerns“ womöglich sogar Kontakt zu bekannteren neoistischen Künstlern? LPS/SER: Das GIGABROTHER-Phänomen gehört jetzt wahrhaftig der Vergangenheit an. Wir haben weder Kontakt zu den ehemaligen Mitgliedern des harten Kerns (dessen Oberhaupt in der Tat mit dem neoistischen Schriftsteller STEWART HOME verkehrte), noch wissen wir, um ehrlich zu sein, was noch übrig ist von der einstigen Webpräsenz. Das Konzept, welches sich dahinter verbirgt, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt und dessen waren sich die Macher auch jederzeit bewusst... In dem Sinne: no tears for the creatures of the night!
Roy L. für nonpop.de
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Zunächst , super Interview!
zu den Aussagen zu Guenon: Es ist nicht notwendigerweise "traditional" alles "Politische" möglichst zu meiden, so scheint es hier aber durch.
Vielleicht erschöpfend zu diesem Thema Martin Lings, auch ein ehemaliger Sekretär Guenons und selbst ein bekannter Autor dieser Strömung (http://www.worldwisdom.com/public/authors/details.aspx?ID=25), in "Die elfte Stunde." (Freiburg/B., 1989) im Kapitel "Das politische Extrem", S. 63-82