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Michael We.

UNDERWATER SLEEPING SOCIETY

"The Dead Vegas". Non-Nonpop aus Finnland.


UNDERWATER SLEEPING SOCIETY
Genre: Art Rock
Verlag: Nordic Notes
Erscheinungsdatum:
Februar 2009
Medium: CD & Vinyltrack
Preis: ~14,00 €
Kaufen bei: Nordic Notes...


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Das Wort 'Indie' kann gewaltigen Schaden anrichten. Wer hört schon noch zu, wenn eine Handvoll junger Musiker, die zusammen ein Album herausbringen, wieder mal als kommende 'Indie-Rockstars' beworben werden? Eben. Deshalb müssen wir gegensteuern, bevor die Finnen von UNDERWATER SLEEPING SOCIETY dieses Schicksal ereilt. Schließlich wäre auch niemand auf die Idee gekommen, THE SMITHS, PINK FLOYD oder SIGUR RÓS, deren Einflüsse auf "The Dead Vegas" zu hören sind, als Indie-Rocker zu bezeichnen. Nennen wir die Songs also behelfsweise 'Art Rock', so wie sich das Sänger OKKO NIEMINEN auch im NONPOP-Mini-Interview (am Ende des Artikels) wünscht.
Wie Stars jedweder Musikrichtung sehen die sechs aus Helsinki ohnehin nicht aus. Eher... wie Durchschnittsfinnen. Aus einem Film von ARI KAURISMÄKI, was sie von vorneherein schon sympathisch macht. Ohne Geld, Promo oder Majorlabel haben UNDERWATER SLEEPING SOCIETY – deren Name keine tiefere Bedeutung, sondern einfach nur einen schönen Klang hat – bislang zwei Alben in Finnland veröffentlicht. "All Other Lights Go Out", das zweite, gelangte nach einer Ochsentour durch kleine skandinavische Clubs immerhin in die finnischen Albumcharts (Platz 13). Einige Indikatoren weisen darauf hin, dass die Band nun an der Schwelle zu größerer Bekanntheit steht: Das neue Album ging durch die Hände des New Yorker Mastering-Gurus FRED KEVORKIAN (u.a. IGGY POP und RYAN ADAMS). Dem NME war die Band im vergangenen Oktober eine Notiz wert, und im selben Monat besuchten die Finnen – rund um die POPKOMM – zum ersten Mal Deutschland. Hier sowie in der Schweiz und Österreich wird "The Dead Vegas" nun von NORDIC NOTES veröffentlicht.



Von Katastrophe zu Katastrophe taumeln die Hauptdarsteller der elf musikalischen Weltschmerz-Seufzer: Ein Besuch am eigenen Grab, ein verunglückter Selbstmord und – am allerschlimmsten – die Plattensammlung, die in Flammen aufgeht. UNDERWATER SLEEPING SOCIETY offenbaren dabei ein ähnliches Talent wie die niederländischen NITS, menschliche Unglücke in die wunderbarsten Popsongs zu verpacken, gebettet in ausgefeilte Arrangements mit vielen überraschenden Breaks.
OKKO NIEMINEN trägt seine Geschichten mit der leicht wehleidigen Eindringlichkeit eines MORRISSEY vor. Das gepflegte Pathos passt zur orchestralen Instrumentierung des Albums und ganz besonders zum ersten Song, der eigenen Beerdigung ("Saw You At My Funeral"). Zwischendurch reduziert sich der Sound auf ein Glöckchen oder eine gezupfte Geige, die dann wieder von einem hymnischen Chorus abgelöst werden. Durch die Hookline weht – wie in eigentlich allen Liedern – ein psychedelisches Säuseln. "Hurry Or Worry" ist lässig und flott, zu Gitarre und Bass perlt und pfeift ein Synthesizer in der Manier alter YES-Keyboardläufe. Ganz und gar hinreißend ist "Body Blues": OKKO berichtet leise, fast gequält über seelische und körperliche Schmerzen, bis sich die Gefühle im Mittelteil Bahn brechen. Die psychedelische Keyboard-Untermalung erinnert dieses Mal an einen Teppich von PINK FLOYD. "Antique" stellt schlicht und einfach die Frage nach der Zukunft der Menschheit, dazu kehrt zunächst – mit Akustikgitarre – angemessene Ruhe ein. Ein großer, episch angelegter Track in Verbrüderung mit SIGUR RÓS. Der in der Mitte plötzlich kippt, denn das Stilmittel 'Song im Song' beherrschen UNDERWATER SLEEPING SOCIETY; es wird vorübergehend ein Stück San Francisco-Powerpop daraus. "Accidents" erzählt über den Unfall mit einer Pistole und in der Folge blutenden Beinen. Die irrste Geschichte des Albums, zu der sich die Band in einen Haufen rotziger 20jähriger verwandelt, die einen quietschbunten Rocksong herunterschnoddern. Der Siebenminüter "This Might Have Happened" (mit der brennenden Plattensammlung) ist die – natürlich todtraurige – Ballade des Albums. Die Annäherung an SIGUR RÓS geschieht hier auch stimmlich: Beim glockenhellen Vortrag denkt OKKO zeitgleich über die gesungenen Worte nach.




Klar ist "The Dead Vegas" Non-Nonpop. Also Pop. Oder viel besser: Art Rock. Klar könnten einige der elf Stücke sogar im Mainstream-Radio laufen. (Sie würden dort das Niveau um viele Prozentpunkte steigern.) Aber das gilt ja zum Beispiel auch – um einen weiteren Vergleich in die Runde zu werfen und diese Besprechung endgültig zu der mit den meisten Nennungen populärer Band zu machen – für die Briten von XTC, die oft ebenso schlaue Popsongs zauberten wie UNDERWATER SLEEPING SOCIETY. Allen RADIOHEADs oder COLDPLAYs sind die Finnen auf jeden Fall weit voraus, weil sie ohne Allüren auskommen, ihre Musik aber durch und durch emotional und packend ist. Traumhaft.
Das Album erscheint in Deutschland übrigens als limitierte Version, die sich durch einen auf der Labelseite der CD aufgepressten Vinyltrack auszeichnet, der tatsächlich abspielbar ist. Selbstverständlich fügt sich das geringfügig verzerrte, psychedelische Artwork – eine wasserfarbene Stadt aus der Vogelperspektive – nahtlos in dieses kleine Gesamtkunstwerk ein.



Fünf Fragen, die beim Ersthören von "The Dead Vegas" durch den Kopf gehen. Mit Antworten von OKKO NIEMINEN.


1) Viele Eurer Texte sind sehr depressiv, zum Beispiel der von "Accident" über einen gescheiterten Selbstmord. Woran liegt das? Seid Ihr so unglücklich, oder ist es die viel zitierte Dunkelheit in Finnland?

Eigentlich geht es in "Accident" gar nicht um einen gescheiterten Selbstmord – nur beinahe. Der Typ in dieser erfundenen Szene stellt plötzlich fest, dass er aus Versehen sein Bein schwer verletzt hat. Mit einer Pistole. Ich glaube eigentlich, dass alle Bandmitglieder sehr glücklich mit ihrem Leben sind im Augenblick. Aber – das gilt wohl für jeden – natürlich überkommt auch uns manchmal eine 'dunkle Seite', ganz besonders im Winter.

2) In einem anderen Text geht es um so ziemlich das Schlimmste, das einem Musikfan passieren kann: Die Plattensammlung brennt. Auf der aktuellen CD ist außerdem ein Vinyltrack obendrauf gepresst. Habt Ihr einen besonderen Bezug zu Schallplatten?

Ja, dieser Song erzählt eine fast wahre Geschichte. Bin ich froh, dass ich nicht in das Haus gezogen bin, das in diesem Lied brennt – ich war kurz davor. Ich hätte alles verloren. Ich kenne aber denjenigen, der dort gelebt hat. Er hat sogar seinen Nachbarn ein Stockwerk höher gerettet, obwohl der das Feuer gelegt hat. Ich mag Vinyl und Kassetten, auch CDs. Alles, was ich anfassen und fühlen kann. Es war uns klar, dass wir mit der neuen CD irgendwas Besonderes anstellen wollen. Auf einer unserer limitierten Ausgaben gibt es sogar neben dem Vinyltrack noch einen versteckten Titel auf der CD. Wir haben Spaß an sowas.

3) Ich hoffe, das beleidigt Euch nicht, aber Ihr seht kein bisschen aus wie Rockstars. Was unterscheidet Euch sonst noch von großen finnischen Exportschlagern wie HIM? Oder andersherum: Was ist an Euch besonders finnisch?

Ich denke, wir ziehen uns locker aber doch stilvoll an, und die Musik sollte für sich selbst sprechen. Manchmal würde ich mich gerne wie ein Tier verkleiden, ich wäre ein Wolf oder Fuchs. Im traditionellen Sinne sind wir vermutlich nicht besonders finnisch, ich weiß allerdings nicht, wie uns Leute von außerhalb wahrnehmen. Doch, klar, in uns allen ist viel 'sisu' (das finnische Wort für 'Ausdauer', 'Kraft'), viel Geist und viel Verrücktheit. Das ist vermutlich normal für Bands, die jede Menge Gigs spielen und in einem kleinen Van leben. Gib niemals auf. Dieser Satz beschreibt den Mumm, den das finnische Volk in den Knochen hat. Und wir natürlich auch.

4) Jede neue Pop- oder Rockband wird heutzutage schnell als 'Indie' bezeichnet, und so seid Ihr eben der neue Indie-Rock-Hit aus Finnland. Was ist denn eigentlich Indie? Und würdet Ihr Euch lieber anders bezeichnen?

Indie zu sein bedeutet: Du hast Deinen eigenen Stil, aber kein Geld. Wir sind keine Indie-Puristen. Wenn unsere Musik sich verkauft und verbreitet – wir haben kein Problem damit. Ich habe mir wirklich viele Gedanken über die Bedeutung des Begriffes gemacht, aber es ist einfach dasselbe wie mit 'Grunge'. Solche Bezeichnungen sind nur der Versuch, viele verschiedene Bands mit ganz unterschiedlicher Musik unter einer Marke zusammenzufassen. Ich sähe unsere Band gerne definiert als 'Art Rock'. Aber man kann nicht alles haben...

5) Viele Einflüsse, die Euch offenbar geprägt haben, sind auf dem Album hörbar, zum Beispiel – meinen Ohren nach – SIGUR RÓS, PINK FLOYD oder THE SMITHS. Gibt es einen Musiker / eine Band, die Euch am meisten beeinflusst hat? Warum?

Toll, dass man das hört. Die sind alle prima, vielen Dank für die Blumen. Wir haben natürlich alle unsere eigenen Favoriten. Als ich ungefähr sechs Jahre alt war und zufällig vor dem Fernseher saß, machte da so ein seltsamer Typ Musik. FRANK ZAPPA hieß er, hatte dunkle, lockige Haare und einen wirklich riesigen Schnurrbart. Ich habe mir das ganze Livekonzert angeschaut, wie gebannt. Ich hatte noch nie solche Töne gehört und habe da schon gefühlt, dass Musik ganz viele Möglichkeiten bietet und ich sowas später auch mal machen möchte.

Line-Up / Diskografie / Konzerte => auf Seite 2


 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Interview
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Zusammenfassung
Pop kann so schön sein. Sechs in Deutschland bislang völlig unbekannte Finnen liefern Songs über Pistolenunfälle und brennende Vinylplatten ab. Hörbar sind Einflüsse von THE SMITHS (Stimme), SIGUR RÓS (Epik), PINK FLOYD (Keyboards) und tausend anderen guten Bands. Wer braucht RADIOHEAD?

Inhalt
* CD mit Vinyltrack
* alle Texte im Booklet
* ca. 48 Minuten

01 Saw You At My Funeral
02 Hurry Or Worry
03 Trapdoors
04 Body Blues
05 Painting The Dead
06 Counting Stars
07 Antique
08 Accidents
09 Golem
10 This Might Have Happened...
11 The End Is Just A Dawn
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